# taz.de -- Kunst und Geschichte: Pioniere in der Männerschwimmhalle | |
> Die Macher des Stattbads Wedding verwandeln das Gebäude in einen | |
> lebendigen Kunstort. Jetzt wird es ernst: Der Umbau steht bevor. | |
Bild: Schwimmbad: Es sieht immer nach Kunst aus | |
In der ehemaligen Schwimmhalle für Männer hängt eine Art Schiff am | |
Beckenrand. Es ragt in den leer gepumpten Pool. Das Schiff ist aber kein | |
Schiff, es ist eine Dreiecksrampe aus Sperrholz. Bei dem Besucher ploppen | |
Bilder von Skatern auf, die auf die schiefe Bahn geraten sind. Auf dem Weg | |
ins imaginäre Wasser mutieren sie zu Surfern. Das Licht, das durch die | |
raumhohen Fenster fällt, bricht sich im Glanz der Kacheln. Ein großer, | |
heller Raum ist das hier. Er lässt Ideen, ja Visionen fliegen. | |
Wir befinden uns im „Stattbad Wedding“, dem ehemaligen Stadtbad des | |
Berliner Architekten Ludwig Hoffmann, der vor knapp hundert Jahren nicht | |
nur dieses, sondern auch das Stadtbad in der Oderberger Straße in | |
Prenzlauer Berg gebaut hat. Anders als jenes wurde das Stadtbad Wedding im | |
Krieg stark beschädigt und im schlichten, sachlichen Stil der Fünfziger | |
wiederaufgebaut. Stillgelegt ist es seit 2001. Seit 2009 wird es als | |
Eventraum für zeitgenössische Kunst genutzt – vor allem für Urban Art. | |
Viele Ausstellungen wurden hier seitdem gezeigt, es gab Konzerte wie das | |
eines klassischen Ensembles aus New York in der Dreiecksrampe, Kongresse | |
wie den des Chaos Computer Clubs, Märkte, Theater, Tanz und Film. Das | |
Stattbad Wedding hat sich zu einem der wichtigsten und interessantesten | |
Kulturzentren in dem ehemaligen Arbeiterbezirk entwickelt. | |
Geschäftsführer Jochen Küpper führt stolz durch die luftigen Hallen, die | |
verwinkelten Umkleideräume und Kabinen der „Bade- und Brausebäder“. Er | |
lässt Revue passieren, denkt laut darüber nach, wo sein Projekt angekommen | |
ist – und wo es hoffentlich noch hingehen wird. Gerade hat das Bezirksamt | |
Mitte die Umbaugenehmigung erteilt. Die Pläne sind ehrgeizig. Hier, in der | |
Schwimmhalle für Männer, werden Geländer und Notausgänge gebaut, damit eine | |
große Ausstellungshalle entstehen kann. Am hinteren Ende geht es zur | |
Terrasse, die nach dem Vorbild der Kreuzberger Prinzessinnengärten von den | |
Anwohnern zum Gemüseanbau genutzt und zum neuen Spielplatz nebenan hin | |
geöffnet werden soll. | |
Von der Terrasse geht der Blick aufs Vorderhaus des Stattbads, wo sich | |
einst ein Solarium und die Räume der Polizeitauchschule befanden. Hier | |
werden noch mehr temporäre Arbeitsplätze für Kreative entstehen – schon | |
jetzt arbeiten um die 40 Künstler hier, darunter Musiker wie Jochen | |
Distelmeyer und Peaches. Einen Raum weiter, in den ehemaligen Umkleiden, | |
zeugen fette Farbkleckse von der letzten Ausstellung, „Rampenlicht“ des | |
Künstlerkollektivs 3Eck, in der Malerei, Fotos und Readymades gezeigt | |
wurden. Es ging darum, dass Skaten nicht nur Trendsport, sondern längst | |
eine Lebenseinstellung ist – und Kunst. Jochen Küpper stapft zwischen zwei | |
Europaletten, viel Bauschutt und Dreck herum. Er schwärmt: Hier wird ein | |
Durchbruch erfolgen, der Lichthof wird begehbar gemacht und überdacht, die | |
