# taz.de -- TV-Duell vor der Wahl in NRW: Der selbstverliebte Herr Röttgen | |
> Norbert Röttgen tritt im TV-Duell gegen Hannelore Kraft auf wie ein | |
> unangenehmer Klassenstreber. Das reicht nicht im inhaltlichen | |
> Schlagabtausch mit Kraft, die souveräner ist. | |
Bild: Hannelore Kraft und Norbert Röttgen im Schlagabtausch: Da kann eine Vier… | |
KÖLN taz | Es war seine letzte große Chance. Er hat sie nicht genutzt. | |
Obwohl Norbert Röttgen zur Attacke blies, hat er die Trendwende nicht | |
geschafft. Beim TV-Duell der SpitzenkandidatInnen von CDU und SPD für die | |
Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen gelang es dem christdemokratischen | |
Herausforderer am Montagabend nicht, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft | |
den entscheidenden Schlag zu versetzen. Mehr als ein Patt war nicht drin – | |
und das bedeutet den Sieg für Kraft. Denn sie, die in den Umfragen deutlich | |
vorne liegt, hatte mehr zu verlieren. Gescheitert ist Röttgen an seiner | |
allzu großen Selbstverliebtheit und Arroganz. | |
Für das Duell der beiden Bewerber um den Ministerpräsidentenjob im | |
bevölkerungsreichsten Bundesland hatte der WDR einen der angesagtesten | |
Veranstaltungsorte in Köln ausgesucht: Die Vulkanhalle im früheren Kölner | |
Arbeiterstadtteil Ehrenfeld. Es beginnt mit einer Verspätung. Während Kraft | |
schon deutlich vor Beginn der Live-Sendung erscheint, lässt sich Röttgen | |
Zeit. Den für 19.50 Uhr angesetzten Fototermin lässt er verstreichen, fährt | |
erst zwanzig Minuten vor dem Start der Sendung vor. | |
Auch vor der Landtagswahl 2010 traf sich Kraft in dem aufgemotzten | |
einstigen Industriegebäude mit ihrem CDU-Konkurrenten. Doch damals war die | |
Ausgangsposition noch eine völlig andere: Sie war die Herausforderin, die | |
angriffslustig Noch-Amtsinhaber Jürgen Rüttgers in Bedrängnis brachte. Aber | |
das ist nicht der einzige Unterschied. Kraft und Rüttgers begegneten sich | |
seinerzeit auf Augenhöhe. Ihr Umgang miteinander war gepflegt, der Ton | |
moderat. Das ist an diesem Abend anders. Denn Röttgen schafft es nicht, die | |
Contenance zu wahren. Immer wieder unterbricht er Kraft. Kaum einen Satz | |
kann die Sozialdemokratin ohne eine spöttische oder besserwisserische | |
Zwischenbemerkung Röttgens zu Ende sprechen. | |
Röttgen lässt sich auf keinen Dialog ein, und kein Argument zu. Er will nur | |
Recht haben. „Muttis Klügster“ tritt auf wie einer jener unangenehmen | |
Klassenstreber, mit dem auf dem Pausenhof niemand spielen will. Sogar das | |
Moderatoren-Duo Gabi Ludwig und Jörg Schönenborn korrigiert er bisweilen | |
oberlehrerhaft. | |
Ein Sympathieträger sieht anders aus. Verbissen arbeitet er sich an der | |
Politik der rot-grünen Minderheitsregierungen und vermeintlichen | |
Auffassungen Krafts ab. Dabei lässt er sich auch durch Dementis oder | |
Präzisierungen der Regierungschefin nicht aus dem Konzept bringen. Was | |
seine politische Gegnerin denkt und plant, meint er besser zu wissen als | |
sie selbst. So entsteht mehrfach der Eindruck, als würde es ihm nur darum | |
gehen, Kraft das Wort im Munde umzudrehen. | |
## Frontalangriff im Kita-Streit | |
Das beste Beispiel ist gleich der erste inhaltliche Komplex des Abends: die | |
