# taz.de -- Mädchengangs in L.A.: Wenig Hoffnung, viel Schicksal | |
> Schlagen, stechen, schießen: Eine sehenswerte französische Produktion | |
> zeigt den Alltag von Mädchengangs im rauen Los Angeles. | |
Bild: Ein Ersatz für zerbrochene Familien: Mädchenbande in L.A. | |
Es sei das Porträt des zeitgenössischen Amerika mit seinen | |
Klassenunterschieden und Ungerechtigkeiten, das Porträt eines „im Verfall | |
begriffenen Landes“, sagt Arte. | |
In diesem Land, den Vereinigten Staaten von Amerika, in dieser Stadt, Los | |
Angeles, fahren junge Frauen durch die Straßen und lachen. Sie sind 16 oder | |
21. Sie sitzen kiffend um einen Tisch und erzählen, wie sie damals der | |
einen in den Hals stachen – das sei die beste Geschichte, sagen sie und | |
kippen um vor Lachen. Sie zerren einander an den Haaren, schlagen sich | |
gegenseitig die Nase blutig: Hau ab! Halt die Fresse, Bitch! | |
Sie sitzen an einer Kinderwiege und sagen: Ich muss rauskommen aus dem | |
Ganzen, bevor das Mädchen groß ist. „Die Mädchenbanden von L.A.“ heißt | |
dieses Porträt (21.45 Uhr, Arte). 90 Minuten, manchmal grausam nah, oft | |
aber weit weg vom eigentlichen Geschehen: von den Schießereien, dem | |
schnellen Fliegen der Fäuste, von der Prostitution. | |
Sehr sehenswert, eine Dokumentation im eigentlichen Sinne. Ein Film über | |
den Alltag junger Mütter ohne Zukunft. Wenn man vielleicht auch zu viel | |
sieht in anderthalb Stunden Film: zu viele Menschen, zu viele Orte. Der | |
Film verweilt nur kurz bei seinen Protagonisten, zeigt kaum längere | |
Handlungsabläufe, meist nur Momente: warten, essen, Waffen präsentieren. | |
Alltag in L. A. | |
## Mütter ohne Zukunft | |
40.000 Gangmitglieder gibt es schätzungsweise in der Stadt, 4.000 davon | |
sind Frauen. „Die Mädchenbanden“ erzählt ihre Geschichten, blendet die | |
Namen der Frauen ein und zwei Zahlen: fünf Kinder ohne Sorgerecht, sechs | |
Jahre Haft. Zwei Kinder ohne Sorgerecht, acht Jahre Haft. Wie sich diese | |
Zahlen bedingen, das zeigen diese Geschichten. | |
Die Macherin des Films, Stephanie Lamorre, ist mit der Kamera durch die | |
gefährlichsten Teile von Los Angeles gefahren. Ihr Film zeigt, karussell- | |
und schlaglichtartig, Alltagsszenen der Mädchenbanden in East L. A. oder | |
South Central. Wenig Hoffnung, viel Schicksal. Dabei fragte Lamorre die | |
jungen Frauen: Was bedeutet Liebe? Was bedeutet Hass? Was bereut ihr? | |
## Knast oder Tod | |
Sie bekommt nachdenkliche Antworten. Vor allem dann, wenn die jungen Frauen | |
bereits Mütter sind. Bemerkenswert, wie zärtlich sie von ihren Kindern | |
sprechen, das Gefühl nimmt die Straße ihnen offenbar nicht, vieles andere | |
schon. Sie sind hart geworden, oder geben vor, hart zu sein: Du musst am | |
schnellsten schlagen, du musst am schnellsten stechen, du musst am | |
schnellsten schießen! Es bleibt nur der Knast oder der Tod! | |
Solche Sätze sagen sie, wenn die Kamera angeht. Es klingt, als ob sie diese | |
Sätze nicht zum ersten Mal sagen. Sie haben sie gelernt und übernommen. | |
Knappe Weisheiten, Poesie der Straße, grausame Wahrheit. Aber auch das | |
zeigt diese Dokumentation: Die Gang nimmt, und zwar Individualität, | |
Freiheit, Legalität, und sie gibt: Zusammenhalt und einen Ersatz für | |
zerbrochene Familien. Ein Gefühl von Heimat. | |
Abseits davon erfährt der Zuschauer wenig darüber, wie die Mädchenbanden | |
funktionieren, wie sie sich unterscheiden von männerdominierten Gangs und | |
wie sie entstanden sind. Aber man bekommt einen Eindruck. Zum Beispiel, | |
wenn eine der jungen Frauen auf der Veranda steht und mit dem Zeigefinger | |
erklärt, wo der Herrschaftsbereich ihrer Bande endet: zwei Blocks nach | |
rechts wartet die eine Gang, vier Blocks weiter vorne die andere. | |
Die Gangs als parastaatliche Ordnungsmacht. Ein Ausschnitt des Alltags in | |
Los Angeles. Doch dass die Vereinigten Staaten von Amerika, das ganze Land, | |
tatsächlich im „Verfall“ begriffen sind – das zeigt dieser Film nicht. | |
„Die Mädchenbanden von L.A.“, 21.45 Uhr, Arte. | |
17 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Felix Dachsel | |
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