# taz.de -- Spanier in Berlin: „Hätte auch Kathmandu sein können“ | |
> Junge, arbeitslose Spanier ziehen in Scharen nach Berlin. Die Stadt ist | |
> eben hip, da kommen hippe Menschen. Aber ist es wirklich so einfach? | |
Bild: 1. Mai in Berlin: multikulturell. | |
BERLIN taz | Mitten in Berlin-Kreuzberg, in einer schummerigen Bar mit | |
Polstermöbeln, an irgendeinem Mittwochabend singen auf einmal alle, die an | |
der Theke sitzen, einen alten Song von Luis Eduardo Aute. Einer hat eine | |
Gitarre auf dem Schoß und spielt. Am Ende umarmen sich alle lachend und | |
bestellen noch eine Runde Cerveza. Berlins Szenebezirke scheinen voll von | |
Spaniern, jungen Spaniern, die gut gelaunt die Stadt genießen. | |
Die offizielle Zahl derjenigen, die innerhalb eines Jahres von Spanien nach | |
Berlin ziehen, hat sich innerhalb der vergangenen Dekade mehr als | |
verdoppelt, von gut 700 auf 1.700. In ihrem Heimatland sind fast 50 Prozent | |
der unter 25-Jährigen arbeitslos. Doch so viel besser ist es in Berlin auch | |
nicht. | |
„Überall, auf allen Kanälen in Spanien heißt es, Deutschland braucht | |
Ingenieure. Und das Bild, das dazu gezeigt wird, ist das Brandenburger | |
Tor“, sagt Diego, ein 32-jähriger Programmierer, der seit fünf Jahren in | |
Berlin lebt. „Mag ja sein, dass Ingenieure in Deutschland gebraucht werden, | |
aber nicht in Berlin, sondern in Bayern oder sonst wo“. | |
Diego betreibt zusammen mit ein paar anderen Spaniern das Internetforum | |
„[1][berlunes.com]“. Unter dem Slogan „Ellos tienen Mallorca, nosotros | |
tenemos Berlin“ („Sie haben Mallorca, wir haben Berlin“) finden sich in d… | |
Blog Ratschläge und Geschichten vom Leben Spanisch sprechender Menschen in | |
Berlin. „Viele, die nach Berlin kommen wollen, fragen ernsthaft, ob es | |
wirklich nötig ist, dafür Deutsch zu lernen. Das ist wie zu fragen, ob man | |
ins Wasser springen kann, ohne schwimmen zu können. Klar, kannst du, aber | |
wahrscheinlich wirst du ertrinken“, sagt Diego kopfschüttelnd. | |
## Job in Spanien? Schwierig. | |
Auf [2][berlunes.com] suchen Chemiker, Köche, Journalisten und Musiker nach | |
Jobs in Berlin – einige sind schon da, andere wollen erst kommen. Einige | |
können Deutsch, andere wollen es lernen und wieder andere sagen, sie trauen | |
sich das nicht zu, wollen aber trotzdem kommen. Fast alle erzählen davon, | |
wie schwierig es ist, in Spanien einen Job zu finden. | |
„Wer nichts wagt, der nichts gewinnt“, „Nichts ist unmöglich“ und „m… | |
Leben braucht eine Veränderung“ heißt es in den Foren. Es geht um eine | |
Generation, die ihren Ausweg sucht aus der Krise, die nicht rumsitzen, sich | |
ihr Schicksal nicht wegnehmen lassen will. Dass Berlin viel zu bieten hat, | |
ist eher ein willkommener Zusatz. | |
Und es erleichtert allenfalls den schwierigen Neustart. „Das erste Jahr war | |
sehr hart. Niemand weiß, wer du bist, du bist nichts wert“, erzählt | |
Beatriz. Die Grafikdesignerin und Illustratorin hat sich durchgekämpft. Sie | |
illustriert Bücher, macht plastische Kunst und hat eine kleine Kunstschule | |
gegründet. „Ich fühle mich als Künstlerin hier mehr integriert als in | |
Spanien. Hier ist die Konkurrenz natürlich viel größer, aber das gefällt | |
mir, es führt dazu, dass ich mich anstrenge und besser werde in dem, was | |
ich tue“, sagt sie. | |
## Wut und Sorge | |
Die hohe Arbeitslosigkeit in Spanien betrachtet sie mit viel Wut und Sorge. | |
„Wenn mir hier jemand sagt, ist doch schön, dass immer mehr Spanier | |
herkommen, sage ich: Nein, das ist nicht gut, das heißt, dass es in Spanien | |
hoffnungslos ist.“ Sie kann verstehen, dass viele ihr Glück außerhalb des | |
Landes suchen. Aber sie weiß auch, wie schwer es ist, alles hinter sich zu | |
lassen. „Um das zu tun, muss man an einer Grenze angekommen sein.“ | |
Auch Jordi hat sich durchgekämpft. Zusammen mit zwei anderen Spaniern hat | |
