# taz.de -- Kommentar: Keine kraftvollen Symbole | |
> Soziale Bewegungen brauchen ihre Rituale. Die des 1. Mai sind verbraucht. | |
Bild: Champignons & Kartoffeln gegen Bankengier und Sparzwang | |
Der „Tag der Arbeit“ ist der Höhepunkt des Gewerkschaftsjahres. Die meisten | |
kommen zu diesem Fest, weil sie dort alte Bekannte treffen oder weil sie | |
davon ausgehen, dass man erwartet, sie dort zu sehen. Bürgermeister Jens | |
Böhrnsen stand in der zweiten Reihe vor dem Lautsprecherwagen und war einer | |
der wenigen, die – der Körperhaltung nach zu urteilen – über weite Streck… | |
zuhörte. Nur hin und wieder kontrollierte er diskret die neuen Nachrichten | |
auf seinem Smartphone. | |
Verloren stand da schräg hinter ihm ein Grüppchen der Firma mdexx, dieser | |
kämpferischen Belegschaft einer Siemens-Tochterfirma, die in den letzten | |
Jahren systematische Ausgliederung und Arbeitsplatzabbau erlebt hat. Aber | |
der 1. Mai kräftigt nicht mehr für den Arbeitskampf, das gewerkschaftliche | |
Ritual hat seine suggestive Kraft verloren. | |
Ein Ritual, das so kraftvoll wirken könnte wie das Abendmahl in der | |
christlichen Tradition, kann man nicht erfinden. Das „Mahl der Arbeit“ am | |
Vorabend der Feier des Tages der Arbeit ist für auserwählte Funktionäre da | |
und eher ein Pflichttermin. Da die Gewerkschaftsbewegung keine anderen | |
Symbole hat, steht die Rede im Mittelpunkt – gerade die Rede hat sich | |
entleert. Man könnte sie genauso auf lateinisch halten. Oder weglassen. | |
1 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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