# taz.de -- Klärschlamm auf dem Acker: Multiresistentes Restrisiko | |
> Ein Streit ist darüber entbrannt, ob Klärschlamm weiterhin als | |
> Düngemittel auf Äckern ausgebracht werden darf. Ob diese Praxis | |
> ungefährlich ist, weiß man nicht. | |
Bild: Seit 1992 darf Klärschlammdünger nicht mehr im Obst- und Gemüsebau ver… | |
Ein Jahr ist es jetzt her, dass die Ehec-Epidemie Deutschland in Atem hielt | |
und mehr als 50 Menschen das Leben kostete. Wochenlang stocherten die | |
Behörden im Dunkeln, wie sich die Betroffenen mit dem | |
Escherichia-coli-Bakterium O104:H4 angesteckt haben könnten. | |
Wochenlang verzichtete die Hälfte der deutschen Verbraucher auf Salat, | |
Tomaten und Gurken, bis man endlich die mögliche Quelle der Kontamination | |
fand: Bockshornkleesamen aus Ägypten, die an deutsche Sprossenproduzenten | |
geliefert worden waren. Mit dieser Epidemie ist jedoch auch eine | |
landwirtschaftliche Praxis weiter in Verruf geraten: die Ausbringung von | |
Klärschlamm auf Getreideäckern. | |
Obwohl der Klärschlamm vor der Ausbringung etwa 20 Tage im Faulturm bei | |
rund 36 Grad Celcius behandelt wird, findet man immer wieder Keime. So hat | |
eine Studie der Technischen Universität Weihenstephan im Jahr 2010 | |
aufgedeckt, dass 16 Prozent der untersuchten Abfälle in Kläranlagen mit | |
multiresistenten Keimen belastet sind. | |
„Auch zu BSE-Zeiten und bei anderen Tierseuchen hatte man den Klärschlamm | |
bereits als Kontaminationsweg diskutiert“, sagt Sebastian Schönauer von der | |
Umweltschutzorganisation BUND. Und nicht nur infektiöse Mikroben tummeln | |
sich in den Rückständen des Klärwerks, sondern auch Schadstoffe – der | |
Grund, warum Klärschlammdünger seit 1992 nicht mehr im Obst- und Gemüsebau | |
verwendet werden darf. | |
## Blei, Biozode und Flammschutzmittel | |
So hat das Fraunhofer-Institut im Auftrag der Umweltprobenbank 2009 | |
verschiedene Klärschlämme untersucht und fand unter anderem Schwermetalle | |
wie Blei, Kupfer, Zink und Cadmium, Organozinnverbindungen, Biozide, | |
Phtalate, Moschusduftstoffe, Polychlorierte Biphenyle (PCB), Polyzyklische | |
aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), bromierte Flammschutzmittel und | |
Dioxine. | |
Zwar wurden im Laufe der Jahre einige Giftstoffe wie Dioxin oder bestimmte | |
Schwermetalle immer seltener. „Andererseits gibt es kaum Untersuchungen zur | |
aktuellen Arzneimittelbelastung“, meint Stefan Gäth, Wissenschaftler am | |
Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Universität | |
Gießen. | |
Zudem weiß man bei vielen Stoffen nicht, wie sie sich in der Umwelt | |
verhalten und ob sich Stoffgemische in ihrer Wirkung möglicherweise | |
potenzieren. Laut Bund werden heutzutage mehr als 100.000 Chemikalien | |
vermarktet. Viele davon gelangen heute vermehrt in den Schlamm, weil die | |
Kläranlagen technisch mittlerweile so gut gerüstet sind. | |
Zwar findet man zahlreiche Substanzen nur in geringen Mengen, aber mehrere | |
dieser Stoffe gelten als reproduktionstoxisch und krebserregend. Im | |
Bioanbau ist der Gebrauch von Klärschlamm als Dünger wegen der | |
Schadstoffbelastung nicht erlaubt. | |
## „Keine Gefahr“ | |
Wie gesundheitsschädlich diese landwirtschaftliche Praxis tatsächlich für | |
den Verbraucher ist, ist bislang kaum einzuschätzen. BUND-Experte Schönauer | |
meint aber: „Der Klärschlamm hat sich in den letzten Jahren um 10er | |