er vor neun Monaten das Café Colectivo im Stadtteil Friedrichshain | |
eröffnet. Es entwickelte sich schnell zu einem Treffpunkt für Spanier. Hier | |
kann man die Fußballspiele der Primera División sehen, es kommen | |
Flamencotänzer und jeden Sonntag gibt es Paella. „Aber wir haben auch | |
Veranstaltungen auf Deutsch“, schiebt Jordi fast entschuldigend hinterher. | |
Er ist seit sechs Jahren in Berlin. „Ein Freund von mir wollte weg aus | |
Spanien und hat mich gefragt, ob ich mitkomme. Dass es Berlin geworden ist, | |
war Zufall – ein Onkel von ihm hatte hier Freunde, die uns helfen konnten. | |
Aber es hätte auch Kathmandu sein können.“ Es ist Berlin geworden. Und | |
innerhalb Berlins ein kleines Barcelona. „Ich habe mein eigenes Ghetto | |
hier“, sagt Jordi. Aber es ist ihm wichtig zu erzählen, dass sein erster | |
und bester Freund in Berlin ein Deutscher war. „Hier haben die Leute mehr | |
Respekt vor dem, wie man lebt. Hier lassen sie uns sein, wie wir wollen.“ | |
## Hippes Image gut fürs Geschäft | |
„Wenn die Leute sehen, dass wir aus Berlin und Barcelona sind, ist das | |
gleich ein Grund für sie, uns gut zu finden“, sagt Tanit. Das hippe Image | |
beider Städte ist geschäftsfördernd für ihr kleines | |
Kunsthandwerk-Unternehmen. Sie lebt in beiden Städten, seit zehn Jahren | |
macht sie zusammen mit ihrer Schwester Accessoires wie Haarspangen, | |
Broschen und Knöpfe, die mit bunten Stoffen bezogen sind. | |
Ihr Leben in zwei Städten sei kein Problem. Tanit hofft nur, dass sie | |
irgendwann nur alle paar Monate von einem Ort an den anderen muss – und | |
nicht wie jetzt alle paar Wochen. Und sie möchte endlich Deutsch lernen. | |
„Noch lebe ich in Berlin in einem geschlossenen Kreis, den Rest sehe ich | |
nur von außen“, sagt sie. | |
Seit drei Jahren können sie und ihre Schwester von ihren eigenen Produkten | |
leben. „In Deutschland werden handgemachte Dinge mehr wertgeschätzt als in | |
Spanien“, sagt sie. Berlin mit seinen Flohmärkten und kleinen Geschäften | |
mit Nippes scheint da genau der richtige Absatzort zu sein. Aber in anderen | |
deutschen Großstädten verkauft sie mehr als in Berlin – wichtig ist nur der | |
Name der Stadt. | |
## Irgendwann zurück nach Spanien | |
Für Clara ist die Stadt egal. Sie kam mit einem Stipendium nach Berlin, für | |
ein freiwilliges soziales Jahr. Es folgte ein weiteres Stipendium und jetzt | |
eine Vertretungsstelle, die immer wieder verlängert wird. „Vier Jahre muss | |
ich noch warten“, sagt die Theaterpädagogin. „Dann kommt vielleicht eine | |
neue Regierung in Spanien und dann kann ich zurück“. | |
Wegen der konservativen Regierung in Madrid rechnet sie nicht damit, dass | |
es in Spanien Investitionen im Kultur- oder sozialen Bereich geben wird. | |
„Die Hälfte meiner Freunde in Spanien hat keinen Job. Und die, die mit mir | |
Sozialpädagogik studiert haben, sind entweder weggezogen oder haben kleine | |
Jobs – zehn Stunden die Woche, 200 Euro im Monat. Davon kann man doch nicht | |
leben.“ | |
Clara ist begeistert von dem Kulturangebot Berlins: „Das, was ich in Bilbao | |
nur theoretisch studiert habe, kann ich hier sehen und erleben. Und Jobs | |
wie den, den ich hier mache, gibt es überhaupt nicht.“ Aber dass sie in | |
dieser Stadt lebt, hält auch sie für Zufall. | |
„Es macht kaum einen Unterschied, ob ich hier lebe oder in Madrid“, sagt | |
sie. „Ich fühle mich als Europäerin.“ Natürlich sei es hart gewesen, die | |
Sprache zu lernen und sich mit der Bürokratie zurecht zu finden, aber sie | |
fühlt sich hier zuhause. „Und seit diesem Jahr gibt es Direktflüge Berlin �… | |
Bilbao, das ist das größte Geschenk für mich.“ | |
7 May 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://berlunes.com | |
[2] http://berlunes.com/ | |
## AUTOREN | |
Frauke Böger | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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