# taz.de -- Umbau der Nordbahntrasse in Wuppertal: Der Radweg ist blockiert | |
> Eine Wuppertaler Initiative hat Geld gesammelt und das Projekt | |
> angeschoben: Aus einer Bahntrasse soll ein Radweg werden. Doch die | |
> Stadtverwaltung ist den Bürgern zu langsam. | |
Bild: Die Bahn fährt schon lange nicht mehr – und die Fahrräder noch nicht. | |
WUPPERTAL taz | Wenn man mit Carsten Gerhardt durch Wuppertal fährt, kann | |
man ihn gleichzeitig leiden und lieben sehen. Eine Hand hat er am Steuer, | |
mit der anderen zeigt er eine Stadt, die immer weniger wird. Massiv | |
verschuldet und stark schrumpfend. Und er spricht darüber, was man aus ihr | |
machen könnte. Gerhardt lebte in Sydney, München und Düsseldorf. Er kam in | |
seine Geburtsstadt zurück, weil er „so ein Schollentyp“ ist. Eines Tages | |
beschloss er, sich für Wuppertal zu engagieren. Und damit fing der Ärger | |
an. | |
Gerhardt, 43, ist Gründer und Vorsitzender der Wuppertal Bewegung. Der | |
emotionale Auslöser für diese Bürgerbewegung war kein Zielkonflikt mit | |
einer politischen Entscheidung – wie etwa bei Stuttgart 21 oder im | |
Schulstreit von Hamburg. Die Wuppertaler Bürgerbewegung ist nicht gegen | |
etwas, sondern für etwas, sie will die Stadt wieder voranzubringen. | |
Leuchtturmprojekt der Bewegung ist die Umwandlung der stillgelegten | |
Eisenbahnstrecke „Nordbahntrasse“ in einen Fuß- und Radweg. Die | |
Nordbahntrasse führt über 22 Kilometer und sieben Tunnel durch den | |
Wuppertaler Norden. Die Hälfte innerstädtisch. Wenn man die Trasse betritt, | |
ist man binnen Sekunden in der Natur. Die Stadt kommt erst wieder in den | |
Blick, wenn man über eines der historischen Backsteinviadukte geht. | |
Bei der Vorstellung, dass ausgerechnet das bergige Wuppertal eine | |
Fahrradstadt sein könnte, lachen noch immer viele. Bisher gibt es kaum | |
Fahrradwege und kaum Fahrradverkehr, dafür Dauerstau. Abgesehen von der | |
kulturellen Dimension, dem wirtschaftlichen Potenzial, der Bewahrung von | |
Architektur und Geschichte ist das der Punkt: Man wird die hügelige Stadt | |
auf der flachen Strecke schneller mit dem Fahrrad als mit der Schwebebahn | |
durchqueren, vom Auto ganz zu schweigen. Allein 40 Schulen liegen in | |
unmittelbarer Nähe. Es ist ein Projekt, das alle wollen. Aber nun zieht | |
sich die Umsetzung seit 2006 hin und ist zu einem erbitterten Kampf | |
geworden zwischen Bürgern und Politik. Bei den Sitzungen des gemeinsamen | |
„Lenkungskreises“ knallen schon mal Türen. | |
Die Bürger hatten zunächst 2,5 Millionen Euro zusammengebracht, durch | |
einige örtliche Großsponsoren und viele, viele Kleinspenden. Das war die | |
Grundlage, um den Rest der veranschlagten 32 Millionen Euro Baukosten aus | |
Fördermitteln von Land, Bund und EU bekommen zu können. Dann stellten sie | |
2010 das erste Teilstück von 2,3 Kilometern in vier Wochen fertig. Danach | |
übergaben sie der Stadt die Federführung. Seither haben sie den Eindruck, | |
es gehe nur noch im Schneckentempo voran und sie würden permanent | |
gegängelt. | |
## „Wir wollen niemanden Piesacken“ | |
Die Stadt dagegen hat den Eindruck, die Bewegung sehe nicht, wie penibel | |
man die bürokratischen Anforderungen und Auflagen einhalten müsse, etwa um | |
den Artenschutz zu sichern, um die Fördergelder zu bekommen, um | |
Haftungsklagen auszuschließen. „Wenn das als Bevormundung oder als | |
bürokratische Schikane empfunden wird, muss man darüber reden“, sagt | |
Oberbürgermeister Peter Jung (CDU). „Wir wollen niemanden piesacken, warum | |
auch? Es ist aber unabdingbar, dass wir ein Vorhaben dieser Größenordnung | |
