# taz.de -- 7. Berlin-Biennale: Die Selbstabschaffung der Kunst | |
> Ende April beginnt die 7. Berlin-Biennale. Den Machern schwebt ein | |
> Paradigmenwechsel vor. Das kulturelle Erbe könnte auf den Müllhaufen der | |
> Geschichte befördert werden. | |
Bild: Der palästinensische Künstler Khaled Jarrar hat eine Briefmarke für ei… | |
Ein flatternder Sonnenvogel, der an einer rosaroten Blüte nascht. Das Bild, | |
das der Künstler Khaled Jarrar vor Kurzem in Berlin vorstellte, sah auf den | |
ersten Blick wie eine Kitschpostkarte aus. Wer unter der anrührenden Idylle | |
die Inschrift „State of Palestine“ las, bemerkte die Absicht. Der | |
palästinensische Künstler hatte eine Briefmarke für einen Staat erfunden, | |
der überhaupt noch nicht existiert. | |
Eine konkrete politische Utopie, noch dazu in ästhetisch ansprechender Form | |
– die Aktion des 1976 geborenen Jarrar kam wie gerufen. Denn der erste | |
Versuch, dem Publikum die Botschaft der 7. Berlin Biennale nahezubringen, | |
die Ende April in den Kunst-Werken beginnt, war Mitte Januar spektakulär | |
gescheitert. Damals hatte die einfältige Idee des tschechischen Künstlers | |
Martin Zet, Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ über | |
eine Sammelaktion aus dem Verkehr zu ziehen, für einen Sturm der Entrüstung | |
gesorgt. | |
Spätestens seit diesem denkwürdigen Auftakt beschlich Beobachter eine | |
ungute Vorahnung, was mit dem schillerndem Slogan Artur Zmijewskis, des | |
Biennale-Kurators, gemeint sein könnte. Der hatte eine „Kunst, die | |
verändert, Kunst, die nicht leer, sondern kritisch ist, die keine | |
Pseudokritik produziert, sondern tatsächlich transformiert und gestaltet“ | |
angekündigt. Der jüngst veröffentlichte Materialband der Biennale befreit | |
von dieser Furcht nicht. Auch wenn ihre Macher ihm den aufmunternden Titel | |
„Forget Fear“ gegeben haben. | |
Es sind nicht so sehr die Beispiele politisch inspirierter Kunst, die | |
Zmijewski und seine Mitstreiterin Joanna Warsza anführen. Wer wollte etwas | |
gegen die Pixaçãos sagen, die Graffiti-Bewegung, die es von den | |
Armenvierteln São Paulos bis in die dortige Biennale schaffte? Oder gegen | |
den kolumbianischen Politiker Antanas Mockus, dessen Versuche, als | |
Bürgermeister von Bogotá mit der Kunst Politik zu machen, an die | |
semiotischen Strategien des Subcomandante Marcos erinnern? | |
## Deckmäntelchen für politischen Widerstand | |
Interessant verspricht auch das Gastspiel der Moskauer | |
Dokumentartheatergruppen Teatr.doc und Joseph-Beuys-Theater zu werden. | |
Anfang Mai wollen sie im Hebbel am Ufer demonstrieren, wie Künstler auf | |
Menschenrechts- und Demokratieverletzungen in Putins lupenreiner Demokratie | |
reagieren und „Antworten darauf organisieren“. | |
Der russischen Truppe Voina dient das Wort Kunst aber offenbar nur als | |
Deckmäntelchen für politischen Widerstand. „Wenn wir als Künstler etwas | |
äußern, kommt es sofort an“, erklärt Leo „The Fucknut“ dem Kurator | |
Zmijewski, wie es das „Künstlerkollektiv“ geschafft hat, ein Medienecho f�… | |
seine „harten und brutalen“ Aktionen gegen die russische Miliz zu finden. | |
Nun wäre gegen ein konsequentes Plädoyer für die politische Kunst oder die | |
Propaganda-Art in Form einer Biennale nichts einzuwenden. Doch Zimijewski & | |
Co wollen offenbar einen grundlegenden Paradigmenwechsel durchpauken. Sonst | |
würden der Kurator und Igor Stokfiszewski von der die Biennale begleitenden | |
Zeitschrift Krytyka Polityczna (Die politische Kritik) nicht derart gegen | |
„Fassadenkultur“, „neoliberale Dekorkunst“ und passiven Kunstkonsum zu | |
Felde ziehen. Vermutlich würden sie auch Herbert Marcuses Diktum von der | |
„Schönheit als dem sinnlichen Erscheinen der Idee der Freiheit“ als | |
„apolitischen Humanismus“ abtun, der Galerien und Museen nur mit | |
wirkungslosen „Artefakten“ füllt. | |
## Politische Verpflichtung der Kunst | |
Nassforscher ist das kulturelle Erbe selten auf den Müllhaufen der | |
Kunstgeschichte befördert worden – samt dem Konstruktionsakt Wahrnehmung | |
und dem Diskurs um Kunst. Den Bilderstürmern schwebt aber auch eine | |
politische Verpflichtung der Kunst vor. | |
Einerseits spricht Zmijewski, scheinbar gemäßigt, von „künstlerischem | |
Pragmatismus“, um dann wieder von der Kunst den „radikalen Bruch mit dem | |
System“ zu fordern. Gute Kunst ist in den Augen des polnischen | |
Künstlerkurators nämlich nur solche, die „die Schwelle zu echten Taten“ | |
überschreitet. Da wundert es nicht, dass Stokfiszewski in seinen zehn | |
Thesen „Das politische Programm der Kunst“ erklärt: „Ein Künstler, der … | |
Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen und politischen Organisationen | |
verweigert, erklärt damit nur sein mangelndes Interesse an der | |
Nachhaltigkeit künstlerischen Handelns.“ | |
Wahre Kunst, so Stokfiszewski, diene immer der „Affirmation einer | |
Gemeinschaft“. Um dann den „Vorrang des Lebens vor der Ästhetik“ | |
auszurufen. Mit anderen Worten: Die 7. Berlin Biennale ruft zur | |
Selbstabschaffung der Kunst auf. Ob Khaled Jarrar weiß, auf wen er sich | |
eingelassen hat? | |
16 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arend | |
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