Diskussion um Kitas und das Betreungsgeld. Ein unangenehmes Thema für | |
Röttgen, hält doch nicht einmal seine Schattenfamilienministerin Ingrid | |
Fischbach etwas von der Herdprämie, während sich der Bundesumweltminister | |
aufgrund schwarz-gelber Koalitionsräson nicht davon distanzieren kann. Also | |
will er es schnell abräumen und geht in seiner Antwort umgehend zum | |
Frontalangriff auf Kraft über: Die wolle angeblich eine „Kita-Pflicht“. Das | |
jedoch sei „nicht Wahlfreiheit, das ist staatliche Bevormundung“. | |
Kraft widerspricht umgehend: „Nein, wir sind nicht für eine Kita-Pflicht.“ | |
Aber es nützt ihr nichts. In den folgenden zwanzig Minuten beharrt ihr | |
Konkurrent immer wieder darauf. Sie habe sich „ganz klar dafür | |
ausgesprochen. Es ist ein aus dem Zusammenhang gerissener Halbsatz aus | |
einem Interview Krafts mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, auf | |
den Röttgen rekurriert. In der entsprechenden Passage geht es um ihre | |
Ablehnung des Betreuungsgeldes. Bisher seien sich SPD und CDU einig | |
gewesen, dass Bildung schon in der Kita beginnen müsse, hatte Kraft gesagt | |
und weiter ausgeführt: „Dann müssen wir aber auch sicherstellen, dass alle | |
Kinder da sind, statt eine Prämie für Kinder zu zahlen, damit sie | |
fernbleiben.“ Der Kontext ist eindeutig – und doch glaubt Röttgen, hier | |
eine Steilvorlage für sich herauslesen zu können. Wenn Kraft sage, es müsse | |
sichergestellt werden, „ dass alle Kinder da sind“, bedeute das eindeutig | |
die Forderung nach einer Kita-Pflicht. Daran gebe es nichts zu deuteln. | |
Die Argumentation ist unseriös, aber Kraft pariert den Vorwurf nicht mit | |
der nötigen Souveränität. Sie bringt sich selbst in die Defensive, in dem | |
sie es zunehmend gereizt für nötig hält, immer wieder klarzustellen, dass | |
ihre Aussage anders gemeint war: „Wenn ich Kita-Pflicht gemeint hätte, | |
hätte ich Kita-Pflicht gesagt.“ Doch Röttgen lässt nicht locker, behauptet | |
stur das Gegenteil und spricht von einem „fundamentalen gesellschaftlichen | |
Unterschied“, den er ausgemacht haben will. So geht das eine endlos lange | |
Viertelstunde lang. Bis endlich zum nächsten Themenkomplex übergewechselt | |
wird. | |
## Lucky Punch gelingt nicht | |
Allerdings ändert Röttgen auch bei den weiteren Auseinandersetzungen über | |
die Haushaltspolitik des Landes, den Arbeitsmarkt, die soziale Lage sowie | |
die Energiepolitik nicht seinen Diskussionsstil. Er wirkt wie ein Boxer, | |
der nach Punkten uneinholbar zurückliegt und nun in der letzten Runde wild | |
um sich schlägt. Doch seine Hoffnung auf den Lucky Punch erfüllt sich | |
nicht. So sehr er Kraft zusetzt: Sie wankt zwar kurz, aber sie fällt nicht. | |
Stattdessen erholt sie sich im Laufe der Diskussion wieder und gewinnt | |
zunehmend ihre Selbstsicherheit zurück. | |
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Röttgen selbst in Bezug auf seine | |
Vorstellungen, wie er im unwahrscheinlichen Falle eines Wahlsieges in | |
regieren will, nicht viel zu bieten hat. Er ist sichtlich darum bemüht, | |
keine Angriffsflächen zu bieten, und bleibt deswegen durchgehend unkonkret | |