rechtssicher und sorgfältig realisieren.“ | |
Bei den Bürgern kommt das Wort „rechtssicher“ nicht so gut an. Das klingt | |
wie: „Danke, dass ihr die Vorarbeit geleistet habt, aber jetzt müssen | |
Profis ran.“ Braucht es wirklich Schriftverkehr von sieben Zentimeter | |
Dicke, bevor man die Renovierung einer einzigen Brücke angehen kann? | |
Braucht es wirklich diese immensen Ausgaben für Fledermausgutachten? Ist | |
das nicht Schikane, wenn die Stadt die Sponsoren der Bewegung einlädt, aber | |
nicht die Bewegung? | |
Die Sache eskalierte, als der Stadtkämmerer Johannes Slawig Fördergelder | |
zurückhielt, weil die Wuppertal Bewegung „schwere Vergabefehler“ beim Bau | |
des ersten Trassenstücks gemacht habe. Das ist das Stück, das die Bewegung | |
allein und zügig fertiggestellt hat. Um Rückerstattung von etwa 400.000 | |
Euro wird bis heute gestritten. | |
Gerade ist der Wuppertaler Unternehmer Heinz Schmersal gebeten worden, als | |
neutraler Mediator zu fungieren. Schmersal ist eine Wuppertaler Institution | |
und Arbeitgeber von 1.400 Beschäftigten. Was treibt ihn? Erstens hängt er | |
an seiner Stadt, zweitens ist er Sponsor der Nordbahntrasse, vor allem | |
sieht er das Projekt inzwischen ernsthaft gefährdet. „Es war so eine | |
Euphorie in der Stadt“, sagt er. „Und dann ging das Kompetenzgerangel los.�… | |
Grade war er das erste Mal im Lenkungskreis dabei. Seither schwant ihm: | |
„Diese Vermittlung wird sicher keine leichte Aufgabe.“ | |
## Professoren, Ingenieure und Steuerprüfer | |
Die „Rentnergang“ nennen manche im Rathaus die aktiv Engagierten unter den | |
1.100 Mitgliedern und etwa 2.000 Unterstützern der Wuppertal Bewegung. | |
Tenor: Die haben wohl sonst nichts mehr zu tun? Es sind emeritierte | |
Professoren, Doktoren, Diplomingenieure, Steuerprüfer, Werber, Künstler. | |
Leute, die sich von Autoritätsgesten und Fachjargon nicht ins Bockshorn | |
jagen lassen. Sie haben Netzwerke und Kompetenzen. Und sie kennen sich | |
inzwischen auch aus mit Förderrichtlinien und Fledermäusen, Kämmerern und | |
Molchen. Der engere Kern besteht aus etwa 20 Leuten. | |
An diesem Tag sind sie in Gerhardts Wohnung in einem großbürgerlichen | |
Stadtviertel in Hanglage zusammengekommen. Der Hausherr kocht unten Kaffee. | |
Und im Wohnzimmer oben sagt es die eine explizit und pathetisch, der andere | |
indirekt: Der Grund für ihr Engagement scheint bei allen die Liebe zu | |
Wuppertal zu sein. Und nun werden sie nicht zurückgeliebt. Jedenfalls nicht | |
vom Rathaus. Aber sie haben keine Lust mehr, immer nur zu nörgeln, dass es | |
abwärts geht – offenbar ein alte Tradition in der Stadt –, und Weggehen ist | |
auch keine Option. Gerhardt ist der Jüngste, manche sagen, er sei ihr | |
„Guru“. | |
Eigentlich ist er Doktor der Physik und leitet den Nachhaltigkeitsbereich | |
bei einem Düsseldorfer Beratungsunternehmen. Im Jahr 2005 entdeckte er bei | |
einem Fahrradausflug die zugewachsene Trasse. Gerhardt sagte zu seiner | |
Frau: Das darf man doch nicht verrotten lassen. Heute ist er geschieden, | |
aber das denkt er immer noch. | |
Schon 2007 erschien in brand eins ein Beitrag über die engagierten | |
Wuppertaler mit dem jubelnden Titel: „Das geht.“ Aber ein Ende ist immer | |
noch nicht nahe. Die Stadt teilt auf Nachfrage mit, die innerstädtischen | |
Teile würden Ende 2013 „nutzbar“ sein. Es gibt aber auch außerstädtische. | |
Locker lassen werden sie jedenfalls nicht mehr. „Das ist nicht alles in den | |
Kleidern hängen geblieben“, sagt Gerhardt, „aber das ist zu wichtig, und zu | |
