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# taz.de -- Kolumne Blicke: Eine Ausfallstraße namens Halit
> Berlin! Leipzig! Und vor allem: Kassel! Und dann ist am Sontag auch noch
> Bu-Bu-Day. Wie das alles zusammenhängt.
Am Sonntag ist Bu-Bu-Day. Denn dann versammeln sich die Mächtigen,
Prächtigen und Schlechtangezogenen dieser Republik entweder in Leipzig auf
der Buchmesse oder in der Berliner Bundesversammlung. Einer von diesen wird
nach Teilnehmerliste der hochverehrte Hans Well (für „Bü90/GR“) sein, von
der durch den demokratischen Fortschritt in Bayern implodierten Biermösl
Blosn.
Allein deswegen verbieten sich literarische Fantasien, was wohl ein irrer
Attentäter mit einer solchen Ballung gesellschaftlicher Eliten anstellen
könnte: Seid also unbesorgt, ihr Arischen mit Ohren, Pastörs, Apfel,
Müller, und stopft euch die Schnittchen der Steuerzahler rein: Mehr als auf
Sand gebaute Drohbriefe wird es nicht geben.
Am Vorabend solcher Großereignisse, denen wir hier, jenseits der
Kandidatenfrage, mit einem gewissen inneren Abstand begegnen, liegt es also
nahe, den Blick in die entgegengesetzte Richtung zu, hm, richten: dahin, wo
Glamour, Glanz und Gloria eher nicht zu Hause sind – nach Kassel.
Ich mag Kassel sehr. Einer meiner liebsten Menschen lebt dort als
Phytophiler. Ich bin zudem erster Preisträger des seit 2005 vergebenen
Nordhessischen Autorenpreises, der „sich sowohl an Autorinnen und Autoren
als auch an Laien“ richtet, „die ihren Lebensmittelpunkt in Nordhessen oder
einen besonderen (etwa autobiografisch bedingten) Bezug zur Region haben“.
Ich finde mich da wieder.
In diesem Jahr ist wieder documenta in Kassel, die ich auf dem Weg zum
gleichzeitig ausgetragenen Hauptevent, der Caricatura, auf jeden Fall
mitnehmen werde. Aber mein spezieller Freund in Kassel ist der Herkules
über dem Bergpark Wilhelmshöhe. Dieser Park, das Schloss, die
Gemäldegalerie, all dies ist eine europäische Attraktion ersten Ranges. Die
ganze Anlage ist so erschütternd schön, dass man die barocke Anmaßung, die
über allem thront, ganz gut vergessen kann. Das bescheidene Kassel macht es
einem da leicht.
Als ich letzten Monat da war, konnte man den Herkules noch immer nicht
besteigen – Sanierung läuft seit 2005; und da bei der letzten documenta der
Hauptbahnhof eine Ruine war, wird wohl in guter Tradition diesmal der
eingerüstete Held den Besuchern aus aller Welt ein echt kasselänerisches
„So wichtig seid ihr uns nun auch wieder nicht“ als Willkommensgruß bieten.
Wer Kassel verlassen will, kann das auf vielfältige Art tun – nicht umsonst
kandidierte die Stadt einst als westdeutscher Regierungssitz, ihrer
zentral-vernetzten Lage wegen. Eine der großen Ausfallstraßen ist die
Halitstraße. Stimmt gar nicht – noch heißt sie Holländische Straße und ist
Teil eines großen, alten Verkehrswegs Richtung Niederrhein.
Halitstraße soll sie nach dem Wunsch von Ismail Yozgat heißen. Denn in
dieser Straße, in einem Internetcafé, wurde sein Sohn Halit Yozgat von
Neonazis ermordet. Der Chef der CDU-Fraktion im Kassler Stadtrat, Norbert
Wett, findet eine solche Umbenennung nach HNA-Zitat ein
„Wahnsinnsunterfangen“. Schade, dass Norbert Wett nicht zur
Bundesversammlung delegiert wurde: Er fände da Herren, mit denen er
angeregt plaudern könnte.
15 Mar 2012
## AUTOREN
Ambros Waibel
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