# taz.de -- Iranische Juden in Israel: Abends ein Anruf nach Teheran | |
> Shay spricht mit Hörern aus dem Iran, Noy übersetzt persische Literatur, | |
> andere trauern der Heimat nach: Iranische Juden zwischen Anpassung und | |
> Verständigung. | |
Bild: Die Videoinstallation sind Teil einer Ausstellung mit dem Titel „Iran�… | |
TEL AVIV taz | Zwei Computer, Lautstärkeregler und Kopfhörer, das ist | |
alles, was Amir Shay braucht, um Radio RadisIN zu betreiben. Das kleine | |
Studio liegt direkt über dem Supermarkt eines zweistöckigen | |
Einkaufszentrums im Süden von Tel Aviv. Über die gesamte Fläche einer Wand | |
hängt das Plakat des Senders, der rund um die Uhr auf Farsi sendet. | |
„Persian Radio Music“ steht darauf. An eine andere Wand hat Shay eine | |
übergroße Israelflagge geheftet. | |
Das Studio ist spartanisch eingerichtet. Besucher dürfen sich in | |
Wassergläsern löslichen Kaffee machen und aus einer Kekspackung bedienen. | |
Der schlanke DJ mit den nach hinten geföhnten Haaren lässt fast | |
ausschließlich iranischen Pop über den Sender gehen. „Den Geschmack der | |
Leute können wir nicht ändern, aber ihre politische Haltung.“ Seine | |
Zielgruppe sind nicht nur die aus dem Iran eingewanderten Juden, sondern | |
Hörer im Iran – Juden und Muslime. | |
Radio RadisIN ist über Internet, Kabel und Satellit zu empfangen. Gesendet | |
wird von 17 bis 24 Uhr live, sonst laufen Wiederholungen. 36 ehrenamtliche | |
Moderatoren, allesamt ehemalige Iraner oder Kinder iranischer Immigranten, | |
wechseln sich ab. Shay erlebte als Achtjähriger die Revolution, die die | |
Islamisten in Teheran an die Macht brachte. Und die seine Eltern die Koffer | |
packen ließ. Bis heute ist sein Hebräisch leicht Farsi-gefärbt. | |
## Iranisches Volk ist ungleich Regierung | |
Auf Augenhöhe will er mit seinem Publikum reden. „Unsere Botschaft ist: Wir | |
wissen, dass das iranische Volk nicht gleich iranische Regierung ist.“ | |
Jeden Mittwoch um 20 Uhr wird aus einer Geschichte oder einem persönlichen | |
Bericht eine Sendung gestaltet. Die Hörer bleiben dabei anonym. | |
„Manchmal sind es schreckliche Erfahrungen von ehemaligen Häftlingen, | |
Frauen, die im Gefängnis vergewaltigt worden sind.“ Anschließend kann man | |
live diskutieren. „Wird jemand ausfällig, unterbrechen wir die Leitung“, | |
sagt Shay, der selbst gern provoziert. Im letzten Jahr rief er an Purim, | |
das in Israel parallel zum hiesigen Fasching oder Karneval gefeiert wird, | |
bei Funktionären in Teheran an, um zu fragen, ob sie dem jüdischen Volk | |
nicht ein frohes Fest wünschen wollten. „Die meisten wussten nicht, was sie | |
sagen sollten“, sagt er lachend. „Es war irre komisch.“ | |
Der Austausch mit den Hörern sei fast immer freundlich. „Gerade die | |
iranischen Hörer reden viel über die Gemeinsamkeiten von Iranern und | |
Juden.“ Die Hetze ihrer Regierung täte ihnen leid. „Sie wollen den Schaden | |
wiedergutmachen, den Präsident Ahmadinedschad anrichtet.“ | |
## Ein jüdisches Radio, das auf Farsi sendet | |
Ähnliches schwebte Shay vor, als er den Sender konzipierte, um eine Brücke | |
zu schlagen zwischen Tel Aviv und Teheran. „Wir sind das einzige jüdische | |
Radio, das in Farsi sendet“, sagt er. RadisIN finanziert sich aus Spenden. | |
„Wir könnten viel mehr Hörer erreichen, wenn wir das nötige Geld für die | |
Vermarktung hätten“, sagt Shay, der trotzdem jede staatliche Förderung | |
ablehnt. „Wir sind ein Sender des Volkes und wollen keine | |
Regierungsgelder.“ | |
Vermutlich würden die Behörden einen Antrag auf staatliche Unterstützung | |
sogar wohlwollend bearbeiten, denn in den Programmen geht es viel um das | |
Israel, das in den Nachrichten zu kurz komme, nicht um den Besatzungsstaat, | |
sondern um den Holocaust und um die Geschichte des Judenstaates. | |
