| # taz.de -- Rassismus: Dunkle Verdächtigungen | |
| > Polizeikontrollen aufgrund von Hautfarbe oder Aussehen sind in Berlin an | |
| > der Tagesordnung. Sie anzufechten, ist schwierig: Das Gesetz erlaubt in | |
| > bestimmten Fällen Kontrollen ohne vorliegenden Verdacht. | |
| Bild: Polizeikontrollen aufgrund von Hautfarbe und Aussehen sind in der Kritik. | |
| „’Wir sind hier nicht in Afrika‘, hat der Polizist zu mir gesagt. Weil ich | |
| angeblich im Auto nicht angeschnallt war.“ Abasi O.* klingt nicht aufgeregt | |
| oder überrascht. Vielleicht, weil Polizeikontrollen für den gebürtigen | |
| Nigerianer und Familienvater, der seit 2007 in Berlin wohnt, zum Alltag | |
| gehören. „Ich wurde im letzten Jahr 15 Mal kontrolliert – ohne Verdacht“, | |
| berichtet er. Die angebliche Verletzung der Gurtpflicht sei in diesem Fall | |
| der Vorwand gewesen, um ihn kontrollieren zu können. Auch das kannte er | |
| schon. Also sagte er zu den Polizisten: „Sie kontrollieren mich nur, weil | |
| ich schwarz bin.“ Dafür stand O. Anfang März vor Gericht, als Angeklagter. | |
| Verurteilt wurde er wegen Beamtenbeleidigung: Er soll die Polizisten als | |
| Rassisten beschimpft haben. | |
| „Vordergründig geht es in diesem Fall um die ’verletzte Ehre‘ der Beamte… | |
| Aber im Grunde wird erneut die Tatsache rassistischer Personenkontrollen in | |
| Berlin verhandelt“, sagt Biplap Basu von der Kampagne für Opfer | |
| rassistischer Polizeigewalt (KOP). Basu kennt solche Fälle zur Genüge. In | |
| seinem langjährigen Engagement gegen Rassimus kommt er regelmäßig mit | |
| Opfern von Polizeigewalt in Kontakt. Deshalb gründete er 2002 die KOP – | |
| gemeinsam mit der Opferberatungsstelle ReachOut, dem | |
| Antidiskriminierungsbüro, dem Ermittlungsausschuss (EA) und dem Netzwerk | |
| Selbsthilfe. | |
| Die KOP bietet Opfern von Polizeigewalt die Möglichkeit, ihre Sichtweise | |
| zum Ausdruck zu bringen. Zudem steht die Kampagne ihnen mit einem | |
| Rechtshilfefonds zur Seite. „Meist werden die Opfer als Täter hingestellt, | |
| so wie Abasi O.“, sagt Basu. „Hinter dieser Form rassistischer Gewalt | |
| stehen keine Privatpersonen, sondern ein System.“ | |
| ## Alltag für viele | |
| Bei verdachtsunabhängigen Kontrollen kontrolliere die Polizei gezielt | |
| people of color, weiß Basu: Menschen, die die Polizisten als „fremd“ oder | |
| „undeutsch“ empfänden. Auslöser könnten eine andere Sprache, eine | |
| unterstellte Herkunft oder die vermeintliche Religionszugehörigkeit sein. | |
| Diese Praxis, das sogenannte racial profiling, kritisieren Menschenrechtler | |
| als rassistisch. Dennoch gehört sie für viele BerlinerInnen zum Alltag und | |
| wird vom Gesetz gestützt. | |
| Auf [1][kop-berlin.de] dokumentiert die Kampagne detailliert Fälle, in | |
| denen Menschen in Berlin von der Polizei diskriminiert werden: 115 sind es | |
| seit dem Jahr 2000, der Fall Abasi O. ist der vorläufig letzte. Vollständig | |
| sei die Chronik keineswegs, so Basu: Es kämen nur die Fälle hinein, die KOP | |
| durch die Opfer selbst, durch Zeugen oder Presseberichte bekannt werden. | |
| Rassistisch motivierte Polizeiübergriffe gelangten aber selten zur Anzeige. | |
| Auf Bundesebene entschied das Verwaltungsgericht in Koblenz Ende Februar, | |
| dass die Hautfarbe Anlass für eine verdachtsunabhängige Kontrolle sein | |
| kann. Der Hintergrund: Ein Bundespolizist hatte einen Mann im Zug aufgrund | |
| seines Aussehens kontrolliert – was er offen zugab. Juristisch eindeutig | |
| war schon vorher, dass Menschen ohne Verdacht auf Flughäfen und in | |
| Grenznähe kontrolliert werden dürfen. Weil der Bahnfahrer auf einer Strecke | |
| unterwegs gewesen sei, die erfahrungsgemäß zur illegalen Einreise genutzt | |
| werde, hielten die Richter die Kontrolle für gesetzeskonform. Für Angelina | |
| Weinbender vom Migrationsrat Berlin-Brandenburg ein „Freischein für die | |
| deutsche Polizei, ihre rassistischen Kontrollen weiterzuführen“. | |
| Aber auch in Berlin kann jeder „einfach so“ kontrolliert werden – wenn er | |
| sich am falschen Ort aufhält. Aufgaben und Befugnisse der Polizei regelt | |
| das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog). Es legt fest, dass | |
| die Identität einer Person auch ohne Verdacht festgestellt werden darf, | |
| wenn sie sich an einem „kriminalitätsbelasteten Ort“ aufhält. Die | |
| Gesetzgebung überlässt der Polizei dabei einen großen Ermessungsspielraum – | |
| denn welche die „gefährlichen Orte“ sind, weiß nur sie. „Häufung, | |
| Begehungsweise und Schwere der Delikte sind maßgeblich bei der Einstufung, | |
| ob ein Ort als kriminalitätsbelastet gilt“, erklärt Polizeipressesprecher | |
| Stefan Redlich. Eine öffentliche Bekanntmachung dieser Orte sei aber nicht | |
| vorgesehen. | |
| Für Angelina Weinbender sind verdachtsunabhängige Kontrollen per se | |
| problematisch. „Denn es wird ein Täter gesucht, ohne dass ein konkreter | |
| Kriminalitätsfall vorliegt.“ In Großbritannien sei die Polizei verpflichtet | |
| zu dokumentieren, wen sie kontrolliert. Dabei habe sich gezeigt, dass | |
| schwarze Menschen überproportional oft kontrolliert werden, bei | |
| verdachtsunabhängigen Kontrollen noch häufiger. Hierzulande würden durch | |
| solche Kontrollen also „Nicht-Deutsche“ konstruiert und bestimmte | |
| Kriminalitätsbereiche äußerlichen Kriterien wie Hautfarbe oder Ethnie | |
| zugeordnet. | |
| ## Kein Zufall | |
| Wenn Berliner Polizisten nach eigenem Ermessen entscheiden, wen sie | |
| kontrollieren, tun sie dies – das legt der Fall auf Bundesebene nahe –, | |
| weil sie eine höhere Trefferquote bei Straftatbeständen vermuten. Oft geht | |
| es um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder den Aufenthaltsstatus. | |
| Daher ist diese Praxis nicht, wie das Wort „verdachtsunabhängig“ | |
| suggeriert, durch den Zufall bestimmt, sondern folgt einem klaren Raster. | |
| „Rassismus beschränkt sich nicht auf den rechten Rand der Gesellschaft“, | |
| erklärt Biplap Basu. „Er ist auch institutionell verankert.“ Das | |
| anzuerkennen, wäre für Basu ein erster Schritt in die richtige Richtung. | |
| Die Polizei bestreitet aber, dass sie racial profiling praktiziert. | |
| Sprecher Redlich hält fest, dass die Berliner Polizei sich „in keiner Weise | |
| auf Rasse, Hautfarbe, Abstammung oder nationale bzw. ethnische Herkunft als | |
| Basis für Strafermittlungen oder gefahrenabwehrende Maßnahmen bezieht“. | |
| Würde ein entsprechender Vorwurf erhoben, sei man verpflichtet, dem | |
| nachzugehen. Statistiken, wie erfolgreich verdachtsunabhängige Kontrollen | |
| sind, gibt es nicht. | |
| Abasi O. wirkt wie ein Mensch mit langem Atem. Den wird er brauchen, denn | |
| gegen das Urteil wird er Widerspruch einlegen. Die Polizisten hat er | |
| seinerseits wegen Beleidigung angezeigt. | |
| * Name geändert | |
| 20 Apr 2012 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://kop-berlin.de | |
| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA |