# taz.de -- Wibke Bruhns über Deutschland und Israel: „Bild dir bloß nicht … | |
> Für Wibke Bruhns war Willy Brandt eine Hoffnung, Grass ist für sie ein | |
> alter eitler Herr, und ihr eigenes Alter empfindet sie als vierte | |
> Jahreszeit. | |
Bild: Sie ist jetzt auch eine Biografienschreiberin: Wibke Bruhns. | |
taz: Frau Bruhns, Sie haben von 1979 bis 1984 für den Stern als | |
Nahostkorrespondentin in Israel gearbeitet. Um wen haben Sie im Moment mehr | |
Angst – um die israelische Bevölkerung oder um die iranische? | |
Wibke Bruhns: Ich habe überhaupt keine Angst – um beide nicht. Es gibt eine | |
neue Kriegsrhetorik, ja. Und ich sorge mich natürlich um die Israelis. Das | |
ist ein so winziges Land. Aber warum sollten die, wie Günter Grass zu | |
befürchten scheint, einen atomaren Erstschlag auslösen? Das haben sie 1981 | |
mit der Bombardierung des Atomreaktors im Irak doch auch nicht gemacht. Sie | |
haben auch nicht mit Atomwaffen reagiert, als Irak 1991 seine Raketen auf | |
Israel abfeuerte. | |
Im Moment steht Israel innenpolitisch unter hohem Druck. | |
Das ist immer so. Aber mich bedrückt die wachsende Rechtslastigkeit. | |
Außerdem sind die orthodoxen Juden auf dem Vormarsch und versuchen, immer | |
rigidere Regeln durchzusetzen. | |
Wird das demokratische Israel gerade von seinen eigenen Fundamentalisten | |
unterwandert? | |
Zu meiner Zeit lebten nur 3 Prozent orthodoxer Juden in Israel, heute sind | |
es 20 bis 25 Prozent. Sie haben viele Kinder, und sie werden allmählich zu | |
einer sozialen Bedrohung. Staat und Gesellschaft zahlen für die Orthodoxen | |
– das Thora-Studium ist göttliches Gebot, da kann man daneben nicht auch | |
noch Geld verdienen. Die Frauen verbergen sich unter Perücken und | |
bodenlangen Gewändern. Die Männer, in ihren schwarzen Gewändern, sind sehr | |
krawallbereit. Das ist eine Kampfansage an die moderne Gesellschaft. | |
Sie haben 1972 gemeinsam mit Günter Grass Wahlkampf für Willy Brandt | |
gemacht. Was denken Sie über Grass’ Israel-Gedicht? | |
Es ist schon bemerkenswert, wie sehr die Bereitschaft gestiegen ist, auf | |
Israel einzuschlagen. Aber ich musste auch sehr lachen, als ich dieses – na | |
ja, man kann’s gar nicht „Gedicht“ nennen –, dieses Pamphletchen gelesen | |
habe. Grass ist ein beratungsresistenter alter Herr, der sich schon immer | |
zu ernst genommen hat. Er spielt sich gern auf. | |
Wie hat Grass sich damals im Willy-Wahlkampf verhalten? | |
Nach dem Wahlsieg 72 sah Grass sich schon als graue Eminenz, die dem | |
Regierungschef erzählt, wo’s langgeht. Brandt hat sich das verbeten. Was er | |
da jetzt geschrieben hat, ist Quatsch. Er wurde lange nicht mehr beachtet, | |
der Jubel über seine letzten Bücher hält sich auch in Grenzen, und nun hat | |
er’s also so versucht – seine Eitelkeit kommt wieder hoch. Es ist schon | |
bemerkenswert, wie er sich zum Richter aufschwingt. Er hat anscheinend auch | |
überhaupt nicht recherchiert. Was er über Israels Atomwaffen schreibt, ist | |
doch schon oft gesagt worden. Ich selbst habe schon vor 25 Jahren darüber | |
geschrieben. So zu tun, als wisse das niemand und jetzt müsse Grass kommen | |
und es der Welt erzählen, das ist schon bemerkenswert … dreist. | |
Ist Grass ein Antisemit – wie viele jetzt schreiben? | |
