| # taz.de -- Meteoriten-Ausstellung im Oldenburger Landesmuseum: Belebende Brock… | |
| > Im Oldenburger Landesmuseum liegt Deutschlands größter Steinmeteorit. | |
| > Jetzt hat er Gesellschaft bekommen von weiteren Himmelskörpern, die einst | |
| > den Sauriern den Garaus machten - zum Wohl der Säugetiere. | |
| Bild: Ordentlicher Wumms: So sieht es aus, wenn ein Meteorit sein Werk verricht… | |
| OLDENBURG taz | Der Urknall klingt wie ein asthmatischer | |
| Industriestaubsauger. Ein tiefes, leicht wummerndes Röcheln. Wer 4,6 | |
| Milliarden Jahre auf dem Buckel hat, tönt eben etwas dumpf. Das Oldenburger | |
| Landesmuseum für Natur und Mensch transferiert den Nachhall des Urknalls, | |
| wie er im All zu hören ist, via Nasa in seine Räume. Als passendes | |
| Hintergrundrauschen für die Sonderausstellung über Meteoriten. | |
| Peter-René Becker, der neue Direktor, fasst damit gleich die ganz großen | |
| Themen an. Schließlich, so lernt man in Oldenburg schnell, ist das ganze | |
| Universum ein einziges Murmelspiel: mit Meteoriten als allzeit mobilen | |
| Knallkörpern und der Menschheit als Nebenprodukt diverser | |
| Kollisionenketten. | |
| Gleich nach seinem Amtsantritt vergangenen Oktober hat Becker „Benthullen“ | |
| aus dem Museumskeller gehievt, einen 17 Kilo schweren Steinmeteorit, und | |
| ihn zum Nukleus seiner ersten Ausstellung bestimmt – die in bemerkenswert | |
| kurzer Zeit realisiert wurde. Mit dem im Moor gefundenen Brocken schafft | |
| Becker einen eleganten Übergang von der letzten großen Schau seines | |
| Amtsvorgängers, „Schaurig, übers Moor zu gehen“. Sich von dort via | |
| zielsicherer Magazinsichtung zu den großen Himmelsereignissen | |
| aufzuschwingen, spricht für einen guten konzeptionellen Instinkt. | |
| Allerdings bedarf der Superlativ, mit dem das Museum nun wirbt, einer | |
| Relativierung. Dass „Benthullen“ „der größte jemals in Deutschland | |
| niedergegangene Steinmeteorit“ sei – kann man da so sicher sein? Oft genug | |
| verschwinden die Brocken kraterlos in der Erde, besonders in | |
| Norddeutschland. Auch „Benthullen“ versank ja mit einem leisen Plopp im | |
| Moor, wo ihn vor 70 Jahren ein Torfstecher fand. Dann musste er weitere | |
| Jahrzehnte in einer Dorfmauer verbringen, bevor ihn ein früherer Direktor | |
| des Landesmuseums auf Landpartie entdeckte. Nun ist er der Star der | |
| Ausstellung – und unbestritten der größte Steinmeteorit in einem deutschen | |
| Museum. | |
| Bei den metallenen Meteoriten hat Hamburg die Nase vorn. „Gibeon“, der 420 | |
| Kilo schwere Eisenbrocken aus dem Mineralogischen Museum der Hansestadt, | |
| wurde vom Technischen Hilfswerk ins Oldenburger Museum gewuchtet. Die | |
| didaktische Idee der Ausstellung besteht nun darin, die Besucher auf eine | |
| Forschungsreise mitzunehmen. Vize-Direktor und Kurator Ulf Beichle hat in | |
| verschiedenen Forschungseinrichtungen gefilmt und festgehalten, an welchen | |
| Problemfeldern die Meteoritenforschung derzeit knabbert. So ist man quasi | |
| live dabei, wenn die Kollegen vom Münsteraner Institut für Planetologie | |
| eine zehn Millimeter durchmessende Stahlkugel mit maximaler Geschwindigkeit | |
| auf einen Sandsteinblock prallen lassen. „Maximal“ bedeutet hier 28.000 | |
| Stundenkilometer. Für einen echten Meteoriten wäre das zwar Schneckentempo, | |
| aber immerhin schafft das Münsteraner Geschoss einen Schaden von 700 | |
| Kubikzentimetern – das 1.400-fache des eigenen Volumens. Im All gelten | |
| 100.000 Stundenkilometer als Richtgeschwindigkeit – das Tempo des | |
| Münsteraner Krater-Experiments langt jedoch völlig aus, um dem Betrachter | |
| einen beeindruckenden Aufprall in Super-Zeitlupe zu bieten. | |
| Am Anfang war Nebel und Staub: Diese evolutionäre Wahrheit kann man sich im | |
| Landesmuseum auf vielfältige Weise vergegenwärtigen. Die | |
| Massenanziehungskraft erscheint dabei als Motor der Himmelsbewegungen. | |
