# taz.de -- Kommentar Kulturpolitik: Fragen muss erlaubt sein | |
> Werden die staatlichen Subventionen im Kulturbereich sinnvoll eingesetzt? | |
> Ein Beitrag zur Debatte um das Buch "Der Kulturinfarkt". | |
Bild: Spielt in der Debatte um Kulturförderung immer wieder eine Rolle: das RT… | |
Das Kulturfördersystem in Deutschland sei uneffizient und ungerecht, | |
kritisieren die Autoren des Buches „Kulturinfarkt“. Die Wellen der Empörung | |
schlagen hoch in den Feuilletons, wie immer wird reflexartig der Untergang | |
der Kulturnation beschworen, sobald jemand wagt, einen öffentlichen Diskurs | |
darüber zu führen, für was, mit welchen Zielsetzungen und welchen Wirkungen | |
eigentlich öffentliche Gelder für Kulturförderung eingesetzt werden sollen. | |
Unter der Prämisse der „Kunstfreiheit“, die ohne Zweifel ein hohes Gut ist, | |
werden inhaltliche Diskussionen kulturpolitischer Leitlinien über | |
Parteigrenzen hinweg vermieden. Diese wären jedoch notwendig, um angesichts | |
der Schuldenkrise öffentlicher Haushalte mit dem Geld, das wir aktuell | |
einsetzen – übrigens mehr als jeder andere Staat auf der Welt, wobei der | |
Stadtstaat Hamburg die höchste Summe pro Kopf ausgibt und Niedersachsen bei | |
den Schlusslichtern ist –, möglichst vielfältige kulturelle Anregungen für | |
möglichst viele Menschen, und nicht nur für eine kleine hochgebildete | |
Elite, zu erreichen. | |
Aktuell gehören gerade mal fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zu den | |
regelmäßigen Nutzern der öffentlich geförderten Kulturangebote. Darum muss | |
es erlaubt sein, zu fragen, warum eigentlich eine Opernkarte mit mindestens | |
150 Euro subventioniert wird, während der Fan populärer Musik seine teure | |
Eintrittskarte ohne staatlichen Zuschuss selbst bezahlen muss. | |
Zwei große Probleme gibt es im derzeitigen Kulturfördersystem in | |
Deutschland. Erstens: Es liegt ihm ein normativer Kulturbegriff zugrunde, | |
der bestimmte Kulturformen für wertvoll und förderungswürdig erklärt und | |
andere für nicht-förderungswürdige Unterhaltung, die man dem freien Markt | |
überlassen müsse. | |
Zweitens wurden immer mehr so genannte Hoch-Kulturangebote in Deutschland | |
institutionalisiert, so dass inzwischen fast die gesamten Kulturetats in | |
den Unterhalt der öffentlich subventionierten Apparate gehen und es für | |
neue Kulturformen neuer Generationen keine Mittel mehr gibt. | |
Auch die Kulturausgaben des Landes Niedersachsen sind stark an | |
Institutionen gebunden. So werden 46 Prozent der Mittel für Theater | |
ausgegeben, während auf die Soziokultur nur 0,3 Prozent und auf die | |
kulturelle Bildung nur 0,6 Prozent entfallen. | |
Zu hinterfragen ist also, welche Institutionen welchen kulturellen Wert für | |
die Bevölkerung bringen. So wird etwa aktuell in Frage gestellt, ob es | |
tatsächlich notwendig ist, im Landkreis Helmstedt ein Forschungs- und | |
Erlebniszentrum für acht – wenn auch archäologisch bedeutende – Holzspeere | |
zu bauen. Allein der Bau wird mit 15 Millionen Euro aus Landes- und | |
Bundesmitteln gefördert, die dauerhaften Kosten für die Unterhaltung sind | |
noch gar nicht abzusehen, während bereits existierende Museen ihrem Auftrag | |
zum Sammeln, Bewahren, Ausstellen und Vermitteln aufgrund ihrer | |
Finanzausstattung kaum noch nachkommen können. | |
Immerhin hat das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur | |
2010 einen „Kulturbericht Niedersachsen“ erstellt, in dem sämtliche | |
Ausgaben transparent aufgezeigt sind. Der Bericht soll die Grundlage sein | |
für ein „beteiligungsorientiertes Kulturentwicklungsplanungskonzept“, in | |
dessen Verlauf bis 2016 tatsächlich mit verschiedenen Kultur-Akteuren und | |
der Bevölkerung der jeweiligen Region Zieldiskussionen geführt werden | |
sollen, für was die öffentlichen Gelder zukünftig eingesetzt werden. Für | |
dieses Vorhaben kann man den Initiatoren nur den Mut wünschen, auch | |
unangenehme Entscheidungen gegen bestehende Institutionen und deren | |
verständliche Besitzstandwahrungsinteressen durchzusetzen, wenn sich | |
erweist, dass andere kulturelle Belange in der Bevölkerung wichtiger | |
geworden sind. | |
Würden Mittel in den Kulturetats frei, könnten neue Projekte und vor allem | |
die in Deutschland sträflich vernachlässigte kulturelle Bildung finanziert | |
werden. Wenn Menschen schon in frühem Alter die Chance bekommen, sich | |
differenziert und reflektiert mit Kunst und Kultur auseinanderzusetzen, | |
wäre das die beste Basis für eine „Kulturnation Deutschland“. Damit wäre | |
auch die derzeit geäußerte Befürchtung unnötig, durch eine Reduzierung des | |
Angebots der so genannten Hochkultur könnte das gesamte Kulturangebot auf | |
„RTL-Niveau“ sinken. | |
Die Frage der Umschichtung von Mitteln müsste sehr differenziert betrachtet | |
werden: So gibt es im Flächenland Niedersachsen zahlreiche | |
Kulturinstitutionen in ländlichen Räumen. Würde man etwa ein Theater in | |
einer strukturschwachen Gegend schließen, so könnte damit möglicherweise | |
der letzte Kulturort dort wegfallen, der zugleich auch symbolische Wirkung | |
hat als ein öffentlicher Ort kulturellen Zusammentreffens. | |
Zu differenzieren wären Einrichtungen vor allem auch in Bezug auf ihr | |
Engagement, möglichst vielfältige Bevölkerungsgruppen in ihre Arbeit zu | |
involvieren, ihre Fähigkeit, mit unterschiedlichen Partnern zu kooperieren | |
und ihre Bereitschaft, sich gemeinsam mit neuen Zielgruppen | |
(interkulturell) zu verändern, ohne dabei an künstlerischer Qualität zu | |
verlieren. | |
Damit wären wir schon inmitten einer Diskussion darüber, was wir von Kunst | |
und Kultur für unsere Gesellschaft wollen. Diese Debatte wird nun | |
hoffentlich durch die etwas zugespitzte Prophezeiung eines | |
„Kulturinfarktes“ angestoßen und auch von breiteren Bevölkerungsgruppen | |
geführt und nicht nur von einer kleinen Kulturlobby, die Angst hat, | |
Besitzstände zu verlieren. | |
21 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Birgit Mandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |