# taz.de -- Keine Therapie auf Türkisch | |
> Integration Wer eine Psychotherapie beginnen möchte, muss lange auf einen | |
> Platz warten. Das Problem verschärft sich für diejenigen, die kein | |
> Deutsch sprechen | |
Bild: Auf der Warteliste der Kölner Psychotherapeutin Hamidiye Ünal stehen ga… | |
Es ist nicht das erste Mal, das Cevahir Canserver dringend eine türkisch | |
sprechende Psychotherapeutin in Bremen sucht. Nicht für sich selbst, | |
sondern für eine Frau, deren Angehörige sich hilfesuchend an Canserver als | |
Integrationsberaterin bei der Arbeiterwohlfahrt gewandt hatten. „Die Dame | |
ist ein Notfall“, sagt Cansever, eine, die nach einer Gewalttat sofort | |
Hilfe brauche. Jetzt, möglichst noch diese Woche. Und nicht erst in ein | |
paar Wochen, Monaten oder Jahren. Denn so lange müsste sie warten, bis ein | |
Platz frei wird bei einer der beiden Psychotherapeutinnen, die ihre Sprache | |
sprechen und mit ihrer Krankenkasse abrechnen können. | |
Der Zusatz „Kassenzulassung“ ist wichtig, denn natürlich gibt es in Bremen | |
noch mehr Psychologen und Psychologinnen mit türkischem | |
Migrationshintergrund und den erforderlichen Zusatzqualifikationen. Doch | |
die Krankenversicherungen übernehmen nur die Therapiekosten, wenn die | |
Kassenärztliche Vereinigung eine Zulassung erteilt hat. Eine solche ist für | |
Psychotherapeuten derzeit nicht zu haben, da die Kassenärztliche | |
Vereinigung der Auffassung ist, dass es von diesen in Bremen zu viele gibt | |
und Sitze „aufkauft“, wenn jemand seine Praxis aufgibt. | |
Das Problem: Bis auf wenige Ausnahmen können die niedergelassenen | |
TherapeutInnen keine der Sprachen, die von Migranten im Land Bremen | |
gesprochen werden. Immer wieder haben deshalb in der Vergangenheit | |
beispielsweise Farsi, persisch oder türkisch sprechende TherapeutInnen vor | |
dem Sozialgericht auf eine Sonderzulassung geklagt – erfolglos. | |
Aktuell versucht dies die Verhaltenstherapeutin Ayse Yildiray. In der | |
ersten Instanz ist sie gescheitert, sodass ihre Anwältin Anna Ziemann die | |
Klage jetzt damit begründet, dass es in Bremen nicht nur zu wenige | |
türkischsprachige, sondern grundsätzlich zu wenige VerhaltenstherapeutInnen | |
gibt. „Ich habe 50 angerufen“, sagt Ziemann, „unter sechs Monaten Warteze… | |
ist nichts zu machen“. | |
Die Rechtsanwältin vertritt außerdem vor Gericht Menschen, deren Kasse es | |
abgelehnt hat, ausnahmsweise die Kosten für eine Psychotherapie bei | |
Yildiray zu übernehmen. In Bremen sei ein solcher Antrag auf | |
Kostenerstattung anders als im niedersächsischen Umland ohne Aussicht auf | |
Erfolg, sagt die. Und das, obwohl sie schriftlich nachgewiesen habe, dass | |
ihre beiden türkischsprachigen KollegInnen in Bremen nicht im Ansatz die | |
Nachfrage befriedigen können. | |
„Manche warten ein Jahr und länger“, bestätigt eine von ihnen, die | |
Verhaltenstherapeutin Saher Khanaqa-Kükelhahn. Um in akuten Krisen dennoch | |
sofort helfen zu können, vergebe sie auch sonntags Termine in einer Zeit, | |
die eigentlich für Büroarbeit reserviert sei, sagt Khanaqa-Kükelhahn. „Aber | |
die sind gerade auch vergeben.“ | |
Als „besonders dramatisch“ bewertet sie die Versorgungssituation von | |
Kindern und Jugendlichen. Für diese, das hat auch die Kassenärztliche | |
Vereinigung erkannt, gibt es grundsätzlich zu wenig spezialisierte | |
TherapeutInnen. Und Khanaqa-Kükelhahn ist unter diesen wiederum die | |
einzige, die türkisch, kurdisch oder arabisch spricht. Dies sei wichtig, | |
sagt sie, weil zwar die Kinder in der Regel fließend deutsch sprechen, aber | |
die Arbeit mit den Eltern zentraler Bestandteil der Therapie sei. | |
Die Nachfrage, sagt Khanaqa-Kükelhahn, die ihre Praxis 1994 eröffnet hat, | |
habe in den letzten Jahren stark zugenommen. „Der Druck wird größer“, sagt | |
sie, auf alle Menschen, egal, wo sie oder ihre Vorfahren geboren wurden. | |
Eine Beobachtung, die von den Krankenkassen in ihren Statistiken zur | |
Zunahme psychischer Krankheiten regelmäßig bestätigt wird. | |
Dass MigrantInnen Psychotherapie eher ablehnend gegenüber stehen, hält die | |
auf Zulassung klagende Yildiray übrigens für ein Vorurteil. Dafür seien | |
einige aufgrund ihrer Migrationserfahrungen besonders gefährdet, an | |
Depressionen oder anderen psychischen Störungen zu erkranken, sagt sie. | |
Lange Wartezeiten würden dazu führen, dass sich ein Leiden chronifiziert. | |
„Und dann müssen diese Menschen stationär behandelt werden, was für die | |
Kassen viel teurer wird“, ärgert sich Yildiray. | |
Die therapeutische Arbeit mit einem Dolmetscher oder einer Dolmetscherin, | |
wie es einige deutschsprachige Therapeutinnen anbieten, hält sie für nicht | |
sinnvoll. „Da kommt dann vieles nicht zur Sprache oder wird | |
missverstanden“, glaubt sie. | |
Cevahir Canserver von der Arbeiterwohlfahrt sieht dies genau so. Es sei | |
nicht nur die Sprache, sondern auch der kulturelle Hintergrund, der im | |
Therapieprozess eine Rolle spiele. „Das kommt dann einfach nicht raus“, | |
hätte ihr mal eine Frau, die gut Deutsch sprach, gesagt und auf ihr Herz | |
gezeigt. Und noch etwas sei wichtig, sagt Canserver. „Die Chemie zwischen | |
Patient und Therapeutin muss stimmen.“ Doch eine Auswahl hätten die | |
Suchenden derzeit gar nicht. | |
18 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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