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# taz.de -- Gustav Hämer wird 90: Der Löwe von Kreuzberg
> Der Architekt Gustav Hämer wurde im Kreuzberg der 1970er und 80er Jahre
> zum Star der Stadtplanerszene. Morgen wird er 90 Jahre alt
Bild: Sanieren statt Abreißen - ein Verdienst des Architekten Gustav Hämers, …
Auftritte liebte der Architekt und Stadtplaner Hardt-Waltherr Hämer – und
nicht wenige davon sind legendär. Wie jene Nummer vom Oktober 1991: Gerade
hatte Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) die neuen
Architekturentwürfe für den Potsdamer Platz vorgestellt und stolz von
„guten Ergebnissen“ gesprochen. Da platzte Hämer lautstark dazwischen: „…
finden Sie das! Alle anderen sehen das nicht so, wie in der Zeitung
nachzulesen ist: von FAZ bis taz – Scheiße!“
Hardt-Waltherr Hämer, den alle nur „Gustav“ nennen und der am 13. April
seinen 90. Geburtstag feiert, war nicht nur berühmt-berüchtigt wegen seiner
gewitterartigen Auftritte. Die „Posaune aus Kreuzberg“, wie Hassemer seinen
Gegenspieler bezeichnete, wurde gerade wegen seiner mutigen Direktheit zum
Star der Berliner Planerszene.
## "Liebling Kreuzberg"
„Liebling Kreuzberg“, wie Gustav Hämer in Anlehnung an die gleichnamige
Fernsehserie mit ihrem volksnahen Anwalt auch einmal bezeichnet wurde,
umreißt in Wirklichkeit nicht sein Image, sondern nur sein Arbeitsfeld. Was
der Alexanderplatz für Franz Biberkopf war, war für Hämer das Kreuzberg SO
36 in den 1970er und 1980er Jahren: Es war sein Terrain, sein Raum, seine
Kragenweite, die Karriereleiter.
Dass dieses Kreuzberg mit seinen Blocks, Wohnhäusern und Höfen, seiner
Kleinteiligkeit und sozialen Mischung, den Plätzen und Parkanlagen noch
steht, verdankt es Hämers „IBA-Alt“, dem Sanierungsprogramm der
Internationalen Bauaustellung IBA 1984 bis 1987.
Gustav Hämer, Direktor der IBA-Alt, „ist der Vater der behutsamen
Stadterneuerung“, wie Exbausenator Peter Strieder (SPD) es einmal sagte.
Hämer ist die Quelle einer mittlerweile von Berlin ausgehenden weltweit
kopierten Bauerhaltungskultur. West-Berlin avancierte durch die Altbau-IBA
rund um die Oranienstraße bis hinauf zum Heinrichplatz zur Welthauptstadt
der Stadtsanierung.
## Erstes Werk: Schifferkirche aus Holz
Dabei kam Hämer als Architekt eigentlich aus der ästhetisch und ideologisch
entgegengesetzten Ecke – aus der modernen funktionalen Stadtplanung. Hämer,
1922 in Hagen bei Lüneburg geboren, studierte Architektur; erst in Berlin,
dann an der staatlichen Schule für Baukunst in Weimar. Noch vor seinem
Diplom realisierte er sein erstes Bauwerk: die hölzerne Schifferkirche in
Form eines umgedrehten Schiffsrumpfes in Ahrenshoop (1951). Hämer arbeitete
in den 1950er Jahren im Berliner Büro von Hans und Wassili Luckhardt,
klaren Verfechtern des „neuen Bauens“ – wie es Walter Gropius oder Le
Corbusier seit den 1920er Jahren proklamiert hatten. Hämers Projektleitung
für das sachlich-hochmoderne Mannheimer Nationaltheater (1955) und sein
Betongebirge für das Stadttheater Ingolstadt (1962 bis 1966) belegen, woher
er kam.
Seine IBA-Geschichte begann Ende der 1960er Jahre, wurde er doch zum
Professor an die Berliner Hochschule der Künste berufen und probte dort mit
Studenten den Aufstand gegen die muffigen Lehrveranstaltungen. Als
gleichzeitig der Senat Pläne schmiedete, Autobahnen quer durch Kreuzberg zu
ziehen und Flächenabrisse bis hinauf nach Wedding im Sinn hatte, löste dies
bei Architekt Hämer Fragen nach Alternativen aus: Muss abgerissen werden?
Welche Bedeutung hat der Bestand für die Stadt, was sagen die Bewohner? Ist
es nicht eine Qualität, die bauliche und soziale Mischung zu erhalten und
zu verbessern?
