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# taz.de -- Theater: Scheiß Kreativwirtschaft
> In dem Stück "Die Kunst war viel populärer, als ihr noch keine Künstler
> wart!" geht es um den Wunsch, endlich wieder entfremdet arbeiten zu
> dürfen. Die Inszenierung am Schauspielhaus Hamburg leidet daran, nur
> Versatzstücke zu versammeln.
Bild: Freut sich dieses Jahr über den Lasker-Schüler-Dramatikerpreis: René P…
HAMBURG taz | Es gibt Stücke, die eignen sich schon deshalb nicht für eine
Kurzkritik, weil bereits ihr Titel die Hälfte des Platzes in Anspruch
nähme. Das neue Stück von René Pollesch ist so eines. Es heißt „Die Kunst
war viel populärer, als ihr noch keine Künstler wart!“ und ist nicht zu
verwechseln mit dem Pollesch-Stück „Mädchen in Uniform – Wege aus der
Selbstverwirklichung“, das ebenfalls derzeit am Hamburger Schauspielhaus zu
sehen ist.
Beide Stücke dauern rund 60 Minuten, in denen schnell und viel gesprochen
wird. Es geht mehr um den Text als um seine Verkörperung, das war schon
immer so beim Regisseur und Autor René Pollesch. Wenn über seine Stücke
gesprochen wird, fällt schnell das Wort „Diskurs“. Gemeint ist damit, dass
Pollesch seine Figuren Gedanken und Argumente vorbringen lässt, die
bestehende Meinungen und Geltungsansprüche hinterfragen. Das klingt
trocken, kann aber sehr locker und inspiriert sein. Oder ziemlich sperrig.
In Polleschs Stück über die Kunst, die früher populärer war, stehen die
fünf Schauspieler in den Kostümen einer 1950er-Jahre-Inszenierung vor einer
gemalten Schlosskulisse. Statt eine mutmaßlich unendlich altbackene
Operninszenierung zum Besten zu geben, reden die Schauspieler über ihren
Beruf. Zunächst. Später reden sie noch über das Gefühl, unter Narkose zu
stehen und über den Tod. Außerdem geht es noch über den Kapitalismus, aber
der hat wieder mit ihrem Beruf zu tun.
Denn das meiste, über das hier gesprochen wird, wird auf der Metaebene
verhandelt. Die Schauspieler fragen sich, ob ihnen die selbst gewählte
Selbstverwirklichung gut tut, ob sie das eigentlich aushalten, wenn sie ihr
hochspezialisiertes Selbst zu Markte tragen statt eines objektivierbaren
und vom Individuum abgekoppelten Fachwissens. Schnell wird klar, dass die
Anforderungen an den Schauspieler-Beruf jene sind, die heutzutage auch in
anderen Berufen entscheidend sind für den Erfolg: Leidenschaft,
Identifikation, Flexibilität, Originalität und die viel beschworene
Kreativität. Kein Wunder, dass einer der Schauspieler zurück will in einen
proletarischen Beruf. „Mir geht’s gut mit entfremdeter Arbeit“, sagt er.
„Ich brauche eine Distanz zu dem Selbst, das ich hier die ganze Zeit
anbiete.“ Worauf eine Frau entgegnet: „Angeborene Fähigkeiten sind im
Moment viel nachgefragter.“
So hauen sich die fünf Schauspieler ihre Gedanken um die Ohren, während
hinter ihnen – zum Teil in rasender Geschwindigkeit – das Bühnenbild
wechselt, indem es vor den Augen der Zuschauer nach oben gezogen
beziehungsweise von oben abgelassen wird. Die schnulzige Schloss-Fassade
wechselt mit der Fassade eines 80er-Jahre-Kinos, darauf wiederum kommt der
Schriftzug „Don’t look back“ in wandfüllender Größe. Die Bühnenbilder…
ebenso im Fluss wie die Gedanken. Um beides zueinander in Beziehung zu
setzen, geht beides zu schnell.
Überhaupt hat Polleschs Diskurs-Theater das Problem, die Zuschauer latent
zu überfordern. Die Thesen, um die es an diesem Abend geht, mögen mitunter
interessant sein – in der Fülle, Geschwindigkeit und thematischen
Unterschiedlichkeit, in der sie hier vorgetragen werden, bleibt nicht allzu
viel von ihnen hängen.
So flüchtig und versatzstückhaft der Abend ist, so gut passt er in eine
Zeit der Statusmeldungen und Live-Ticker. Das lässt ihn merkwürdig
antiquiert wirken. Wirklich hip wäre es, die Gesetzmäßigkeit der digitalen
Medien zu überwinden. Und einfach mal wieder eine Geschichte zu erzählen –
gern auch über Entfremdung und den ganzen Rest.
## ■ nächste Termine: Do, 29. 3., Do, 5. 4., Di, 10. 4., Sa, 21. 4., je 20
Uhr, Schauspielhaus, Kirchenallee 39
28 Mar 2012
## AUTOREN
Klaus Irler
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