# taz.de -- Erben und Streiten: Geronnene Liebe | |
> Erben kann Familien zerstören. Für viele ist es tabu, darüber zu | |
> sprechen. Sibylle Plogstedt tut es trotzdem – und hat sogar einen | |
> Ratgeber darüber geschrieben. | |
Bild: Lieber regeln, so lange man noch lebt: das Erbe. | |
Wenn es ans Erben gehe, materialisiere sich Liebe, meint Sibylle Plogstedt. | |
Unter Umständen sei die Gefühlsrechnung, die dabei aufgemacht werde, ganz | |
einfach: „Wer mehr bekommt, wurde mehr geliebt.“ | |
Selbst wenn es sich nur um einen salopp dahingesagten Satz handelt, werden | |
dabei doch drei Themen angesprochen. Erstens: Beim Erben geht es um | |
Materielles. Bis 2020 werden in Deutschland laut einer Studie des Deutschen | |
Instituts für Altersvorsoge 2,6 Billionen Euro vererbt. Zweitens: Beim | |
Erben geht es zudem um Immaterielles, um Gefühle. Drittens: Beim Erben ist | |
das familiäre Harmoniegefüge in Gefahr – und bei etwa einem Drittel der | |
Erbangelegenheiten kracht es auch auseinander. Oft mit einer Wucht, die | |
spätere Versöhnung unmöglich macht. | |
Diese Disharmonie hat Sibylle Plogstedt fasziniert. Fasziniert hat sie | |
zudem, dass Erben aufgrund dieser Gemengelage ein Tabu ist. Es gelte die | |
Maxime: „Übers Erben spricht man nicht.“ | |
Plogstedts erster Impuls, dieses Tabu zu brechen, hat mit der Geschichte | |
einer Freundin zu tun, die mitten in einem Erbstreit steckte. Einem | |
unglücklichen. Als sie keinen Ratgeber übers Erben fand, den sie ihr zum | |
Geburtstag hätte schenken können, hat sie selbst einen geschrieben. | |
Plogstedt hat für ihr Buch mit Leuten aus ganz unterschiedlichen | |
gesellschaftlichen Zusammenhängen gesprochen, die geerbt haben, erben | |
sollten oder enterbt wurden. Mit solchen, die Häuser bekommen sollten oder | |
Geld. Mit solchen, bei denen durch die Erbschaft die Existenz von | |
Handwerksbetrieben zerstört oder große Unternehmen zerschlagen wurden. | |
Sie hat mit Frauen gesprochen, die seit dem Erbstreit nicht mehr mit ihren | |
Geschwistern reden. Sie hat mit verwitweten Müttern gesprochen, die seit | |
dem Erbstreit ihre Söhne nicht mehr sehen. Sie lässt Kinder zu Wort kommen | |
aus der ersten Ehe eines verstorbenen Vaters, die nicht mehr mit der | |
zweiten Frau des Vaters reden. | |
## Konflikte brechen wieder auf | |
„Beim Erben werden Familien gekillt“, sagt Plogstedt. Und: „Erben ist | |
geronnene Liebe.“ In Familien, in denen es zum Erbstreit komme, seien die | |
Kinder oft manipuliert worden. Die verdeckten familiären Konflikte brechen | |
in der Erbsituation wieder auf. | |
Zwei Dutzend Begegnungen sind es. Es soll ganz einfach gewesen sein, die | |
Leute zu finden – durch Hörensagen, durch Mundpropaganda. Plogstedt indes | |
geht es nicht nur darum, aufzuschreiben, was schiefläuft. Die Fallbeispiele | |
sind ihr eher Vorlage für eine Analyse, wie der Erbstreit hätte vermieden | |
werden können. Etwa, indem alle Beteiligten frühzeitig in | |
Testamentsentscheidungen einbezogen werden. | |
Dass Erben Besitzverhältnisse verschiebt, ist also bekannt. Dass sich in | |
der Art, wie sich diese Besitzverhältnisse verschieben, soziale Probleme | |
und gesellschaftliche Entwicklung ablesen lassen, vermutlich weniger. | |
So verstärkten Erbsituationen das größer werdende Gefälle zwischen ärmeren | |
und reicher werdenden gesellschaftlichen Schichten. In der ersten Dekade | |
dieses Jahrhunderts gab es in 28 Prozent der Erbhaushalte Erbschaften bis | |
13.000 Euro. In zehn Prozent der Erbhaushalte lag die Erbsumme über 266.000 | |
Euro. Auch die Korrelation zwischen Frauen und Erben sei aufschlussreich. | |
Bis zum Jahr 1960 etwa betrug der Erbunterschied zwischen Söhnen und | |
Töchtern zwei Drittel. | |
## Frauen kommen schlechter weg | |
Heute hat sich das Verhältnis nivelliert. Aber bis heute sei es so, dass | |
Frauen dann beim Erben schlechter wegkommen, wenn es mehrere Geschwister | |
und darunter Brüder gebe, meint Plogstedt. Da es jedoch immer mehr | |
Einkindfamilien gibt, gibt es auch mehr Frauen, die erben. Längerfristig | |
könne sich damit die wirtschaftliche Einflussnahme von Frauen verändern. | |
Sie können mit dem Geld gestalten. | |
Dem widerspricht, dass Erben und Erbinnen – aufgrund der höheren | |
Lebenserwartung derer, die vererben – länger warten müssen, bis sie etwas | |
bekommen. Das ererbte Geld wird also möglicherweise weniger in | |
Produktionskreisläufe investiert als zur Alterssicherung gebraucht. | |
Völlig offen sei, sagt Plogstedt, wie sich die Patchworkfamiliensituation | |
aufs Erben auswirkt. „Da steckt viel Zündstoff drin.“ Drei Viertel der | |
Erbstreitigkeiten geschehen in Patchworkfamilien. Als wäre Emanzipation | |
nicht zu Ende gedacht: „Plötzlich ist es nicht mehr so einfach, die | |
Freiheit, die wir zu Lebzeiten leben, auch über den Tod hinaus tragfähig zu | |
machen.“ | |
## Versorgung der eigenen Kinder | |
Falsch sei es übrigens anzunehmen, dass sich Frauen in Erbstreitereien | |
generell ausgleichender verhielten. In gemischtgeschlechtlichen | |
Gemengelagen vielleicht, „aber wenn Frauen im Erbstreit aufeinander | |
treffen, kann es schlimm werden“. Da würden archaische Muster wie das | |
Brutschützen, sprich die Versorgung der eigenen Kinder, wieder relevant. | |
Solidarität unter Frauen sei nicht mehr so ein starker Wert, wie er es noch | |
in den siebziger Jahren war. Plogstedt kommt aus diesen feministischen | |
Zusammenhängen. | |
Ziel einer Erbsituation müsste es eigentlich sein, sich über den Zugewinn | |
zu freuen. Deshalb müsse jede gelungene Intervention in Sachen Erben – und | |
dazu zählt auch so ein Buch, wie Plogstedt es geschrieben hat – Wege | |
vorschlagen, die den Streitfall verhindern. In Plogstedts Buch kommen daher | |
auch Erbmediatoren, Steuerberater und Juristen zu Wort. | |
Fehlende Information übers Erbrecht nämlich ist auch eine Ursache für | |
Streitigkeiten. „Und alle“, meint die Autorin, „die sich jetzt streiten, | |
werden es an ihre Kinder weitergeben.“ Sie rät deshalb: Die | |
Erbangelegenheiten dürfen nicht auf die nächste Generation verschoben | |
werden. Das Tabu muss gebrochen werden: „Erben muss man regeln, solange man | |
noch lebt.“ | |
27 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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