# taz.de -- Debatte Kulturpolitik: Im Schatten der Polemik | |
> Eine ehrliche Debatte über die Kulturpolitik ist nötiger denn je. | |
> Provokationen helfen dabei so wenig wie die Verteidigung des Status quo. | |
Bild: Lange Schlangen vorm arrivierten Kulturbetrieb, hier beim Tag der offenen… | |
Mit ihrer Polemik gegen die „Subventionskultur“ sind Dieter Haselbach, Pius | |
Knüsel, Armin Klein und Stephan Opitz auf nahezu einhellige Ablehnung | |
gestoßen. Die vier malen das Bild eines über Jahrzehnte stetig gewachsenen | |
„staatlichen Kulturbetriebs“, der keine Nachfrage mehr finde, sie sprechen | |
von kulturpolitischer Reformunfähigkeit. | |
Was zunächst in Form „provokanter Thesen“ im Spiegel vorab erschien und | |
inzwischen als Buch über den „Kulturinfarkt“ vorliegt, ist zum Gegenstand | |
breiter Empörung geworden. Die Kritik konzentriert sich dabei von Anfang an | |
vor allem auf eine Frage der Autoren: „Was wäre, wenn die Hälfte der | |
Theater und Museen verschwände, einige Archive zusammengelegt und | |
Konzertbühnen privatisiert würden?“ | |
Manche haben den „Kulturinfarkt“-Verfasser sogar unterstellt, diese würden | |
vorschlagen, die Hälfte der staatlichen Kulturausgaben zu streichen. Was | |
einfach nicht stimmt: Ausdrücklich ist die Rede davon, die durch | |
Reduzierung frei werdenden Mittel für die verbleibenden Kultureinrichtungen | |
und andere Projekte zu nutzen. | |
## Die Mär von der Halbierung | |
Doch die Mär von der Halbierung der Mittel für die Kultur fand, einmal in | |
die Welt gesetzt, in Windeseile Verbreitung, wurde von Kulturverbänden und | |
Feuilletons aufgegriffen – vielen Kritikern war anscheinend die Lektüre von | |
ein paar Spiegel-Seiten schon zu viel, von der Kenntnisnahme des kompletten | |
Buchs ganz zu schweigen. | |
Dabei wären sie auf eine Reihe von Überlegungen gestoßen, die man nicht | |
teilen muss – die aber diskutierenswert sind. Mehr noch: Sie müssen | |
diskutiert werden, wenn wir auch in Zukunft noch über eine kulturelle | |
Infrastruktur verfügen wollen, die eine vielfältige Produktion und | |
Rezeption von Kunst für alle, die daran teilhaben wollen, ermöglicht. | |
Sicher: Nachdem wichtige der von Haselbach, Knüsel, Klein und Opitz | |
vorgebrachten Argumente zuerst in „Form provokanter Thesen“ die | |
Öffentlichkeit erreichten, wurde es den Kritikern ziemlich leicht gemacht, | |
sie zu übergehen. | |
Das beginnt schon bei der zentralen These von der „Vermehrung der | |
staatlichen Kulturbetriebe“, die mit dem Hinweis auf die Verdoppelung der | |
Zahl der Musikschulen, eine Verdreifachung der Museen und die neu | |
entstandenen soziokulturellen Zentren untermauert wird. | |
Als Beweis für eine opulente Ausdehnung „staatlicher Kultureinrichtungen“ | |
taugen diese drei Beispiele aber gerade nicht: Die gut 500 soziokulturellen | |
Zentren sind nahezu vollständig in freier, die Hälfte der etwa 6.000 Museen | |
in privater oder Vereinsträgerschaft. Auch ein Drittel der öffentlichen | |
Musikschulen wird von gemeinnützigen Organisationen getragen – und nicht | |
vom Staat. | |
## Lange Schlangen vor Museen | |
Überhaupt werden von den „Kulturinfarkt“-Autoren mit Ausnahme der | |
Theaterstatistik kaum Beispiele für die angebliche „kulturelle Flutung“ | |
genannt. Dass dem Zuwachs in einigen Bereichen der Abbau zahlreicher | |
Kultureinrichtungen in den ostdeutschen Ländern und ein Rückgang etwa der | |
Zahl von Bibliotheken und Orchestern im gesamten Bundesgebiet | |
gegenübersteht, fällt für die Verfasser anscheinend nicht ins Gewicht. | |
Und ebenso bleibt ihre Aussage weitgehend unbelegt, dass dem Ausbau des | |
staatlichen Kulturangebotes keine entsprechende Nachfrage gegenüberstehe – | |
angesichts der langen Wartelisten bei öffentlichen Musikschulen und der | |
weiter steigenden Besucherzahlen in Museen und Ausstellungshäusern würde | |
das auch keineswegs leichtfallen. | |
## Sprachloses Kopfschütteln | |
Mitunter stellt sich beim Lesen des Buchs, in dem durchaus Raum für | |
ausführliche Begründungen, belastbare Fakten und konsistente Argumente | |
gewesen wäre, sprachlos machendes Kopfschütteln ein. | |
Die Schwächen sind besonders dann ärgerlich, wenn damit so weitreichende | |
Schlussfolgerungen verbunden werden wie die Behauptung, das Konzept einer | |
„Kultur für Alle“ sei gescheitert. Es hat auch wenig mit der Wirklichkeit | |
zu tun, dass der staatliche Kulturbetrieb, den sich Haselbach, Knüsel, | |
Klein und Opitz immer nur als monolithischen Block vorstellen, sich für | |
nichts interessiert – außer für sich selbst. | |
Ein Blick in die aktuellen Theaterspielpläne und Ausstellungskalender aber | |
genügt, um zu sehen, dass Kultur selten so eng wie heute mit | |
gesellschaftlichen Fragen, politischen Themen und sozialen Konflikten | |
verbunden war. | |
Trotzdem muss man eines konstatieren: Die vier Autoren haben zu gewichtigen | |
Teilen recht mit ihrer Kritik. Beim Ausbau der Kulturinfrastruktur und in | |
der kulturpolitischen Praxis der vergangenen Jahrzehnte fand viel zu selten | |
eine Verständigung darüber statt, „welche öffentlichen Ziele mit welchen | |
Mitteln erreicht werden können“. | |
Die Diskussion darüber, „was öffentliche Kulturförderung bewirken soll und | |
wie diese nachhaltig bewerkstelligt werden könnte“, wurde kaum geführt. Und | |
richtig ist auch, dass das „System der Kulturförderung neu auszurichten | |
ist“, weil die vorhandenen institutionellen Strukturen „einen zu großen | |
Teil der öffentlichen Mittel absorbieren“. | |
## Eine verpasste Chance | |
Das ist nicht neu, aber eine offene Debatte darüber, zu der es Ansätze | |
durchaus gibt, wird immer dringlicher. Die bloße Verteidigung des Status | |
quo hilft uns nicht weiter. Wir müssen ohne selbst auferlegte Tabus auch | |
über die Frage des „Rückbaus“ kultureller Infrastruktur reden – das The… | |
rückt wegen der ungleichen demografischen Entwicklung in Deutschland auf | |
die Tagesordnung. Hinzu kommen die Auswirkungen veränderter kultureller | |
Präferenzen, der Digitalisierung und Globalisierung von Kultur. | |
Auch eine ehrliche Diskussion über die Prioritäten von Kulturpolitik, über | |
das die Kunst betreffende Verhältnis von Staat, Markt und Gesellschaft, | |
über die finanzielle Förderung und den sich darin ausdrückenden Stellenwert | |
von Kultur ist nötiger denn je. Dieter Haselbach, Pius Knüsel, Armin Klein | |
und Stephan Opitz hätten dafür wichtige Denkanstöße liefern können. | |
Die Art und Weise allerdings, in der die vier Autoren gegen den angeblichen | |
„Kulturinfarkt“ zu Feld ziehen, hat ihre Überlegungen hinter Fehler, | |
Schwächen und Polemik verschwinden lassen. | |
27 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernd Wagner | |
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