# taz.de -- Folgen des Neuflughafens: "Eine Stadt mit zwei Schwerpunkten" | |
> Der Neuflughafen Schönefeld kann Berlin stark verändern - und auch | |
> scheitern, sagt der Regionalforscher Hans Joachim Kujath. | |
Bild: Gut lachen, weil bald Teil der City? Anwohner in Waltersdorf. | |
taz: Herr Kujath, bald eröffnet in Schönefeld der neue Flughafen. Macht er | |
Berlin zu einer neuen Stadt? | |
Hans Joachim Kujath: Nicht über Nacht, aber vielleicht auf lange Sicht. Das | |
hängt davon ab, wie sich der Flughafen entwickelt. Bleibt er ein | |
Regionalflughafen, sind die Effekte nicht so groß. Ganz anders sieht es | |
aus, wenn das Konzept der Politik aufgeht und er sich tatsächlich zu einem | |
internationalen Drehkreuz entwickelt – das würde die Struktur der Stadt | |
stark verändern. Sie hätte dann zwei Schwerpunkte: die Stadtmitte und das | |
Gebiet um den Flughafen, die „Airport-City“. | |
Ein politisches und ein wirtschaftliches Zentrum? | |
Nicht wirklich. Es gibt Wirtschaftsunternehmen, die die Nähe zur Politik | |
und das metropolitane Umfeld suchen und daher das Stadtzentrum als Standort | |
vorziehen. Für andere Unternehmen ist die globale Erreichbarkeit | |
entscheidend. Diese suchen die Nähe des Flughafens: Unternehmen, global | |
agierende Beraterfirmen oder Konzerne, die weltweit Dependancen haben – | |
aber auch Unterhaltungseinrichtungen oder das Messe- und Kongresswesen. Für | |
die ist die Flughafen-City und deren Umfeld interessant. | |
Der Flughafen als zweites Stadtzentrum – das klingt eher unrealistisch. | |
Die Erfahrungen anderer Großflughäfen zeigen solche Entwicklungen. | |
Großflughäfen sind zentrale Elemente in einer globalisierten Welt. In den | |
USA ist das ganz extrem, dort sind viele Großflughäfen quasi eigene, | |
abgekoppelte Städte. Auch in den Golfstaaten wird eine solche Entwicklung | |
vorangetrieben, dort baut man sie einfach in die Wüste. Das ist in Europa | |
anders, hier versucht man, die Großflughäfen an die Metropolen anzudocken. | |
Sie sollen voneinander profitieren. | |
Aber nicht jeder städtische Flughafen wird auch ein wirtschaftliches | |
Zentrum. | |
Nein. In Hamburg etwa gibt es einen großen, stadtnahen Flughafen, aber der | |
hat keine weitere Funktion als die, der Stadt als Verkehrsinfrastruktur zu | |
dienen. Bei Großflughäfen ist das anders. Sie entwickeln, wenn sie | |
tatsächlich zu einem internationalen Drehkreuz werden, eine wirtschaftliche | |
Eigendynamik. Als ein solcher ist der neue Berliner Flughafen angelegt. | |
Was darf man vom „Jobmotor Flughafen“ erwarten? | |
Zum Vergleich: In Frankfurt arbeiten über 70.000 Menschen direkt am | |
Flughafen. Dazu kommen die Zulieferbetriebe und die Auswirkungen auf die | |
Wirtschaft in der Region. | |
Aber Deutschland hat ja mit Frankfurt und München schon zwei Großflughäfen. | |
Drei Großflughäfen sind tatsächlich viel für ein Land mit einer geringen | |
Fläche wie Deutschland. Andere europäische Länder haben meist nur einen | |
zentralen Flughafen: Charles de Gaulle in Paris, Heathrow in London. Aber | |
der Flughafen Frankfurt stößt absolut an seine Grenzen. Ich glaube schon, | |
dass es ein Potenzial gibt für einen weiteren Großflughafen in Deutschland. | |
