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# taz.de -- Die Wahrheit: Yoga für Busfahrer
> Hätte mir das einer noch vor vielleicht sechs Monaten prophezeit, ich
> hätte gesagt: sterb ich halt. Aber dann kamen die ersten Schneeglöckchen
> (...)
Hätte mir das einer noch vor vielleicht sechs Monaten prophezeit, ich hätte
gesagt: sterb ich halt. Aber dann kamen die ersten Schneeglöckchen, und ich
hab’s mir anders überlegt. Und mache auf meine alten Tage plötzlich Yoga.
Selbstverständlich nur, weil ich mir nicht mehr anders zu helfen weiß. Die
Schultern! Der Nacken! Die Arme! Wer meine Schultern, meinen Nacken und
meine Arme hätte, würde das auch so machen.
Ich praktiziere dieses Yoga in der physiotherapeutischen Praxis, in der ich
vergangenen Sommer aus nämlichen Gründen (Schultern, Nacken, Arme) wieder
bewegungsfähig gemacht wurde. Das gemischt-therapeutische Programm aus
Dehnungsübungen und -anleitungen sowie einer Art Herumzupfen an mir half
bestens. Wie das alles heißt oder was das genau war, was da gemacht wurde,
ist mir egal. Das meine ich nicht verächtlich, sondern pragmatisch: Was
hilft, hilft.
Meine Schultern, Nacken und Arme indes waren weniger dankbar als ich,
sondern nahmen ihr schmerzendes Werk alsbald wieder auf. Und so kam ich auf
den Prospekt zurück, den man mir – vermutlich wohlwissend – zum Abschied
mitgegeben hatte: „Yoga für Anfänger“. Was hatte ich zu verlieren? Ich
setzte darauf, in einer physiotherapeutischen Praxis möglichst gongfrei
davonzukommen. Und die Rechnung ging auf: Tatsächlich gab es keinen Gong,
keine Räucherstäbchen, kein Gebärmutteratmen. Dafür brutales Körperwerk,
wenn auch mit Hilfsmitteln – Stühlen, Seilen, Kissen. Gut.
Nach meiner zweiten Sitzung las ich im SZ-Magazin herum und stieß auf das
Interview mit einem 93-jährigen Yogi namens B.K.S. Iyengar. Ich lese für
gewöhnlich eigentlich nie Interviews mit 93-jährigen Yogis, meinte mich
allerdings dunkel zu erinnern, diesen Namen in meinem Yoga-Kurs einmal
gehört zu haben. Also las ich die Einleitung und erkannte: Nach dessen
Regeln turne ich ja! Er ist nämlich der einzige Yogi, der Hilfsmittel –
Stühle, Seile, Kissen – erlaubt! Ich las also das Interview und begriff ein
Weiteres: Bei dem bin ich genau richtig. Und das allein wegen eines
einzigen Satzes in dem Interview.
Auf die Frage, ob es wirklich stimme, dass er an Erleuchtung nicht
sonderlich interessiert sei, antwortete er nämlich – bitte, ein 93-jähriger
Yogi, der eine ganze Yoga-Bewegung gründete und Hilfsmittel wie Stühle,
Seile und Kissen erlaubt: „Ich falle gelegentlich in diesen Zustand, aber
ich möchte nicht dauernd in ihm sein. Wenn du erleuchtet bist, kannst du
keinen Bus nehmen. Wenn alles eins ist, woher willst du dann wissen,
welcher Bus der richtige ist?“
Ist das nicht einfach großartig? Niemals habe ich etwas gehört oder
gelesen, das gelassener und eleganter meine eigene eher plumpe, weil
furorgesteuerte Haltung gegenüber diesem ganzen Erleuchtungsgedöns
ausdrückt. Ich bleibe also gern gänzlich unerleuchtet, aber dafür
verkehrstüchtig. Denn man stelle sich bloß mal vor, so ein Erleuchteter
setzte sich ins Auto! Ist ja lebensgefährlich! Wenn alles eins ist, woher
will man dann wissen, wer die Vorfahrt hat?
16 Mar 2012
## AUTOREN
Barbara Häusler
## TAGS
Gedicht
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