Nein. Das Gedicht ist schlecht. Aber Grass ist kein Antisemit, das ist | |
dummes Zeug. | |
Ihr Vater Hans-Georg Klamroth wurde 1944 nach dem missglückten Attentat auf | |
Hitler als Mitwisser gehängt. Kürzlich wurde die Neonazi-Mordserie der | |
sogenannten Zwickauer Zelle aufgedeckt. Was hat diese Nachricht in Ihnen | |
ausgelöst? | |
Ich war zornig, unglaublich zornig. Die Geheimdienste haben jahrelang nicht | |
begriffen, dass es sich um eine hochgefährliche, widerliche Mörderbande | |
handelte. Stattdessen wurde immer darauf beharrt, es gebe keinen | |
ausländerfeindlichen Hintergrund. Wie kann so etwas passieren? Es drängt | |
sich tatsächlich der Verdacht auf, dass die Leute bewusst nicht geschnappt | |
wurden. Vielleicht wird der Dilettantismus nur vorgetäuscht? Bei dieser | |
Vermutung wird mir schlecht. | |
Frau Bruhns, Sie haben einmal angemerkt: „Auf meinem Grabstein wird wohl | |
stehen: ’Hier ruht die erste Nachrichtensprecherin Deutschlands und die | |
Geliebte Willy Brandts.‘ “ Ärgert Sie diese ewige Reduzierung? | |
Mittlerweile nicht mehr. Eine gewisse Zeit wurmte mich das schon. | |
Nachrichtensprecherin – das war kein journalistischer Job, langweilig | |
zumal. Ich habe Texte vorgelesen, an denen ich nicht ein Wort ändern | |
durfte. Und das Gerücht mit Brandt konnte ich erst vor Kurzem endgültig | |
ausräumen. Ich war nicht mit ihm im Bett. Punkt. Wie auch? Er hat mich nie | |
gefragt. Wissen Sie, lange Zeit gab es bei Bonner Journalisten den | |
Ehrenkodex, nicht über die Liebschaften von Politikern zu reden. Die Bonner | |
Republik damals war eine andere als die Berliner heute. Es wurde ja auch | |
nicht über Helmuth Kohl und Juliane Weber öffentlich spekuliert. Erst | |
Brandts letzte Ehefrau Brigitte Seebacher machte seine Affäre mit der | |
Journalistin Heli Ihlefeld öffentlich. | |
Haben Sie es nach Barzels gescheitertem Misstrauensvotum gegen Brandt | |
bereut, als Journalistin Wahlkampf für Brandt gemacht zu haben? | |
Natürlich nicht,es war eine spannende Zeit. Ich hätte das als Journalistin | |
zwar nicht machen dürfen, aber ich hab’s getan, und ich hab’s sehr gern | |
getan. Wenn mich das ZDF rausgeschmissen hätte, wäre mir das auch egal | |
gewesen. Das war eine historisch so bedeutsame Zeit – und ich mittendrin. | |
So was lass ich mir nicht entgehen. | |
Weshalb hat Brandt so viel Enthusiasmus bei Ihnen ausgelöst? | |
Ich versprach mir von Willy Brandt eine Erlösung aus dem Mief der Adenauer- | |
und Erhard-Jahre. Die Stimmung damals war unglaublich – die Deutschen haben | |
sich entweder für oder gegen Brandt eingesetzt. Das ganze Land war | |
aufgewacht. Es gab weder zuvor noch danach eine solch lebhafte Bereitschaft | |
in der Gesellschaft, sich öffentlich zu engagieren. Wir hatten eine | |
Wahlbeteiligung von 91 Prozent. Das kann man sich heute gar nicht mehr | |
vorstellen. | |
Warum sind Sie eigentlich nicht selbst in die Politik gegangen? | |
Brandt hat mir dazu geraten. Ich hätte vermutlich einen Wahlkreis erhalten, | |
und der Job hätte mich sehr interessiert. Aber ich hatte zwei kleine | |
Töchter. Als Politikerin hätte ich Familie und Job nicht miteinander | |
kombinieren können, und meine Kinder wollte ich nicht einfach anderen | |
überlassen. | |
Nach dem Tod Ihres Ehemanns zogen Sie mit Ihren zwei Töchtern als | |