Potenzen verbessert was Schadstoffe anbelangt.“ Auch Stefan Gäth sieht | |
„keine akute Gefahr für die Gesundheit“. | |
Am Umweltbundesamt (UBA) formuliert man es dagegen so: „Man sollte das | |
Restrisiko nicht unterschätzen“, warnt Andrea Roskosch vom UBA. | |
Wissenschaftlern des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) bereitet | |
dagegen vor allem die Cadmium-Belastung in Klärschlamm Kopfzerbrechen. | |
Laut BfR trägt die Klärschlammdüngung dazu bei, dass viele Menschen, vor | |
allem Vegetarier, die tägliche, ungefährliche Dosis an Cadmium | |
überschreiten. Fakt ist jedoch, dass jährlich hierzulande rund zwei | |
Millionen Tonnen Klärschlamm in kommunalen Anlagen anfallen, und diese kann | |
man nicht einfach auf Deponien verrotten lassen. | |
Mehr als die Hälfte wird darum heute in Verbrennungsanlagen thermisch | |
verwertet, 30 Prozent dienen als Dünger in der Landwirtschaft, wenn | |
bestimmte Grenzwerte etwa an Schwermetallen nicht überschritten werden. | |
Denn der Klärschlamm ist nicht nur eine Schadstoffsenke, sondern er liefert | |
auch organische, also humusbildende Masse. | |
## Endlicher Nährstoff Phosphat | |
Zudem stecken in dem Schlamm Stickstoff, Phosphat, Kalk, Kalium und | |
Magnesium – Nährstoffe, die Pflanzen zum Wachsen brauchen. Vor allem | |
Phosphat ist ein endlicher Nährstoff, der weltweit immer knapper wird. | |
„Zwar gibt es Technologien, mit denen man Phosphat aus Klärschlamm oder | |
Asche rückgewinnen kann“, meint UBA-Expertin Andrea Roskosch. | |
„Allerdings müssen sich diese erst noch bundesweit durchsetzen.“ Doch in | |
einigen Bundesländern schätzt man das Risiko der Klärschlammdüngung größer | |
als den Nutzen ein. Bayern und Baden-Württemberg arbeiten seit rund zehn | |
Jahren an einem freiwilligen Ausstieg. In Baden-Württemberg wandern etwa 90 | |
Prozent des Klärschlamms in Verbrennungsanlagen und werden energetisch | |
genutzt. | |
Der Schwäbische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) forderte im | |
Rahmen der Ehec-Krise 2011 die Bundesregierung auf, ihre | |
klärschlammfreundliche Haltung endlich zu überdenken. Tatsächlich ist eine | |
Novellierung der Klärschlamm-verordnung schon in Arbeit. | |
Der Gesetzgeber will Grenzwerte etwa für Schwermetalle und PCBs und auch | |
die thermischen Verfahren zur Abtötung von Keimen verschärfen. Laut einem | |
Sprecher des Bundesumweltministeriums soll der Referentenentwurf zum Sommer | |
fertig sein. | |
Den Trend zur Klärschlamm-Verbrennung halten einige Umweltschützer jedoch | |
für einen Irrweg. „Denn wenn der Schlamm verbrannt wird, gelangen | |
Schadstoffe in die Luft und auch die Asche muss entsorgt werden“, gibt | |
Schönauer zu bedenken. | |
## Nachhaltige Kreislaufwirtschaft | |
Damit unterbreche man den biologischen Kreislauf. Der BUND fordert | |
stattdessen, dass man den Klärschlamm so gestalten müsse, dass er im Sinne | |
einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wieder vermehrt auf die Äcker | |
gebracht werden könne. | |
„Das verhindern allerdings bislang die Anlagenhersteller und die | |
Chemie-Produzenten“, meint Schönauer. Doch nicht nur die Industrie, auch | |
der Verbraucher kann dazu beitragen, dass der Klärschlamm in Zukunft | |
weniger belastet ist: mit einem verantwortungs-bewussteren Konsum von | |
Reinigungs- und Körperpflegemitteln sowie Arzneien. | |
10 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Burger | |
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