„Gustav Hämer war und ist als Architekt ein zutiefst politischer Mensch“,
erinnert sich Jutta Kalepky, Mitarbeiterin im IBA-Team und spätere grüne
Kreuzberger Bausstadträtin. „Er verstand es, aktuelle gesellschaftliche
Prozesse in die der Stadtentwicklung einzubinden. Hämer ergriff Partei für
die Interessen der Bewohner, für die soziale und bauliche Substanz.
Architektur war bei ihm eingebettet in Stadtplanung. Das war neu – und sehr
erfolgreich“, so Kalepky.
## Retter der Altbauten
Als Hämer 1974 in Charlottenburg 450 Wohnungen vor dem Abriss bewahrte und
die Bauten als historisches Ensemble für die Stadt rettete, galt dies als
Revolution in der modernen Stadtentwicklung, die schnell publik und zum
Programm vieler anderer Architekten wurde.
„Hämer war auch ein begnadeter Kommunikator, der das politische Spiel mit
den Institutionen beherrschte“, betont Kalepky. Will sagen: Um Kreuzberg
vor dem erneuten Aufstand, dem Verfall, der sozialen Ausblutung und dem
Verlust seines spezifischen Charakters zu bewahren, brauchte es dringend
Hämer und sein Sanierungskonzept. Neben der IBA-Neu entschied Berlin sich
1979 für die Internationale Bauausstellung IBA-Alt und Hämer als Direktor.
Dieser krempelte den Planungsprozess um, das IBA-Team befragte mehr als
14.000 Anwohner über die Rolle ihrer Altbauquartiere. Partizipation gehörte
zum Bestandteil der Entscheidungsprozesse. Gleichwohl wurden bis 1987 fast
6.000 Wohnungen saniert, Höfe begrünt, Schulen in Stand gesetzt und Plätze
hergerichtet. Die Mieten explodierten dennoch nicht. Die IBA-Alt war das
Gegenstück zur heutigen Gentrifizierung. „Wir haben mit den Bewohnern und
nicht gegen diese gearbeitet“, fasste Hämer einmal seine Methode zusammen.
## Vater der behutsamen Stadterneuerung
Unter der Überschrift „Behutsame Stadterneuerung“ in Kreuzberg ist Hämers
Arbeit geläufig. 1983 veredelte das Berliner Abgeordnetenhaus dessen
demokratisch organisierte Stadtplanung und beschloss die „12 Grundsätze der
Behutsamen Stadterneuerung“, die zugleich offiziell den Abschied von der
Berliner Flächen- und Kahlschlagsanierung bedeuteten.
Hämer – mal charmant, mal cholerisch, immer voller Energie und mit einer
dichten Lockenmähne bekrönt – war von da ab ein Löwe unter den Planern. Er
war Kult. Nach der IBA-Zeit gründete er 1986 die S.T.E.R.N. Gesellschaft
der behutsamen Stadterneuerung mbH und wurde deren Geschäftsführer, bis
1997 sein Kompagnon übernahm.
Auf Stadtforen oder an der Akademie der Künste stritt Hämer bis nach der
Jahrtausendwende weiter heftig über die Zukunft Berlins. Für das Nazi-Bad
Prora und das Bauhaus in Dessau entwickelte er Konzepte. Er schrieb Bücher.
Die Abrisse im Ostteil Berlins begleitete Hämer oft mit Spott, da merkte
man, dass die Macht nicht mehr auf seiner Seite war.
Aber die Kraft: Gustav Hämer zog sich nach seiner Emeritierung vor ein paar
Jahren nach Ahrenshoop an der Ostseeküste zurück. Seine Fischerkirche
musste erneuert werden. Die zweite Frau wartete dort auf ihn. Zur gleichen
Zeit rebellierten in Berlin ein paar Studenten gegen den geplanten Abriss
des denkmalwerten Studentendorfs Schlachtensee, ein schönes, aber marodes
50er-Jahre-Ensemble nahe der FU Berlin.
## Lautstarker Einsatz fürs Studentendorf
„Ich weiß noch, wie Gustav Hämer zu uns kam und bei einer Veranstaltung mit
der Krücke auf den Tisch donnerte und den Erhalt forderte“, erinnert sich
Andreas Barz, heute Vorstandschef der Genossenschaft Studentendorf
Schlachtensee. „Ohne Hämer, der bis dato noch Ehrenvorsitzender des
Aufsichtsrates ist, wäre das Studentendorf sicher verschwunden. Er gab
gewissermaßen die Initialzündung für den Erhalt und die behutsame
Erneuerung der Bausubstanz.“
Mit Hämers Hilfe und Kontakten konnten die Bauten gerettet werden, seit
2003 werden sie saniert. Zu seinen Ehren wurde der zentrale Weg im
Studentendorf in „Gustav-Hämer-Weg“ umgetauft. Was kommt zum 90.? Erst mal:
„Congratulations, Gustav!“
12 Apr 2012
## AUTOREN
Rolf Lautenschläger
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
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