# taz.de -- Musik: Doom Shanties für die Geisterstunde | |
> Finstere Lyrik und küstenaffine Melodien: Rex Joswig, Gründer von Herbst | |
> in Peking, hat als The Hidden Sea ein neues Album veröffentlicht. | |
Bild: Ordentliches Ostseewetter: So entstehen Doom Shantys. | |
Dass das Dunkle ganz besonders anziehend sein kann, wissen entsprechend | |
sensibilisierte Hörer spätestens seit Nick Cave. Von Zeit zu Zeit muss | |
jedoch wieder daran erinnert werden. | |
Zum Beispiel so: Über eine sakrale Orgelfigur legen sich eine vier Minuten | |
lang durchgezogene metallische Schlagzeugspur und ein welthungriger | |
Bassgesang. Er fordert: „Sister midnight, run with me / The edge of light | |
breaks vanity / Sister midnight, let me in / You rule the club of deadly | |
sin.“ Später antwortet ihm mediterran-arabischer Frauengesang, und der da | |
Einlass begehrend, verlangt: „Mesmerize me / Hypnotize me / Recognize me.“ | |
Die personifizierte Geisterstunde, die Schwester könnte die Frau aus dem | |
traurig-schönen Gedicht „Vorkrieg“ des Dichters Thomas Brasch sein; die | |
tiefe Stimme gehört dem Berliner Musiker Rex Joswig. Den Song „Prince of | |
Light“ hat seine Band The Hidden Sea auf ihrem Debütalbum „Lighthouse | |
Madness“ veröffentlicht. | |
Sie nennen ihren Stil „Maritime Noir“ oder sprechen von „Doom Shanties“… | |
ihren Songs machen sich Menschen auf einen Weg, von dem sie oft nicht | |
wissen, wohin er sie führen wird: „Searched for pearls / On a ship of | |
fools“ heißt es in „Drowning Fool“. Die Musik dazu klingt, als hätten s… | |
Portishead mit einer ganzen Sammlung an Westküsten-Psychedelia versorgt. | |
## Pommerscher Kopf | |
Man darf nicht alles auf Herkunft und Biografie zurückführen, doch stammt | |
Joswig aus Anklam in Mecklenburg-Vorpommern. In der Nähe seiner | |
Geburtsstadt mündet die Peene über den Peenestrom in die Ostsee. Der 1962 | |
geborene Rex Joswig flog 1980 von der Erweiterten Oberschule, dem | |
ostdeutschen Pendant zum Gymnasium. Joswig hat bis heute seinen eigenen | |
Kopf; Mecklenburger haben ihn sowieso. | |
1987 begründete er in Berlin die Band Herbst in Peking mit. Sie traten mit | |
den Westberlinern Die Haut auf. Unter den Indie-Nachgeborenen der in Agonie | |
liegenden Spät-DDR wirkten Herbst in Peking mit ihrem von Boris Vian | |
entlehnten Namen und an die späten Sechziger erinnernden Sound wie | |
Hippie-Punks. | |
Den schnarchnasigen Verhinderungsversuchen der Kulturbürokratie begegnete | |
die Band mit offensivem Witz und freudvoller Rabiatheit: „Heute ist der | |
Tag, an dem das System zusammenbricht – feiern wir diesen Tag.“ Damit | |
leitete Joswig gerne Konzerte ein. Er und andere Bandmitglieder gingen 1989 | |
nach Westdeutschland und gründeten bei ihrer Rückkehr das erste unabhängige | |
Plattenlabel der DDR: Peking Records, nach einer wechselvollen Geschichte | |
jetzt für „Lighthouse Madness“ wiederbelebt. | |
## Texte von Celan, Lowry, Benn und Papenfuß | |
The Hidden Sea und Herbst in Peking überschneiden sich personell. Von | |
seiner Mutterband hat das Seitenprojekt die Liebe zur Literatur geerbt. | |
Unlängst beteiligte man sich an dem Literaturmagazin floppy myriapoda. The | |
Hidden Sea arbeiten mit Texten von Paul Celan, Malcolm Lowry und Gottfried | |
Benn. Dessen Entgrenzungs- und Kokainhymne „O Nacht“ hatten bereits Herbst | |
in Peking vertont. | |
Nur findet sich der Song wie einige andere bereits bekannte auf längst | |
vergriffenen Alben. Auf eine längere gemeinsame Geschichte geht die | |
Zusammenarbeit mit dem Prenzlauer-Berg-Lyriker Bert Papenfuß zurück. Er | |
steuert den Text zum dronelastigen Hardrocksong „Doors Of Terror“ bei: „I | |
came all the way from Kriwoi Rog / To offer you a culture shock.“ | |
The Hidden Sea wissen: Es gibt das Dunkle, das man sich manchmal wünscht. | |
Und es gibt die Dunkelheit. Das von Robert Schalinski, Mitglied des | |
Industrial-Kollektivs Column One, gestaltete Cover zu „Lighthouse Madness“ | |
zeigt das kaum bewegte, bleigraue Meer vor dem Hafen Odessas im | |
Morgengrauen: Es ist ein Filmstill aus Eisensteins „Panzerkreuzer | |
Potemkin“. Auf der Plattentaufe coverten The Hidden Sea John Lennons | |
„Working Class Hero“. Rex Joswig widmete ihn „den letzten Matrosen von | |
Kronstadt“. Die im April erscheinende Herbst-in-Peking-Best-of – eine Tour | |
ist geplant – heißt „Ex Oriente Lux“. | |
The Hidden Sea: "Lighthouse Madness" (Moloko Plus Records) | |
15 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Robert Miessner | |
## TAGS | |
Gedicht | |
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