# taz.de -- Rassismus im Theater: "Ein vergiftetes Mittel" | |
> "Blackfacing" auf der Bühne ist in die Kritik geraten. Julia Lemmle und | |
> Atif Hussein von "Bühnenwatch" erklären, wie und warum sie diese Praxis | |
> bekämpfen. | |
Bild: Bühnenwatch: "20 Inszenierungen in der BRD nutzen Blackfacing" | |
taz: Frau Lemmle, Herr Hussein, Sie kritisieren, dass sich weiße | |
Schauspieler für eine Rolle schwarz schminken. Wenn sich ein Schwarzer weiß | |
anmalt, ist das auch rassistisch? | |
Atif Hussein: Kommt drauf an: wenn er einen Weißen stereotyp und | |
klischeehaft darstellt, würde ich das ähnlich bewerten. | |
Julia Lemmle: Für mich macht das keinen Sinn. Auch Weiße können | |
diskriminiert werden, nur würde ich es nicht Rassismus nennen. Weiße wurden | |
kulturgeschichtlich einfach nicht qua Hautfarbe benachteiligt. Deshalb hat | |
„Whitefacing“ keine retraumatisierende Qualität. | |
Retraumatisierend? | |
Lemmle: Blackfacing ist vergleichbar mit dem N-Wort. Mit jeder Verwendung | |
wird an die Geschichte von Sklaverei und Folter angeknüpft. | |
Hussein: Bei jedem schwarz geschminkten Othello ekle ich mich. Es ist | |
verletzend, aber ich habe es lange hingenommen, weil ich mich damit allein | |
gefühlt habe. Dass ich jetzt Menschen kennengelernt habe, die das ähnlich | |
empfinden, hat mein Selbstbewusstsein gestärkt, es auch öffentlich zu | |
kritisieren. | |
Ist es wirklich immer Rassismus, wenn sich jemand das Gesicht schwarz | |
anmalt? | |
Hussein: Wir werfen niemandem vor, Rassist zu sein. Wir weisen nur darauf | |
hin, dass auf ein rassistisches Mittel zurückgegriffen wird. Blackface ist | |
nicht zu trennen von kolonialen Praktiken der Diskriminierung, Versklavung | |
und Folter. Auch heute grenzt es noch aus und macht schwarze Menschen | |
unsichtbar. Das ist ein vergiftetes Mittel. | |
Und die Freiheit der Kunst? | |
Hussein: Das Argument „Es gibt Kunstfreiheit, deshalb dürfen wir alles | |
machen“, das funktioniert so nicht. Bei allem, was auf der Bühne | |
stattfindet, gibt es eine Auseinandersetzung zwischen denen, die es machen, | |
und denen, die es rezipieren. Es gibt ja auch andere Tabus, die nicht | |
gebrochen werden, weil sie historisch verankert sind. Zum Beispiel alles, | |
was antisemitisch aufgefasst werden könnte, und das ist auch richtig so. | |
Lemmle: Für mich ist Kunstfreiheit kein Argument, sondern ein | |
Denkhindernis. Vorgebracht wird es meist von denen, die bereits viel | |
Freiheit haben, durch ihre Privilegien. Dadurch, dass sie „repräsentativ“ | |
für die sprechen dürfen, deren Stimmen sie ignorieren. Das ist eine | |
Strategie, um Macht zu erhalten. Dass Sexismus heute zumindest teilweise | |
kritisiert wird, musste auch gegen Männer durchgesetzt werden, die fanden, | |
Frauen seien zu dumm zum Studieren. | |
Wer verbirgt sich eigentlich hinter Bühnenwatch? | |
Hussein: Zusammengefunden hat sich die Gruppe über Facebook, nach der | |
Blackface-Inszenierung von Dieter Hallervorden am Schlossparktheater. | |
Lemmle: Wir sind fast alle im Theaterbusiness: DramaturgInnen, | |
Regieführende, TheaterwissenschaftlerInnen, SchauspielerInnen. In der | |
