# taz.de -- Kommentar 1. Mai: Die Angst vor Verdrängung politisiert | |
> Ein Signal an den Senat: Nicht nur Linke, sondern alle möglichen Leute | |
> demonstrieren am 1. Mai gegen Gentrifizierung. Die Politik muss ein | |
> Mittel gegen hohe Mieten finden. | |
Dass rund um den 1. Mai in Berlin so viele Menschen zu Demonstrationen | |
kamen wie lange nicht, lässt sich nicht mehr nur durch die Lust am Krawall | |
erklären. Es ist die Gentrifizierung – die steigenden Mieten und die | |
Verdrängung ärmerer Bewohner aus der Innenstadt –, welche die Leute auf die | |
Straße treibt. | |
Diese inzwischen für sehr viele spürbare Veränderung schwingt als Subtext | |
auf allen möglichen Veranstaltungen mit. Und bewirkt über die Jahre eine | |
Repolitisierung auch des Maifeiertags. | |
Natürlich kann man sagen: Was regen sich die Berliner so auf? In Hamburg | |
und München sind die Immobilienpreise viel höher. Doch das trifft nicht den | |
Kern des Problems. Zum einen liegt das Lohnniveau in Berlin deutlich unter | |
dem der westdeutschen Städte. Zum anderen hat die Entwicklung – anders als | |
etwa in München – eine schwindelerregende Dynamik bekommen. | |
In Prenzlauer Berg wurde die Bevölkerung innerhalb von fünfzehn Jahren | |
praktisch ausgetauscht. In den angesagten Stadtteilen Kreuzberg und | |
Nordneukölln, wo bislang auch viele Hartz-IV-Empfänger leben, ist Ähnliches | |
zu befürchten. Wer wenig Geld hat und ausziehen muss, der wird in seinem | |
bisherigen Umfeld kaum eine Bleibe finden. Es droht die Entheimatung. | |
Angesichts dieser tiefgreifenden Veränderungen in einzelnen Biografien, | |
aber auch im Gesamtgefüge der Stadt wundert es nicht, dass neben | |
Linksradikalen und Schaulustigen am 1. Mai alle möglichen Leute | |
demonstrieren gehen. Das Vertrauen in die Berliner Verwaltung ist zu Recht | |
gering: Der rot-rote Vorgängersenat hatte Gentrifizierung jahrelang allein | |
als einen erfreulichen Prozess begriffen, der Geld in die Stadt bringt. | |
Dass die Entwicklung auch ein Problem darstellt, leugnete er schlicht. Die | |
Koalition von SPD und CDU nennt die steigenden Mieten nun immerhin beim | |
Namen – und macht vorsichtige Vorschläge, wie die Preisexplosion zu bremsen | |
ist. | |
Von ihrem Erfolg hängt viel ab. Es ist ja gerade das Nebeneinander von | |
unangepassten Leuten auf engem Raum und die von günstigen Wohnungen | |
abhängige Subkultur, welche Berlin auch für Auswärtige interessant macht. | |
Findet der Senat gegen die hohen Mieten kein Mittel, wird die Innenstadt | |
langsam, aber sicher gediegen und langweilig. Das können nicht einmal die | |
Immobilienspekulanten wollen. Mit dem Freiraum für Ärmere verspielt Berlin | |
genau das, was der Stadt bisher ihre Attraktivität verleiht. | |
2 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Antje Lang-Lendorff | |
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