Eine Wirtschaftsmetropole wie Frankfurt oder München ist Berlin nicht. | |
Das stimmt. In Frankfurt und München sind die Flughäfen von der Wirtschaft | |
vorangetrieben worden, die diese Infrastruktur als globales Logistikzentrum | |
brauchen und die Flughäfen auch mitfinanziert haben. Der Flughafen in | |
Berlin wird von den beiden Ländern Berlin und Brandenburg und dem Bund | |
vorangetrieben. Er ist ein Projekt der Politik. Und ein typisches Beispiel | |
für Strukturentwicklung in Ostdeutschland: Großprojekte werden hier meist | |
vom Staat angestoßen – und die Wirtschaft springt auf. | |
Für die Kreativbranche oder die Wissenschaft spielt der neue Flughafen | |
keine Rolle? | |
Kaum. In der Kreativszene ist der neue Flughafen derzeit kein Thema. | |
Natürlich ist diese Szene auch global vernetzt, und Künstler und | |
Wissenschaftler fliegen auch mal nach New York. Aber es gibt nicht diesen | |
Zeitdruck. Ob man nochmal in Frankfurt umsteigt oder direkt fliegt, spielt | |
keine Rolle. Die Entwicklung eines Großflughafens könnte aber andere | |
Wirtschaftszweige stärken oder anlocken, die bisher eine untergeordnete | |
Rolle gespielt haben, etwa internationale Dienstleister und | |
Beratungsfirmen. | |
Auch in aufstrebenden Schwellenländern, in China oder Brasilien, werden | |
neue Großflughäfen aus dem Boden gestampft. Kann Berlin da bestehen? | |
Diese Diskussion gibt es seit ein paar Jahren: Verlieren die europäischen | |
Metropolen als Verkehrsknotenpunkte an Bedeutung? Asien spielt dabei als | |
Konkurrent keine so große Rolle, es ist zu weit weg. Die Flughäfen in den | |
Golfstaaten, in Katar oder Dubai, könnten eher Konkurrenten sein. Die | |
bisherige Erfahrung zeigt aber keine negativen Auswirkungen auf Europa. Je | |
vernetzter die Welt, desto wichtiger werden Großflughäfen und Drehkreuze | |
für alle Kontinente. | |
Die Krise hat diese Entwicklung nicht gestoppt? | |
Natürlich ist da ein Einbruch zu spüren. Es gibt weniger Touristen und vor | |
allem weniger Geschäftsreisende. Ähnliche Einbrüche gab es 2001 und 2007, | |
da sind die Zahlen nach etwa zwei Jahren wieder gestiegen. | |
Hängt es auch von der wirtschaftlichen Entwicklung Europas ab, ob | |
Schönefeld zum Großflughafen wird? | |
Eher indirekt. Größere Auswirkungen hat etwa die Zukunft von Airberlin. Das | |
ist die wichtigste Airline des neuen Flughafens, und sie steckt gerade in | |
einer heftigen Krise. Wenn sie die überwindet und es schafft, sich wie | |
geplant in einer internationalen Allianz neu aufzustellen, hat der neue | |
Flughafen gute Chancen, Drehkreuz zu werden. Dann muss sich nur noch | |
zeigen, ob auch andere Airlines ihn zum Umsteigen nutzen und ob er sich | |
etwa auch als Hauptflughafen für Teile von Polen etabliert. | |
Dass ein neuer Flughafen aufmacht – merken das auch die Berliner, die nicht | |
vom Fluglärm betroffen sind? | |
Ich hoffe es. Wenn künftig mehr internationale Ziele direkt erreichbar | |
sind, haben die Berliner etwas davon, als Touristen oder Geschäftsreisende. | |
Mehr internationaler Austausch kann auch eine Stadt internationaler machen, | |
weltoffener. Und natürlich ist zu hoffen, dass der Flughafen dazu beiträgt, | |