viele haben uns unterstützt.“ Er sieht ziemlich jung und unverbraucht aus, | |
gar nicht abgefressen. Danke, sagt er. „Aber das ist nichts, was ich für | |
den Rest meines Lebens machen möchte.“ | |
Der Karlsruher Kunstprofessor und Medienwissenschaftler Peter Weibel | |
beobachtet den neuen Konflikt zwischen Bürgern und Politik seit Stuttgart | |
21 genau. „Das Problem entsteht, weil die Politik Bürgerbeteiligung zwar | |
beschwört, aber sie dann nicht einlöst, sondern auf ihrem Monopolanspruch | |
beharrt“, sagt Weibel am Telefon. | |
Die Bürger akzeptierten das Kompetenzmonopol der Politik oder Verwaltung | |
aber nicht mehr, eigneten sich selbst Kompetenzen an und maßten sich an zu | |
sagen: Wir wissen selber, was wir wollen. Das sei zu viel für die | |
Berufspolitiker. Ihre Reaktion: „Formalistische Prozeduren werden | |
herangezogen, um die Bürger zu entmutigen.“ Für Weibel ist das fatal. „We… | |
sich Bürgerbeteiligung als neue Stufe von Demokratie nicht durchsetzt“, | |
sagt er, „dann driften wir nach rechts. Wie Ende der 20er.“ | |
## Keine Angst vor Machtverlust? | |
Wuppertal habe eine lange Tradition der Bürgerbeteiligung, sagt | |
Oberbürgermeister Jung. „Insofern gibt es ganz sicher weder bei Politik | |
noch Verwaltung Angst vor Machtverlust.“ Die Stadt war mal reich. Dank | |
seiner Lage industrialisierte sich das Tal früher als das nahe gelegene | |
Ruhrgebiet. Heute tut man sich schwer mit dem Umbau von der Industrie- zur | |
Dienstleistungs- oder Wissensgesellschaft. Inzwischen hat man zwei | |
Milliarden Euro Schulden angehäuft und darf nur noch Pflichtausgaben | |
wahrnehmen. | |
„Der Graben zwischen Regierten und Regierenden ist extrem gefährlich“, sagt | |
der grüne Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Hermann Ott. Aus Otts Sicht | |
prallen bei diesem Streit zwar auch Egos aufeinander. Aber Auslöser des | |
Konflikts sei die „antiquierte Vorstellung der Stadtverwaltung vom | |
Verhältnis Stadt und Bürger“. | |
Die Macht ist in Wuppertal seit Jahren eisenhart aufgeteilt – und liegt in | |
den Händen weniger. Im Gemeinderat regiert eine SPD-CDU-Koalition, die | |
Opposition ist marginalisiert. Die politischen und gesellschaftlichen | |
Strukturen seien versteinert, sagt Ott. Und nun kommen da plötzlich Leute | |
und formen eine neue Bürgerelite. Was wollen die? Wirklich nur einen | |
Fahrradhighway – oder irgendwann das Rathaus stürmen – mit Gerhardt an der | |
Spitze? | |
Ach was, sagt Gerhardt. „Aber das ist unser Wuppertal. Und dann gibt es | |
einige Wenige in der Verwaltung, die den Rest des Tales gängeln wollen.“ Er | |
gehört übrigens keiner Partei an. Im Grunde, sagt Carsten Gerhardt, sei er | |
„eher unpolitisch“. Auch die Piraten sind innerhalb der Bewegung kein | |
Thema. | |
Unternehmer Schmersal sieht das Projekt Nordbahntrasse in ernsthafter | |
Gefahr, wenn man Bürger und Politik weiter aufeinander los ließe. „Es kann | |
passieren, dass die Sponsoren aussteigen“, sagt er. Das wäre angesichts der | |
Finanzlage der Stadt dann das Ende. Das will er verhindern. Aber ist er | |
überhaupt offizieller Vermittler? Einerseits hat ihn Oberbürgermeister Jung | |
gebeten, andererseits lässt er auf Nachfrage mitteilen, er sei nicht der | |
Ansicht, dass „ein Mediator als feste Institution für dieses Projekt nötig | |
ist“. Für Schmersal geht es längst um mehr als einen Radweg. „Wenn dieses | |
Projekt scheitert“, sagt der Unternehmer, „dann ist die Reputation aller | |
Beteiligten stark beschädigt.“ Vor allem die der Politik. | |
7 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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