Manchmal schicken iranische Hörer Nachrichten über Facebook mit der Bitte, | |
angerufen zu werden. Vom Iran aus nach Israel zu telefonieren ist kaum | |
möglich. „Deshalb rufen wir an“, sagt Shay. Geredet wird über alles, nur | |
nicht über Politik, „das kann sie teuer zu stehen kommen“. Ein möglicher | |
Krieg beschäftige seine iranischen Hörer ohnehin weniger als die Armut in | |
ihrem Land. | |
## Der Kriegsgedanke zieht Herzen zusammen | |
Für die iranischen Juden in Israel ist der möglicherweise bevorstehende | |
Präventivschlag hingegen das zentrale Thema. „Bei dem Gedanken an einen | |
Krieg zieht sich uns allen das Herz zusammen“, sagt Orly Noy, die neun | |
Jahre alt war, als sie mit ihren Eltern nach Israel umzog. Noy hat | |
schulterlanges dunkles Haar und kräftige Augenbrauen, trägt eine schlichte | |
Jeans mit T-Shirt und spricht voller Wärme von ihrer Großmutter, bei der | |
sie als Kind die Sommerferien verbrachte, bevor sie nach Israel kam. | |
Die heute 42-Jährige ist zerrissen zwischen den beiden Ländern und | |
Kulturen, die sie einander näherzubringen versucht. Ihre erste Übersetzung | |
aus dem Persischen, die Gesellschaftssatire „Mein Onkel Napoleon“ von Iraj | |
Pezeshkzad, steht kurz vor der Veröffentlichung. „Wer in den 70er oder 80er | |
Jahren im Iran aufgewachsen ist, kennt das Buch.“ Auf ihrer hebräischen | |
Facebook-Seite verbreitet sie musikalische Klassiker und moderne Videoclips | |
aus dem Iran. | |
Noy macht sich keine Illusionen. Sie gehört zu den letzten Israelis mit | |
iranischen Wurzeln, die Farsi noch fließend sprechen und schreiben können. | |
Die Versuche, es ihren zwei Töchtern beizubringen, nimmt sie selbst nicht | |
ernst. „Es ist schwer, zu Hause Farsi zu sprechen, wenn einer der Partner | |
nicht aus dem Iran kommt.“ Schon vor 20 Jahren, als sie ihre Wehrpflicht | |
beim militärischen Nachrichtendienst leistete, „musste zusätzlich Personal | |
auf Farsi ausgebildet werden, weil nicht genügend Rekruten da waren, die es | |
von Hause aus konnten“. | |
## Nicht sehr religiös | |
Heute ist Noy Sprecherin von Ir Amim (Stadt der Völker), einer | |
Nichtregierungsorganisation, die sich mehr Gerechtigkeit für beide Völker | |
wünscht. Die gebürtige Iranerin ist untypisch für ihre Gruppe, was schon | |
mit ihrem Wohnort Jerusalem anfängt. Tel Aviv und die südliche Nachbarstadt | |
Holon sind die Hochburgen der iranischen Juden. Viele sind kleine Händler, | |
die meisten traditionell jüdisch. „Die Frage, wie religiös man ist, stellt | |
sich für die Juden, die aus islamischen Ländern gekommen sind, nicht“, | |
erklärt Noy. | |
Orthodoxes und ultraorthodoxes Judentum gibt es nur bei den Aschkenasen | |
(aus Europa bzw. aus Osteuropa stammende Juden). Bei den Sefarden (Juden | |
orientalischer Herkunft) „ist man entweder fromm, das heißt, man fastet an | |
Jom Kippur und isst Matzebrot an Pessach, oder man ist es nicht.“ | |
Auch Noys politische Haltung unterscheidet sie deutlich von der Mehrheit | |
der aus dem Iran stammenden Israelis, über die sie mit Sympathie und | |
zugleich mit kritischer Distanz spricht. „Die orientalischen Juden“, sagt | |
sie bedrückt, „stehen politisch weiter rechts als die anderen.“ Das hänge | |
damit zusammen, dass sie, weil sie aus islamischen Ländern kämen, in Israel | |
mit Misstrauen betrachtet würden. Die kleine Gruppe der iranischen Juden | |
gehe in der Gruppe der Sefarden unter. | |
## Orientalische Juden müssen sich von den Arabern abgrenzen | |
„Der Tenor war stets: Ihr seht aus wie Araber, sprecht ihre Sprache, und | |
wenn ihr jetzt noch anfangt, sie zu mögen, dann dauert es nicht mehr lange, | |
und ihr seid selber welche.“ Um zum israelischen Kollektiv zu gehören, | |
hätten sich die orientalischen Juden deshalb abgrenzen und eine klare | |
antiarabische Position einnehmen müssen. | |
„Die Gemeinde der Iraner spricht nicht über den Krieg.“ Es soll nur keiner | |
denken, man sei weniger patriotisch oder weniger zionistisch als andere. | |
Noy selbst hält mit ihrer Meinung nicht zurück: „Die israelische Hysterie | |
ist lächerlich“, sagt sie. Es gehe nicht immer nur um Israel. „Die Iraner | |
wollen die Bombe aus Verteidigungsgründen.“ | |
Mit dieser Haltung ist sie in Israel nicht allein. Seit ein paar Wochen | |
schickt ein israelisches Ehepaar Friedensbotschaften nach Teheran. Vor dem | |
Hintergrund eines roten Herzchens steht dort: „Iranians we love you“. Die | |
Antwort kam prompt: „We Iranians love you too.“ Tausende auf beiden Seiten | |
drückten die „Like it“-Taste und schickten eigene Fotos, die jetzt auf der | |
Internetseite [1][www.israelovesiran.com] gesammelt werden. Bei Noy und | |
ihrer Familie stieß die Initiative auf begeisterte Zustimmung. Was sie seit | |
Jahren privat praktiziert hatten, war ohne ihr Zutun plötzlich in. | |
## „Nicht soviel auf das Gerede aus Teheran geben“ | |
Von den aus dem Iran immigrierten Israelis mag sich keiner vorstellen, dass | |
die Regierung in Teheran tatsächlich eines Tages angreifen wird. In der Tel | |
Aviver Herzl-Straße, in der ein kleiner Laden neben dem anderen Billigware | |
anbietet, verkauft Yair Chalid selbst zugeschnittene Damenkostüme, T-Shirts | |
und einfache Anzüge. Chalid findet, dass man auf das antiisraelische Gerede | |
in Teheran nicht allzu viel geben sollte. Der alte Herr weiß, wovon er | |
spricht. Er war fast 40, als er den Iran verließ. „Wenn alle ’Tod für | |
Israel‘ rufen, dann rufen das eben alle“, erklärt er die Dynamik in seinem | |
Heimatland. „Wenn du einen fragst, warum er das macht, antwortet er: ’Weil | |
es alle tun.‘“ | |
Chalid ist die Antithese des Modeverkäufers. Sein langärmeliger | |
dunkelblauer Pullover mit V-Ausschnitt, Schulterklappen und Brusttaschen | |
macht den leicht übergewichtigen Händler nicht gerade zur eleganten | |
Erscheinung. Das kleine Geschäft ist wenig einladend. Kostüme und Anzüge | |
sind fast alle nach demselben Schnitt und aus dem gleichen Stoff | |
geschneidert, mal gepunktet, mal gestreift. „B.G.“ steht darauf, die | |
Initialen von Chalids Schwager Benay Gangir. | |
## Die Juden im Iran hätten es nicht schwerer | |
Im Hintergrund läuft persische Musik aus dem Computer. Das sei nicht Radio | |
RadisIN, sagt Chalid, obwohl er den Sender auch oft höre. Bis vor zwei | |
Jahren hat er seine alte Heimat noch regelmäßig besucht, mit Zwischenstopp | |
in Istanbul und dann mit dem alten iranischen Pass weiter bis nach Teheran. | |
Umgekehrt besuchten seine Tanten und Cousins Israel von Zeit zu Zeit, wobei | |
keiner von ihnen an einen Umzug denke. „Sie haben es im Iran nicht | |
schwerer, weil sie Juden sind“, sagt er mit breitem Akzent. „Den meisten | |
Menschen dort ist es völlig egal, welcher Religionsgemeinschaft jemand | |
angehört.“ | |
Wenn er nicht gerade Stoffe zuschneidet oder Kundschaft bedient, was nicht | |
allzu oft vorzukommen scheint, dann spielt Chalid auf seiner Santur. Zwei | |
Instrumente hat er schon gebaut, eins liegt immer im Laden, das zweite zu | |
Hause, ein drittes – „fürs Auto“ – ist im Bau. „Im Iran war es | |
wirtschaftlich viel leichter für uns“, sagt er wehmütig. Chalid holt das | |
Instrument aus der Kiste und legt es auf den Zuschneidetisch. Als er mit | |
zwei zarten Holzstäbchen die Saiten anschlägt, breitet sich ein Lächeln auf | |
seinem Gesicht aus. | |
24 May 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.israelovesiran.com/ | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
## TAGS | |
Israel | |
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