die hohe Arbeitslosigkeit abzubauen. | |
Kippt die Stadt nach Südosten? Und verliert der Nordwesten? | |
Die Bezirke um Tegel verlieren nicht unbedingt. Viele Gegenden werden durch | |
den Wegfall des Fluglärms als Wohngegend attraktiver. Da waren große und | |
dicht besiedelte Gebiete vom Fluglärm betroffen: Pankow, Spandau, | |
Reinickendorf. Die Menschen dort werden aufatmen, wenn der neue Flughafen | |
eröffnet. Was jedoch die Attraktivität als Wirtschaftsstandort angeht – da | |
gerät der Norden ins Hintertreffen. | |
Und der Südosten gewinnt. | |
Das auf jeden Fall. Es gibt natürlich Unterschiede. Durch den Flughafen | |
entsteht eine „Geografie des Lärms“. Es entstehen Bereiche um den | |
Flughafen, die beeinträchtigt sind, wo Immobilien an Wert verlieren und es | |
sich nicht mehr so gut leben lässt wie zuvor. Aber all jene Bereiche im | |
Südosten Berlins, die nicht direkt vom Lärm betroffen sind, werden | |
aufgewertet. Das betrifft sowohl die Dörfer und Kleinstädte im Umland des | |
Flughafens als auch die Berliner Bezirke im Süden und Südosten, etwa | |
Neukölln. Wie stark diese Entwicklung ist, hängt davon ab, wie sich der | |
Flughafen tatsächlich entwickelt. | |
Und davon, wie stark die Politik den Ausbau einer Airport-City vorantreibt. | |
Das tut sie bereits. Es gibt Pläne für die langfristige Entwicklung der | |
Region, die ganz klar den Aufbau eines neuen Entwicklungskorridors Südost | |
vorsehen. Der würde von der Flughafen-City über das Wissenschaftszentrum | |
Adlershof nach Mitte reichen. Dort sollen verstärkt Gewerbegebiete | |
ausgewiesen werden. Gleichzeitig wird die Verbindung vom Stadtzentrum zum | |
Flughafen eine neue Verkehrsachse. Schon jetzt ist Schönefeld an das ICE- | |
und Regionalnetz angeschlossen, neue Straßen wurden gebaut. | |
Woran könnte der Aufstieg Berlins zum neuen Luftfahrt-Standort scheitern? | |
An der Politik. Nicht so sehr an den Parteien, die stehen zum großen Teil | |
hinter dem Ausbau. Aber die politische Landschaft rund um den Flughafen ist | |
komplex. Da sind zwei Länder beteiligt und mehrere Gemeinden, der Bund, die | |
Flughafengesellschaft, die Airlines. Die Flughafenentwickler haben in der | |
Anfangsphase der Planung einen großen Fehler gemacht: Sie haben die | |
betroffenen Bürger nicht genügend einbezogen und zu wenig Transparenz über | |
das Vorhaben und seine Auswirkungen hergestellt. | |
Hat die Politik die Bürger unterschätzt? | |
Ja. Man dachte: Da sind ja nur vergleichsweise wenige Menschen betroffen. | |
Und war dann überrascht, wie groß der Widerstand ist. | |
Haben Flughafen und Politik daraus gelernt? | |
Teilweise. Es gibt jetzt Foren, in denen Bürger und betroffene Gemeinden | |
sich einbringen können. Dennoch bleibt das weiterhin der heikle Punkt: | |
Solch ein Großprojekt kann nicht gegen die Bürger durchgesetzt werden. Da | |
sind handfeste Konflikte programmiert, die lassen sich nicht lösen, | |
höchstens abmildern. Das Projekt steht und fällt damit, ob das der Politik | |
gelingt. | |
8 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Juliane Schumacher | |
## TAGS | |
Flughafen Berlin-Brandenburg (BER) | |
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