| Körnchen für Körnchen ballt sich zusammen, bis die Galaxie im besten | |
| Wortsinn gebacken ist. Wobei es ständig zu Zusammenstößen kommt ... | |
| So entstehen Himmelsbrocken, die – um die Betrachtung wieder auf die | |
| irdische Perspektive zu reduzieren – Leben und Tod bringen. Erst kürzlich, | |
| so erfährt man in Oldenburg, fanden Forscher das Skelett eines vor 65 | |
| Millionen Jahren verstorbenen Fischsauriers – im selben Sediment, in dem | |
| auch Schmelzkügelchen aus dem gewaltigen Krater in der Bucht von Yucatan | |
| stecken. Laut Beichle ist damit der Beweis erbracht, dass die Saurier | |
| tatsächlich durch außerirdische Attacken starben – bisher firmierte diese | |
| Todes-Hypothese als eine unter vielen Mutmaßungen über das Verschwinden der | |
| Riesenechsen. Nun muss man sich die Saurier aber nicht wie erlegt durch | |
| außerirdische Katapulte vorstellen, sondern als Opfer der unterbrochenen | |
| Photosynthese: Enorme Aschewolken, aufgewirbelt durch den Einschlag, sollen | |
| damals die Sonne verdeckt haben. Vegetarische Saurier waren demnach am | |
| schlechtesten dran: Erst starben die Pflanzen-, dann die Fleischfresser. Am | |
| längsten hielten die Aasfresser durch. | |
| Was dem einen sin Uhl, ist dem andern sin Nachtigall – auch das kann man im | |
| Landesmuseum lernen. Konkreter: Vom Aussterben der Saurier profitierten die | |
| Säugetiere, irgendwann also der Mensch. Unterm Strich hätten wir unsere | |
| Existenz den Meteoriten sogar in zweifacher Hinsicht zu verdanken: | |
| Mittlerweile gilt als gut möglich, dass auch Wasser und Bauteile von | |
| Aminosäuren per Meteorit auf die Erde gelangten. Vor Kurzem wurde diese | |
| Annahme noch belächelt – bis man den Asteroiden „Ceres“ näher untersuch… | |
| Unter einer Gesteinskruste birgt er fünfmal so viel Süßwassereis, wie heute | |
| auf der Erde vorhanden ist. Solche Erkenntnisse bringen einem die | |
| „Oldenburger Sternfreunde“ näher, die die Ausstellung unter anderem mit | |
| einer Weltraumsurf-Station bereichern. | |
| Kommen Meteoriten als gigantische Weltraumtanker in Betracht? Nach dem | |
| Besuch dieser Ausstellung hat sich der Gedankenradius deutlich erweitert. | |
| Es macht den Charme der Sonderschau aus, dass sie der menschlichen | |
| Phantasie bewusst Raum lässt: Zu was sich Science Fiction, bildende Kunst | |
| oder die Kirche durch Meteoriten inspirieren lassen, ist beispielhaft | |
| dargestellt. Im elsässischen Ensisheim etwa kettete man den 1492 | |
| niedergegangenen Meteorit vorsichtshalber in der Kirche an, um das | |
| teuflische Treiben zu unterbinden. | |
| Dabei ist die Menschheit bislang mit einem blauen Fleck davon gekommen – | |
| genau einem: 1954 fiel Ann Elizabeth Hodges ein Meteorit auf den Bauch, ein | |
| eindrucksvolles Foto zeigt ihr Hämatom. Glücklicherweise durchschlug der | |
| Brotlaib-große Brocken zuvor ihr Dach und prallte am Radio ab, sodass Miss | |
| Hodges glimpflich davonkam. | |
| Und heute? Jährlich 40.000 Tonnen meteoritisches Material fliegen in | |
| Richtung Erde. Doch die Atmosphäre verwandelt sie fast komplett zu Staub, | |
| nur rund 1.000 behalten beim Durchfliegen des Gasmantels einen Durchmesser | |
| von wenigstens zehn Zentimetern. Rein rechnerisch gibt es demnach täglich | |
| drei Einschläge auf die Erde. Bei zwei Dritteln Wasseroberfläche bleibt ein | |
| Treffer pro Tag auf potenziell bewohntem Gebiet. 1992 war das Peekskill, | |
| ein Vorort von New York, wo es einen parkenden Chevrolet erwischte. | |
| Am Mittwoch soll das beschädigte Fahrzeug in Oldenburg eintreffen, bislang | |
| hing es am Zoll fest: Die Beamten taten sich mit der Entscheidung schwer, | |
| ob sie hier ein Schrottauto oder eine wissenschaftliche Rarität | |
| abzufertigen hätten. Der glatte Durchschlag im Heck spricht für Letzteres. | |
| 6 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Henning Bleyl | |
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