# taz.de -- Ermittlungspannen in Emden: Mutmaßlicher Täter kein Unbekannter | |
> Der mutmaßliche Mörder einer Elfjährigen in Emden war Polizei und | |
> Staatsanwaltschaft seit Monaten bekannt. Wegen Kinderpornos hatte er sich | |
> selbst angezeigt. | |
Bild: Trauer um Lena: Bei den Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Mörder gibt… | |
HANNOVER taz | Wegen „nicht nachvollziehbarer Verzögerungen“ bei | |
Ermittlungen gegen den mutmaßlichen Mörder einer Elfjährigen in Emden hat | |
die Polizeidirektion Osnabrück ein internes Ermittlungsverfahren | |
eingeleitet: Der 18-Jährige war schon seit September 2011 polizeibekannt – | |
wegen des Besitzes von Kinderpornographie, wie Osnabrücks | |
Polizei-Vizepräsident Friedo de Vries am Dienstag bei einer kurzfristig | |
einberaumten Pressekonferenz mitteilte. Und damit Fernsehberichte | |
bestätigte, nach denen der Ziehvater den Jungen schon vor Monaten angezeigt | |
hatte. | |
Vergangenen November war der 18-Jährige, der die Tötung des Mädchens kurz | |
nach seiner Festnahme am Samstag gestanden hat, persönlich bei der Polizei | |
im Emden erschienen, um Selbstanzeige zu erstatten. Dort habe er angegeben, | |
nicht nur Kinderpornos zu sammeln, sondern selbst Nacktbilder von Kindern | |
gemacht zu haben. Aktiv wolle er gegen seine Neigung angehen, hat er laut | |
de Vries in Emden zu Protokoll gegeben. Er befinde sich in fachlicher | |
Betreuung und wolle mit der Selbstanzeige einen „Schlusspunkt unter dieses | |
Kapitel setzen“. | |
Passiert ist nach der Selbstanzeige wenig: Vom Polizeikommissariat Emden – | |
wo seit der Tötung der Elfjährigen eine 40-köpfige Mordkommission unter | |
Hochdruck ermittelt hat – wurde die Anzeige an die zuständige | |
Polizeiinspektion Aurich weitergeleitet, von dort an die Zentralstelle | |
Kinderpornographie bei der Staatsanwaltschaft Hannover. | |
Die erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss und schickte den Fall zurück nach | |
Aurich. Umgesetzt wurde der Beschluss allerdings nie – erklären kann | |
Osnabrücks Polizei-Vizepräsident de Vries das nicht: „Die Hintergründe | |
werden wir zwingend und rückhaltlos aufklären“, sagte er. „Raum für | |
Spekulationen, was wäre wenn“, sieht er trotz der Versäumnisse aber nicht | |
gegeben. | |
## „Hochprofessionelle und kompetente“ Arbeit | |
Die Emder Polizei selbst gibt sich zugeknöpft. Zu den neuen Vorwürfen | |
wollte sich die Sprecherin am Dienstag nicht äußern. In der | |
50.000-Seelen-Stadt galt die Festnahme des 18-Jährigen eine Woche nach der | |
Tat als Erfolg. Der oberste Dienstherr, Innenminister Uwe Schünemann (CDU), | |
lobte die „hochprofessionelle und kompetente“ Arbeit und den „schnellen | |
Ermittlungserfolg“ von Polizei und Staatsanwaltschaft umgehend. Und nahm | |
sie vor Kritik, die zwischenzeitliche Festnahme eines 17-Jährigen sei | |
vorschnell gewesen, in Schutz: „Falsche Ferndiagnosen“ hätten die Arbeit | |
„ohne Not“ erschwert, erklärte Schünemann. Nach zwei Tagen wurde der Junge | |
freigelassen – ein DNA-Abgleich hatte ihn entlastet. | |
Und selbst aus der Landtagsopposition kam nach der zweiten Festnahme von | |
der innenpolitischen Sprecherin der Grünen, Meta Janssen-Kucz, Dank für die | |
Polizei vor Ort. „Wahrscheinlich war es zu früh zum Gratulieren“, sagt | |
Janssen-Kucz jetzt. Wohl wahr: Aufmerksam wurden die Emder Ermittler auf | |
den 18-Jährigen jetzt nicht wegen des Verfahrens wegen Kinderpornographie. | |
Zu seiner Festnahme führte ein Phantombild, das nach den Schilderungen | |
zweier Zeuginnen erstellt wurde, die ihn zur Tatzeit in der Nähe des | |
Parkhauses gesehen haben. Ein DNA-Test stimmt zudem mit Spuren vom Tatort | |
überein – und mit Spuren, die im November 2011 nach der versuchten | |
Vergewaltigung einer Joggerin in der Nähe von Emden sichergestellt wurden. | |
Auskunft erteilt die Polizei in Emden auch nicht zu ihrem Umgang mit einem | |
Mob von 50 Menschen, der sich nach der Festnahme des inzwischen entlasteten | |
17-Jährigen vor ihren Türen versammelt hat und seine Herausgabe forderte. | |
Warum die Versammlung nicht aufgelöst wurde, ob Personalien aufgenommen | |
wurden, sagt die Emder Polizeisprecherin nicht – aus ermittlungstaktischen | |
Gründen. Denn zumindest gegen den Facebook-Nutzer, der zu dem Mob | |
aufgerufen hat, wird wegen öffentlicher Aufforderungen zu einer Straftat | |
ermittelt. „Die niedersächsische Polizei unter Herrn Schünemann löst | |
ansonsten jede nicht angemeldete Versammlung umgehend auf und stellt | |
Personalien fest“, sagt Janssen-Kucz, „weshalb es bei dieser neuen Art der | |
Anstiftung zur Lynchjustiz nicht erfolgte, bleibt mir schleierhaft.“ | |
3 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
T. Havlicek | |
B. Schirrmeister | |
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