Stern-Korrespondentin nach Israel. Woher haben Sie die Kraft dazu genommen? | |
Ich hab wenig geschlafen und sehr viel nachts gearbeitet, um tagsüber Zeit | |
für meine Kinder zu haben. Wo steht geschrieben, dass das Leben einfach zu | |
sein hat? Entweder du gehst daran zugrunde – oder du wirst stärker, das ist | |
seit meiner Kindheit mein Motto. | |
Nun sind Sie 73 Jahre alt und gehen … dem Alter entgegen … | |
Ich bin alt! Darauf bestehe ich. Und ich freue mich über das Alter. Das ist | |
meine vierte Jahreszeit. Als ich 70 wurde, da habe ich gehadert, das geb | |
ich zu. Der körperliche Verfall gefällt mir nicht – wem schon? Aber ich | |
lasse mir trotzdem kein Botox spritzen. Dann bin ich eben knitterig. Das | |
ist mein Gesicht. | |
Ulrich Wickert meidet mit 69 keine Kameras, gestrafft sieht er auch nicht | |
aus. Gilt das Faltenverbot nur für Frauen? | |
Eine alte Frau vor der Kamera trifft immer noch auf starke Ablehnung. Als | |
Interviewpartner sind ältere Frauen willkommen, aber nicht als | |
Gastgeberinnen. Eine alte Frau als Nachrichtensprecherin würde einen Sturm | |
der Entrüstung auslösen. | |
Bringt uns das Frausein also Nachteile im Journalismus? | |
So zu tun, als seien wir unterdrückte Mäuschen, ist Quatsch. In dem Job | |
kann es auch sehr hilfreich sein, eine Frau zu sein. Als ich im Pentagon | |
recherchiert habe, wurden mir alle Türen aufgemacht – natürlich hat es mir | |
da geholfen, dass ich eine Frau bin. Im Männerhaus. | |
Wäre eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich? | |
Nein, das glaube ich nicht. Es ist immer noch eine Männerwelt, und welcher | |
Chefredakteur hat heute noch den Mut, eine alleinerziehende Mutter ins | |
Ausland zu schicken, auch noch in den Nahen Osten? | |
Der Spiegel druckte kürzlich ein Foto, auf dem eine Reporterin neben | |
Gaddafis Leiche steht. Wie finden Sie diese Form von Trophäenjournalismus? | |
So etwas ist zum Kotzen. Ich will nicht einmal in die Nähe von solchem | |
Journalismus kommen. Diese Bilder sind nicht besser als die aus Abu Ghraib. | |
Mit solchen Fotos soll die Konkurrenz ausgestochen werden. Es gibt | |
mittlerweile eine Dynamik im Journalismus, bei der ich nicht weiß, wo sie | |
uns noch hinführen wird und wie, ob wir sie lenken können. Dass wir uns | |
alle jetzt vorbeten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, wird ja wohl | |
kaum eintreten. | |
Sie waren Stern-Korrespondentin und sind heute Bestsellerautorin. Geraten | |
prominente JournalistInnen nicht in Gefahr, selbstgefällig zu werden? | |
Die Gefahr besteht. Absolut. Ich bin, denke ich, vorwiegend uneitel. Aber | |
manchmal habe ich mich schon bei Sätzen ertappt, wo ich dachte: Vorsicht! | |
Bild dir bloß nicht zu viel ein. Man erlebt Dinge, die andere … | |
… nur aus dem Fernsehen kennen. | |
Ich bin einfach neugierig. Und hartnäckig. Ich will wissen, was hinter | |
verschlossenen Türen passiert. | |
Frau Bruhns, heute, alt und uneitel – welche Tür würden Sie gern noch | |
aufknacken als Journalistin? | |
Merkel. Sie macht einen hervorragenden Job. Angela Merkel eine Weile zu | |
begleiten … das wär’s, das würde mich noch reizen. | |
10 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
Gaby Sohl | |
## TAGS | |
Wibke Bruhns | |
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