# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Nie wieder Maschmeyer | |
> Seit Winfried das Jugendteam auf Trab bringt, tangieren ihn die | |
> Bundesliga und seine Ehe nur mehr peripher. Stattdessen überlegte er, den | |
> Gegner vorab zu beobachten. | |
Bild: Taktikfuchs: Ralf Rangnick (rechts) im ZDF-Sportstudio mit Moderator Mich… | |
Als ihn sein Frau abends beim Fernsehen gefragt hatte, was er da eigentlich | |
schon wieder zusammenkritzle, hatte Winfried einfach nicht geantwortet. | |
Schon das war ungewöhnlich, ein Wagnis, das er früher nie eingegangen wäre. | |
Und als sie nachgefragt hatte, ob er nun nicht nur senil, sondern auch noch | |
taub geworden sei, hatte er sie mit einem so frechen Bubengrinsen | |
angestrahlt, dass sie Unverständliches murmelnd aufgegeben hatte, eine | |
billige Rache im Wechsel des Senders suchend. | |
Sollte sie – was kümmert ihn das „Sportstudio“. Sein Leben war jetzt neu | |
aufgestellt. Bevor er Trainer geworden war, hatte er seine leeren Stunden | |
mit erotischen Tagträumen verbracht oder mit der Frage, wie man es in | |
dieser Welt zu etwas bringen konnte, ohne den Maschmeyer zu geben. | |
Winfried wusste: Er war kein außergewöhnlicher Mensch. Aber er wollte in | |
seiner Zeit hienieden weder Betrüger sein noch Prostituierte. Die Anfrage, | |
als Trainer einer Jugendmannschaft einzuspringen, war da gerade recht | |
gekommen. Ein Mann von 46 Jahren ohne Perspektiven in Berufs- oder | |
Privatleben hatte Winfried nun die Lust an der Taktik entdeckt. Sieben | |
Feldspieler wollten erfolgversprechend über das Kleinfeld verteilt und | |
verschoben werden. | |
Und tatsächlich: Seit seine Mannschaft mit einer Viererkette spielte, seit | |
er den Außenverteidigern das Stürmen ausdrücklich gestattet, die | |
kopfballstarken, aber lahmen Innenverteidiger zur Absicherung hinten | |
festgenagelt, aber bei Ecken nach vorne gepeitscht hatte, seit er die | |
Mittelfeldfummler zum Rennen und die einzige Spitze zum Pressing gebracht | |
hatte – da lief die Sache. Nicht immer, der Kader war der Kader und die | |
Gegner die Gegner. Aber eine Verbesserung war unübersehbar. | |
Winfried konnte nun nicht mehr zurück, er wollte weiter. Und so kritzelte | |
er Abend für Abend Skizzen, die jede nur denkbare Spielsituation | |
antizipieren sollten. Was sollte er da mit der Bundesliga? Ihm war nur | |
wichtig, dass Dortmund Meister würde. Weil sonst das Gejammere wieder | |
losginge, dass dem Meister der Herzen der Sieg von den dummen Bayern | |
entrissen und so weiter. Dieses Genöle wollte Winfried sich gern ersparen. | |
Dortmund – und fertig! | |
## Hertha war einfach irre | |
Da kam das 4:4 des BVB gegen die Stuttgarter natürlich ungelegen, genau wie | |
der Bayern-Arbeitssieg beim Club. Was die unteren Ränge anging, so liebte | |
Winfried keine Wiederholungen. Lautern gut, aber Hertha war schon einmal | |
mit ganz ansehnlichem Fußball abgestiegen. Das brauchte er nicht noch mal. | |
Aber Hertha war einfach irre. Köln musste dafür unbedingt auf dem | |
Relegationsplatz bleiben, fand Winfried. Poldi gegen Rösler, Köln gegen | |
Düsseldorf – das wäre was Neues! Und Winfried war gerade sehr für Neues. | |
Seine Frau stand ächzend auf und ging zu Bett. Winfried setzte sich vor den | |
Rechner und ging auf Fussball.de. Zwar war gerade spielfrei, aber er wollte | |
doch noch einmal die Tabellensituation seines Teams vor sich sehen. Jetzt | |
war der Kopf frei, um sich auf das nächste Spiel mental einzustellen. | |
Winfried kam der Gedanke, den Gegner vorab zu beobachten. | |
Übertreib es nicht, sagte etwas in ihm. Sicherheitshalber checkte er aber | |
trotzdem schon mal die Trainingszeiten. Als er am nächsten Morgen die kurze | |
Notiz seiner Frau las, mit der sie ihm das Ende ihrer Ehe mitteilte, fragte | |
er sich, warum er nicht schon viel früher auf die Idee mit dem Kiebitzen | |
gekommen war. | |
1 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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