Kerngruppe sind wird rund 50, aber viel mehr Leute unterstützen uns. Der | |
Vorwurf, der schon mal erhoben wird, wir seien eine kleine, anonyme Gruppe, | |
die keine Ahnung von Theater hat, ist falsch. | |
Aber können Sie als Gruppe denn für alle Schwarzen oder people of color | |
sprechen? | |
Lemmle: Nein, wollen wir auch nicht. Wir sind eine gemischte Gruppe, bei | |
uns sind weiße und schwarze Menschen sowie people of color. Wir sehen uns | |
nicht als Stellvertreter. | |
Was genau sind Ihre Ziele? | |
Hussein: Das erste Ziel ist ganz klar: Blackfacing nicht mehr als Mittel | |
einzusetzen und anzuerkennen, dass es eine diskriminierende Praxis ist. Es | |
gibt derzeit deutschlandweit rund 20 Inszenierungen, in denen Blackfacing | |
angewendet wird. | |
Was haben Sie konkret vor? | |
Hussein: Wir wenden uns meist per Brief an die Verantwortlichen. In einigen | |
Fällen entsteht daraus ein produktiver Austausch, wie mit dem Deutschen | |
Theater. Das hat uns in diesem Vorgehen bestärkt. | |
Und die anderen Theater? | |
Lemmle: Leider sind viele Verantwortliche sofort in einer | |
Verteidigungshaltung. Das hat damit zu tun, dass sie aus einem | |
ausführlichen Brief nur herauslesen: Du bist ein schlechter Mensch. Aber | |
wir sind nicht das Jüngste Gericht. Es geht darum, sich miteinander so zu | |
verständigen, zu entwickeln und zu verändern, dass wirklich eine | |
Gesellschaft ohne Rassismus möglich wird. Dazu muss ich mein weißes | |
Selbstbild hinterfragen – und das macht vielen so große Angst, dass sie | |
lieber aggressiv um sich schlagen und sich so die Erweiterung der eigenen | |
Perspektive verbieten. | |
Die schwarzen Figuren in der „Unschuld“-Inszenierung des DT waren ja | |
positiv besetzt. | |
Lemmle: Rassismus heißt nicht, es böse zu meinen. Es geht immer darum: Wer | |
bestimmt, wie eine Figur ist, welche Funktion sie hat? Und bei „Unschuld“ | |
ging es um die Markierung des Fremden. Da beginnt das Problem: Es gibt | |
viele schwarze Menschen in Deutschland, die sind nicht fremd. Warum ist | |
Hautfarbe für diese Idee so unfassbar wichtig? | |
Hussein: Alle anderen Figuren der Inszenierung haben Eigenschaften, die sie | |
als Individuum kennzeichnen: „alternd“, „Philosophin“. Nur die Figuren | |
Elisio und Fadoul müssen sich eine Identität teilen: illegale schwarze | |
Immigranten. Sie sind auch die einzigen, die laut Register eine Hautfarbe | |
haben. Sprich: Wir haben eine Norm, und die ist weiß. Und um Fremdheit oder | |
Außenseiter zu markieren, greifen wir in den Farbtopf. Das sind weiße | |
Fantasien und Exotismen. | |
Wäre es nicht genauso problematisch, hätten schwarze Schauspieler die Rolle | |
übernommen? | |
Lemmle: Natürlich wird es nicht besser, wenn schwarze SchauspielerInnen | |
durch ihre Präsenz auf der Bühne weiße Fantasien erfüllen. Aber es gibt | |
doch die Möglichkeit, schwarze Figuren wie etwa den Othello von Weißen ohne | |
Farbmaske spielen zu lassen. Das gibt es ja auch. | |
Hussein: Wir müssen farbenblind werden. Dann kann es auch einen schwarzen | |
Hamlet geben. | |
10 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Jasmin Kalarickal | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |