# taz.de -- Völkermord: Weißer Marmor und offene Fragen | |
> Politiker kritisieren den Heldenkult um zwei Verantwortliche des | |
> Armenier-Genozids von 1915. Ihrer wird auf dem Friedhof an der Neuköllner | |
> Sehitlik-Moschee gedacht. | |
Bild: Die Sehitlik-Moschee in Berlin-Neukölln. | |
„Beim Grundstück der Sehitlik-Moschee handelt es sich um exterritoriales | |
Gebiet“, heißt es aus dem Büro des Neuköllner Bürgermeisters Heinz | |
Buschkowsky. Aus diesem Grund wolle sich der SPD-Politiker nicht dazu | |
äußern, dass auf dem Friedhof der Moschee am Columbiadamm zwei Drahtzieher | |
des Völkermords an den Armeniern begraben liegen. Wie die taz berichtet | |
hatte, kritisieren Menschenrechtsaktivisten die prominenten Grabmäler, und | |
die politische Botschaft, die sie vermitteln. | |
„Von armenischen Terroristen ermordet“, steht in goldenen Lettern auf den | |
weißen Marmorplatten über den Gräbern von Bahaddin Sakir und Cemal Azmi. | |
Beide sind seit langem auf dem muslimischen Friedhof bestattet, doch 2011 | |
wurden die Begräbnisstätten aufwändig erneuert. Am vergangenen Dienstag | |
protestierten deshalb vor der Moschee zwei Dutzend Personen, darunter viele | |
Armenier. Sie betrachten den 24. April als den Tag, an dem das osmanische | |
Reich im Jahr 1915 den Völkermord entfesselte. Die Demonstranten warfen der | |
Sehitlik-Gemeinde vor, Hauptverantwortliche für das Genozid als Märtyrer | |
darzustellen. Diese Menschen verdienten keine Verehrung – „weder in Berlin | |
noch anderswo“. | |
Azmi und Sakir wurden 1919 in Istanbul von einem osmanischen Kriegsgericht | |
in Abwesenheit zu Tode verurteilt. Sie wurden für die Massenmorde an | |
Armeniern verantwortlich gemacht. Die Briten ließen sie jedoch nach ihrem | |
Sieg über das Osmanische Reich frei, im April 1922 wurden beide von | |
Armeniern in Berlin erschossen. | |
Die religionspolitische Sprecherin der Grünen, Susanna Kahlefeld, hält den | |
Protest für notwendig: „Die Leugnung des Genozids ist kein türkischer | |
Common Sense!“ Sie könne sich nicht vorstellen, so Kahlefeld, dass alle | |
Mitglieder der Gemeinde darüber informiert seien, dass Gedenkfeiern für die | |
beiden Völkermörder stattfinden. Eine religiöse Institution wie die | |
Sehitlik-Moschee müsse sich dem Täterkult entgegenstellen. | |
Auch für Canan Bayram, integrationspolitische Sprecherin der | |
Grünen-Fraktion, gibt es keinen Zweifel: „Es gab den Völkermord an den | |
Armeniern.“ Den Protest sehe sie als Anlass, sich mit der Problematik | |
intensiver zu beschäftigen. Auch wenn die Moschee eine türkisch-staatliche | |
Einrichtung sei, müsse sich die Berliner Gemeinde dieser Vergangenheit | |
stellen. Deutsche Politiker sieht Bayram dabei in der Pflicht, Stellung zu | |
beziehen. Aufklärung sei ein wichtiger Schritt zum Frieden. | |
Ein großes Problem bei der Anerkennung des Völkermords sieht der Neuköllner | |
SPD-Abgeordnete Erol Özkaraca darin, dass falsche Informationen von | |
Generation zu Generation weitergegeben würden: „Viele Türken glauben nicht | |
an den Völkermord, weil sie es nicht besser wissen.“ Das müsse sich ändern, | |
durch bewusste Aufklärung in den Familien, in den Schulen und durch die | |
Medien. Türken wie Deutsche müssten sich dem Thema stellen. „Warum sind | |
diese Männer hier begraben?“, fragt Özkaraca, „warum hat Deutschland dies… | |
Menschen damals Unterschlupf gegeben?“ | |
Diese Frage stellt sich Burkhard Dregger, integrationspolitischer Sprecher | |
der CDU, nicht. Seiner Ansicht nach kann die Türkei beim Thema Aufarbeitung | |
viel von Deutschland lernen: „Es gibt keine andere Nation, die sich ihrer | |
Geschichte so verantwortungsvoll und selbstkritisch stellt wie die deutsche | |
Nation.“ Die Türkei solle auch hier Deutschland als Vorbild nehmen, so | |
Dregger. | |
26 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
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