und nebulös. Zwar geißelt er das von Kraft präferierte Konzept einer | |
vorbeugenden Sozialpolitik als „Philosophie des Schuldenmachens“, muss aber | |
dann in kiebigem Ton eingestehen: „Dass Prävention immer besser ist als | |
Reparatur, das wissen wir alle, das ist ein Allgemeinplatz.“ Doch | |
Prävention kostet erstmal Geld – und das will Röttgen nicht investieren. | |
Ein Widerspruch, den er nicht auflösen will oder kann. | |
Die Bürger wollten wissen, welche Auswirkungen die von Röttgen propagierte | |
Sparpolitik für sie haben würde, hakt Moderator Schönenborn nach: „Wo tut | |
mir das persönlich weh, wenn ich mein Kreuz bei Ihnen mache.“ Röttgens | |
lapidare Antwort: „Es tut nicht weh.“ Doch das haut selbstredend nicht hin. | |
## Keine Klarheit im Wirrwarr | |
Auch das macht den Unterschied: Als Kraft 2010 als Oppositionsführerin | |
erstmalig zum TV-Duell antrat, zeigte sie sich selbstkritisch: „Wir sind | |
2005 abgewählt worden, weil wir nicht alles richtig gemacht haben.“ Ein | |
solcher Satz käme Röttgen niemals über die Lippen. Stattdessen lobpreist er | |
die Politik der gescheiterten schwarz-gelben Regierung. Als ihn Kraft | |
darauf hinweist, dass seine Sparpolitik gerade auch auf Kosten der | |
finanziell notleidenden Kommunen ging, ruft Röttgen ihr nur zu: „Das ist | |
Schnee von gestern.“ | |
Das TV-Duell ist eine über weite Strecken mühsame Angelegenheit und | |
verschafft den Zuschauern kein großes Sehvergnügen. Allzu oft verhaken sich | |
die KandidatInnen in einer wüsten Aneinanderreihung von Zahlen. | |
Selbstredend bezichtigen sie sich dabei gegenseitig, mit falschen Zahlen zu | |
jonglieren. Den ModeratorInnen gelingt es allzu selten, etwas zur Klarheit | |
in dem Wirrwarr beizutragen. Aber immerhin haben sich Ludwig und | |
Schönenborn eine schöne Schlussfrage ausgedacht: Was können die beiden | |
KontrahentInnen jeweils Positives über die Gegenseite sagen? Kraft gibt | |
sich versöhnlich: Beim Aushandeln des NRW-Schulkonsenses habe man | |
vertrauensvoll zusammengearbeitet und sich „schätzen gelernt, auch wenn das | |
hier nicht immer so deutlich geworden ist“. | |
Röttgen nutzt die Gelegenheit zu einer letzten Spitze: „Ich schätze, dass | |
Frau Kraft unsere Initiative zum Schulkonsens aufgenommen hat und dann auch | |
erkannt hat, dass unsere Inhalte besser waren.“ Der Schulkonsens trage | |
„unsere Handschrift“. Durch den in einem Nebenraum versammelten Pressetross | |
geht ein lautes Raunen. Doch Kraft schweigt. Ihr fehlt in diesem Moment die | |
Größe, diesen groben Unfug richtigzustellen: Der „Schulkonsens“ basiert | |
alleine auf der Initiative ihrer Stellvertreterin Sylvia Löhrmann, der | |
grünen Schulministerin. Wenn er eine Handschrift trägt, dann eine grüne. | |
Aber Kraft wollte offenkundig ihren Koalitionspartner nicht positiv | |
erwähnen. Am Mittwoch wird Löhrmann die Gelegenheit haben, selbst für eine | |
Richtigstellung zu sorgen. Denn dann gibt es das nächste Fernsehduell der | |
SpitzenkandidatInnen im WDR. Dann werden auch die der Grünen, der FDP, der | |
Linkspartei und der Piraten mit an Bord sein. Ein Hoffnungsschimmer. | |
1 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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