# taz.de -- Vorbilder mit NS-Vergangenheit: Wohnen bei Frau Nazi | |
> Mit Agnes Miegel und Hedwig Heyl ehrt Bremen zwei ausgewiesene Nazissen. | |
> Die systematische Befassung mit problematischen Patronen hinkt hinterher. | |
Bild: In Bremen kann man die nach dem SA-Sturmmann Karl Carstens (links) benann… | |
Will man in einer Straße wohnen, die nach einer NS-Dichterin benannt ist? | |
Dass Agnes Miegel, die im Habenhausen ausgerechnet gemeinsam mit Bertolt | |
Brecht und Erich Maria Remarque geehrt wird, eine glühende | |
Nationalsozialistin war war, kann kaum bestritten werden. Hitler nahm seine | |
treue Anhängerin 1944 in die „Gottbegnadetenliste“ auf, bereits 1933 hatte | |
sie ihm „treueste Gefolgschaft geschworen“. In der heutigen Fragestunde der | |
Bürgerschaft will die Links-Fraktion die Benennung Bremer Straßen und | |
Plätze nach Menschen mit nationalsozialistischem Hintergrund thematisieren. | |
Andernorts wird das Thema systematisch angepackt: Oldenburg arbeitet an | |
einer vollständigen Überprüfung seiner Straßenpatrone, angestoßen durch die | |
Hedwig Heyl-Straße: Heyl sprach sich als Vorsitzende des „Frauenbundes der | |
Deutschen Kolonialgesellschaft“ gegen „Mischehen“ aus und wollte | |
„geeignetes Mädchenmaterial“ in die Kolonien schaffen – sie fürchtete d… | |
„Verkafferung“ der deutschen „Kolonialelite“. In Hannover wurde deswegen | |
die nach ihr benannte Berufsschule umgewidmet – in Bremen jedoch, wo Heyl | |
geboren wurde, ist ihr nach wie vor eine Straße gewidmet. | |
Hedwig Heyl, die in Schwachhausen geehrt wird, stammt sozusagen aus dem | |
Bremer Adel: Ihr Vater Eduard Crüsemann war Mitbegründer des Norddeutschen | |
Lloyd. Heyl selbst gründete den deutschen Hausfrauenbund und gilt noch | |
heute als bedeutende Frauenrechtlerin und Sozialpolitikerin. Obwohl sie | |
mehrfach ihre „innere Verwandtschaft“ mit Hitlers „Wollen und Zielen“ | |
bekundete und noch im hohen Alter die „scharfe Behandlung der Judenfrage“ | |
begrüßte. | |
Agnes Miegel brachte es auf bundesweit 101 Straßen- oder Platzbenennungen. | |
Neun Kommunen, unter ihnen Celle und Quickborn, haben ihre Miegel-Straßen | |
bereits umgetauft, in vier weiteren wird derzeit diskutiert. In 12 Orten | |
wurde eine Umbenennung bislang abgelehnt. Im Wesentlichen gibt es drei | |
Gründe für eine solche Ablehnung: Die historische Bewertung einer Person | |
ist umstritten, Anwohner wehren sich oder es wird die Meinung vertreten, | |
ein distanzierender Zusatz unterm Straßenschild schaffe historische | |
Transparenz. „Man sollte auch dazu stehen, dass die Aufarbeitung der | |
NS-Zeit mit gravierenden Fehlern behaftet ist“, sagt etwa ein Anwohner der | |
Bremerhavener Frenssenstraße – obwohl die einen wirklich üblen Patron hat: | |
Gustav Frenssen war in der Nazi-Zeit ein sehr erfolgreicher Schriftsteller, | |
der unter anderem die Euthanasie propagierte. Eine schlichte Umbenennung | |
der Frenssenstraße – wie in Hamburg vorgenommen – verdränge, dass sich 60 | |
Jahre lang niemand an ihrem Namenspatron stieß, so die Argumentation. | |
Andere Anwohner haben eher Praktisches im Sinn – die Vermeidung lästiger | |
Adressänderungen, die Aktualisierung des Personalausweises. In Walle | |
führten solche Vorbehalte vor drei Jahren zur Beibehaltung der | |
Peters-Straße, die nach dem rassistischen Afrika-Forscher Carl Peters | |
benannt ist. Wegen der Misshandlung von Frauen und Kindern wurde er 1897 | |
unehrenhaft aus dem Reichsdienst entlassen, im „Dritten Reich“ jedoch | |
rehabilitiert. Während andernorts, etwa in Delmenhorst, die Peters-Straße | |
umbenannt wurde, sprach sich die große Mehrheit der Waller Anwohner für die | |
Beibehaltung aus – trotz der Zusicherung des Innenressorts, Ausweise und | |
Führerscheine kostenfrei zu ändern. Schließlich fand der Beirat eine | |
kreative Lösung: Als „Karl-Peters-Straße“ erinnert die Straße nun an ein… | |
verdienten Strafrechtsreformer. | |
Wie aber steht es mit der systematischen Behandlung des Ehrungs-Themas? | |
Oldenburgs für die CDU regierende Oberbürgermeister Gerd Schwandner hält | |
die Auseinandersetzung für einen „Prüfstand für unsere gesellschaftliche | |
Konsensfähigkeit“. Die geplante Studie hat einen weit gefassten Anspruch: | |
Sie soll flächendeckend klären, ob die Vita bislang geehrter Menschen „nach | |
heutigen Maßstäben auch unwürdiges Verhalten aufweist“ – etwa durch | |
Kollaboration mit diktatorischen Regimen „oder durch rassistische, | |
fremdenfeindliche oder anderweitig Mensch und Umwelt verachtende oder gar | |
schädigende Handlungen oder Geisteshaltungen“. In Bremerhaven macht sich | |
die SPD für eine entsprechende Studie stark, im Bremer Bauressort steckt | |
die Diskussion um einen Kriterienkatalog noch in den Kinderschuhen. | |
Abzuwarten bleibt auch, ob der Senat heute im Parlament Stellung zu zwei | |
bundesrepublikanischen Top-Politikern mit NS-Vergangenheit nimmt, die in | |
Bremen geehrt werden: Sowohl die Karl Carstens-Brücke als auch die | |
Kurt-Georg-Kiesinger-Allee könnten neue Patrone vertragen. | |
19 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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