verwinkelten Umkleiden werden verbunden und sich dadurch öffnen. Weiter | |
hinten entsteht eine Konzerthalle mit Bar für mehrere hundert Besucher. | |
Allerdings, das ist ihm wichtig: Der Charakter des Schwimmbades soll | |
nirgends getilgt oder übertüncht werden. Die Neubauten erfolgen im | |
Zusammenspiel mit der ursprünglichen Funktion des Baus. | |
Wenn man ihm so zuhört und hinterherläuft, diesem Jürgen Küpper, dann ist | |
es, als würde in diesem Stattbad ein Pioniergeist wehen, wie er Anfang der | |
Neunziger in Prenzlauer Berg geweht haben mag – und all das Gerede von der | |
Kehrseite der Gentrifizierungsprozesse, die Angst vor den Reichen und den | |
steigenden Mieten scheinen plötzlich zweitrangig. „Zuerst“, erzählt Küpp… | |
kamen vor allem Besucher aus Mitte und Prenzlauer Berg. „Inzwischen sind | |
wir nicht mehr nur Leuchtturm, sondern öffnen uns dem Kiez, die Anwohner | |
interessieren sich für das, was wir machen“, sagt er und führt gut besuchte | |
Workshops für Sprayer und Tagger an, einen Kinderworkshop für Siebdruck und | |
eine Flummiweltmeisterschaft, zu der auch viele Nachbarn kamen. | |
Die Führung ist zu Ende, Jochen Küpper und Aline End, die hier die Presse | |
betreut, bestellen sich einen Kaffee in der gläsernen Stattbar gleich neben | |
dem Eingang des Bades. Auch hier herrscht Aufbruch: Es gibt eine neue | |
Kaffeemaschine, deren Einweihung mit Brownies für alle gefeiert wird. Das | |
Neuköllner Künstlerduo Biest hat gerade alles frisch gestaltet, die Wände | |
mit Selbstporträts versehen und eine hölzerne „Kathedrale der Liebe“ | |
installiert. Die Augen von Jochen Küpper und Aline End leuchten. Mag sein, | |
dass es eine alte Berliner Geschichte ist, die Geschichte von Umwidmung und | |
Zwischennutzung. In den Augen dieser beiden hat sie deswegen nichts von | |
ihrem Charme verloren. „Es geht um Offenheit, um Freiräume“, sagt Aline | |
End. Schon von Anfang an konnten sich die Stattbad-Macher vor Anfragen | |
interessierter Künstler, die hier arbeiten oder ausstellen wollen, kaum | |
retten. | |
Er habe „eigentlich Wirtschaft studiert, aber dann ein paar | |
Urban-Art-Festivals organisiert“, erzählt Küpper. Das letzte lief in einem | |
Haus von Arne Piepgras, der kurz zuvor das Stadtbad gekauft hatte, es | |
eigentlich abreißen und einen Supermarkt bauen wollte. „Als ich zum ersten | |
Mal herkam, habe ich mich sofort in den Ort und sein Drumherum – den | |
Wedding – verliebt“, sagt er. „Ich bin gleich hergezogen“, fügt er an … | |
lächelt versonnen. Die Angst, dass auch Wedding demnächst ein Bezirk für | |
Latte-macchiato-Trinker werden könnte, kann er nicht teilen. Wie sollte er | |
auch? Die Alternative wäre, eine Monostruktur aus einkommensschwachen | |
Bewohnern mit sich alleinzulassen. | |
Es scheint, dass vor allem dieser Enthusiasmus, den die Leute vom Stattbad | |
Wedding verbreiten, auch Besitzer Arne Piepgras angesteckt hat. Von | |
Zwischennutzung ist hier jedenfalls heute keine Rede mehr. Die Investition, | |
wahrscheinlich mehr als 2,3 Millionen Euro, ist groß. Sie soll sich jetzt | |
erst einmal auszahlen. | |
15 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
Susanne Messmer | |
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Wedding | |
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