# taz.de -- Gleichstellung bei Heimkindern: Mädchen müssen bleiben | |
> In Kinderheimen leben überdurchschnittlich viele Jungen. ExpertInnen | |
> erklären dies damit, dass diese stärker auffallen, wenn sie familiäre | |
> Probleme haben. | |
Bild: Im Unterschied zu Jungen leiden Mädchen oft still. | |
Deutlich mehr Bremer Jungen als Mädchen leben in Heimen – das geht aus | |
einer jetzt veröffentlichten Antwort des Senats auf eine Anfrage der CDU | |
hervor. Danach waren zum 31. 12. 2011 insgesamt 1.050 Kinder und | |
Jugendliche in stationären Einrichtungen untergebracht, 599 von ihnen | |
männlich. Besonders groß ist der Unterschied bei den Neun- bis | |
Vierzehnjährigen: Der Mädchenanteil liegt bei 38 Prozent. In | |
Pflegefamilien, in denen im selben Zeitraum 577 Minderjährige lebten, war | |
das Geschlechterverhältnis ausgewogen. Dabei werden auch etwa gleich viele | |
Mädchen und Jungen auf Veranlassung des Jugendamts in Obhut genommen. Im | |
Jahr 2010 waren 56 Prozent der Betroffenen weiblich, im Jahr 2011 waren es | |
45 Prozent. Dies könnte darauf hindeuten, dass mehr Mädchen als Jungen | |
wieder zurück in ihre Familien geschickt werden. | |
Ruth König, die in der Beratungsstelle des Mädchenhaus Bremen arbeitet, | |
wundert sich nicht über die Zahlen. „Mädchen sind länger bereit, in | |
schwierigen Familienverhältnissen zu bleiben“, sagt die Sozialpädagogin, | |
„die sagen oft, sie könnten nicht weg wegen der Geschwister oder der | |
Mutter.“ Viele gingen erst nach jahrelangem Leiden – häufig zu spät, um | |
dann noch Hilfen des Jugendamtes in Anspruch nehmen zu können. | |
Etwas älter als 17 Jahre ist das statistische Durchschnittsmädchen, das | |
jährlich den Weg in die Beratung des Mädchenhauses findet. So kurz vor der | |
Volljährigkeit sei es schwer, noch einen Platz in einer Jugendwohnung oder | |
einer anderen stationären Einrichtung zu bekommen, sagt König. Und für | |
Mädchen über 18 Jahren stünden die Chancen noch schlechter. Viele, die erst | |
so spät die Reißlinie ziehen und kein eigenes Einkommen haben, müssten | |
deshalb in ihren Familien bleiben, bis sie 25 sind und einen eigenen Antrag | |
auf staatliche Unterstützung stellen können. | |
Dass für diese 18- bis 25-jährigen Frauen Wohnmöglichkeiten fehlen, war | |
eins der Ergebnisse eines Fachtags im November 2011 zu Gewalt gegen Frauen | |
und Mädchen – unter Schirmherrschaft des Bürgermeisters. Das Frauenhaus – | |
in dem die 21- bis 29-Jährigen die größte Gruppe stellen – sei nicht immer | |
der richtige Ort für die jungen Frauen, heißt es in der Dokumentation des | |
Fachtags. | |
Die Mitarbeiterinnen des Mädchenhauses hoffen, dass sie mit ihrem | |
Online-Angebot die Mädchen früher erreichen können. Es sei aber falsch, | |
sagt die Beraterin König, die Verantwortung auf die Mädchen abzuwälzen. | |
Stattdessen müssten sich erwachsene Hilfepersonen – wie LehrerInnen oder | |
auch MitarbeiterInnen des Amts für soziale Dienste – fragen, inwiefern sie | |
Mädchen stärker in den Blick nehmen müssten. „Wenn die Probleme haben, | |
fallen die einfach nicht so auf wie Jungen“, sagt König. Während diese | |
ihren Frust nach außen trügen, richtete sich die Aggression von Mädchen | |
meistens gegen sie selbst. „Da heißt es dann hinterher oft, ’das hätte ich | |
nicht gedacht, die war doch so gut in der Schule.‘“ | |
Eine Einschätzung, die auch die Fachleute in der Sozialbehörde teilen. „Es | |
ist wichtig, Warnsignale richtig zu deuten und etwa eine Essstörung zu | |
erkennen“, so deren Sprecher David Lukaßen. Sowohl die Bildungs- als auch | |
die Sozialbehörde würden dazu Fortbildungen in Schulen und | |
Kindertagesstätten anbieten. Gleichwohl, sagt Lukaßen, gebe es auch unter | |
Mädchen Strategien, mit Problemen fertigzuwerden. „Die können genau so | |
randalieren wie Jungen.“ Im April greift das Mädchenkulturhaus dieses Thema | |
in einer Fortbildung auf. | |
Die CDU wiederum, auf deren Initiative die Zahlen veröffentlicht wurden, | |
hatte sich für die Geschlechterfrage gar nicht interessiert. Ihr ging es | |
vielmehr darum, ob die Maßnahmen, mit denen das Jugendamt Kindern in | |
schwierigen Familienverhältnissen helfen wollte, sinnvoll waren – und in | |
welchem Kostennutzenverhältnis sie stehen. | |
Eine Antwort darauf geben die verfügbaren Zahlen allerdings nicht. So hatte | |
das Jugendamt bei 55,2 Prozent aller derjenigen, die 2011 neu in ein Heim | |
aufgenommen wurden, zuvor versucht, mit Erziehungshilfen die Familie | |
zusammenzuhalten. „Das liegt daran, dass die Fremdplatzierung ein extremer | |
Eingriff ist und man in jedem Einzelfall prüft, ob man das vermeiden kann“, | |
sagt der Sozialressort-Sprecher Lukaßen. | |
Dass in Bremen im Vergleich mit anderen Großstädten besonders viele | |
Minderjährige in Heimen leben, erklärt er zum einen mit der „starken | |
Sensibilisierung“ der BremerInnen nach dem Tod des zweijährigen Kevin 2006. | |
Zum anderen gebe es in Bremen überdurchschnittlich viele problembelastete | |
Familien. | |
29 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Eiken Bruhn | |
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