# taz.de -- Video der Woche: Eat it don't tweet it | |
> Oliven-Banette mit Bio-Cheddar auf Feigen-Chutney hört sich schon so an, | |
> als wäre es für ein Facebook-Foto gemacht und nicht für den Magen. Eine | |
> Karikatur der hippen Food-Pornography. | |
Bild: Let's talk about food, baby! | |
Engbehoste Hipster mit dicker Mütze und dicker Brille dienen manchem | |
Mitbürger längst als wandelndes Feindbild im urbanen Raum. Latent | |
verantwortlich für Gentrifizierung, Symbol für die Erodierung hegemonialer | |
Männlichkeiten und damit einhergehend für den Niedergang des Westens an | |
sich. Nüchtern betrachtet ist der Hipster womöglich einfach nur zum | |
Feindbild geworden, weil er aufgrund seines Äußeren einer Gruppe zuzuordnen | |
ist, die man hassen kann, so wie alle anderen identifizierbaren Gruppen | |
auch gehasst werden. Labeln, hassen, posten: Ein besinnungsloser Vorgang, | |
der nur einiger Sekunden bedarf. | |
„Eat it don’t tweet“ ist durchdachter, hübsch bösartig: Es karikiert un… | |
anderem das Zeitgeistphänomen der Food-Pornography, das Gastro-Äquivalent | |
zur Cam2Cam-Masturbation: So wie man lieber vor dem Bildschirm onaniert, | |
anstatt sich auf reale Körperkontakte einzulassen, werden besonders | |
lustspendende und daher unmoralische Lebensmittel lieber fotografiert und | |
gepostet als aufgegessen. | |
Die Foie Gras ist ein Politikum und der Cupcake unverträglich da nicht | |
Gluten-frei. Die gebildete Mittelschicht hat sich diverse modische | |
Essstörungen zugelegt, die den klassenbedingten Zwang zur Schlankheit | |
orchestrieren: Intoleranz gegenüber Laktose, Fructose, Gluten, Farb- und | |
Zusatzstoffen. Wenn Bier, dann nicht pasteurisiert, wenn Wein, dann Bio. | |
Ananas nur aus regionalem Anbau, Fleisch nur an Sonntagen – und wenn es | |
nicht zum Veganismus reicht, dann bleibt nur der profane Wald- & | |
Wiesen-Vegetarismus. | |
## Gammelfleisch von KZ-Hühnern | |
Geht der oder die Essgestörte abends an einem Döner essenden Angehörigen | |
der neuen Unterschicht vorbei, scheut er oder sie sich nicht, diesem fast | |
ins Fladenbrot zu kotzen: „Iiih, guck mal, der isst Gammelfleisch von | |
KZ-Hühnern“. Labeln, hassen, posten. | |
Im Alltag bleibt der essgestörten Mittelschicht oft nichts übrig, als | |
Reispuffer zu verzehren, die nach Dämmstoff schmecken und nur an hohen | |
Feiertagen mit Meersalz versetzt sind. Der Rest ist Pornographie: Jede | |
Bahnhofsbuchhandlung quillt über vor hochglänzenden, hochpreisigen | |
Fress-Magazinen und im Fernsehen wurde Dolly Buster von Lea Linster | |
abgelöst, „eat it“. | |
Die Mahlzeit, sie wurde ihrer Alltäglichkeit entkleidet wie der Sex, die | |
Liebe und die Elternschaft. Keine Therapie nirgends, es sei denn, man | |
entschlösse sich auch im Alltag mal zu einer Tasse Filterkaffee oder zu | |
einem Abendbrot am heimischen Küchentisch, mit Graubrot und Cervelatwurst. | |
Die Wirklichkeit: Viel geschäumte Milch und Oliven-Banette mit Bio-Cheddar | |
auf Feigen-Chutney für 7.95 Euro. | |
Der Hipster an sich kann jedoch nichts dafür, er ist nur ein Opfer des | |
Zeitgeistes, den zu transportieren er ohnmächtig nicht umhin kommt, weil er | |
sich in ihm treiben lässt wie ein Thunfisch im Schwarm: Es ist jetzt nun | |
mal so, das man sich selbst und seine Umgebung permanent digitalisiert und | |
im Anschluss publiziert. Es geht darum, sich selbst zu spüren und ein | |
Gefühl von Verbundenheit herzustellen, publish or vanish. Aber damit | |
verhält es sich so wie mit dem Betrachten von Food-Photography bzw. | |
Pornography: Man wird nicht satt. | |
30 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
## TAGS | |
Genuss | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Eine Sterneköchin erzählt: „Privatleben habe ich nie gehabt“ | |
Die Luxemburgerin Sterneköchin Léa Linster hat den Deutschen die Angst vor | |
der französischen Küche genommen. |