# taz.de -- Kolumne Unbeliebt: Der Nachtfalter | |
> Was passiert, wenn eine Raupe kein Schmetterling wird? Auf eine Melange | |
> mit dem Grünen Volker Ratzmann, heute Kretschmanns Statthalter in Berlin. | |
Der Rechtsanwalt Volker Ratzmann wollte regieren. Er wollte Projekte | |
erdenken, Interessen vereinen, um dann eine grüne Gestaltungsmacht zu | |
entfalten. Aber es wurde nichts. | |
Museum für Kommunikation in Berlin, das Café Sarah Wiener, gestreifte | |
Polster auf den Bänken, Veilchen auf den Tischen, aus Lautsprechern | |
schwingt ein Walzer durch den Raum. Von mir abgesehen ist der Raum ganz | |
leer, bis ihn Volker Ratzmann betritt, breitschultrig, wiegender Schritt, | |
freundlich. | |
Wir kennen uns nicht, obwohl uns zum Beispiel Freiburg verbindet, meine | |
Heimatstadt, wo er Anfang der Achtziger Zivi war und gegen die Räumung des | |
alternativen Zentrums Schwarzwaldhof protestierte. Und obwohl ich ihn in | |
den letzten zehn Jahren oft in den Cafés um die taz herum gesehen habe. | |
Er ist 2001 ins Berliner Landesparlament eingestiegen. Kurz darauf wurde | |
Klaus Wowereit, den Ratzmann Klaus nennt, Regierender Bürgermeister. | |
Ratzmann machte die Grünen zu seiner politischen Familie, seine Frau hat er | |
dort auch gleich kennen gelernt, die Bundestagsabgeordnete Kerstin Andreae. | |
## Grünes Gezischel | |
Die Jahre vergingen. Ratzmann wurde Grünen-Chef im Abgeordnetenhaus. Er | |
merkte, dass Opposition bedeutet, viel für den Papierkorb zu arbeiten. | |
Wowereit drehte mit der Linkspartei die zweite Runde. Ratzmann öffnete die | |
Grünen nach rechts. Wenn Klaus Rot-Rot macht, dann arbeitet der Volker eben | |
mit den Schwarzen und den Gelben zusammen. Er traf Kammerpräsidenten und | |
Polizeikommissare. Er wurde fünfzig und fragte sich, warum er sich gegen | |
Nazis auf die Straße setzen und von Polizisten wegtragen lassen sollte, die | |
selbst gegen Nazis waren. Bei den Grünen gab es das erste Gezischel. | |
Ratzmann hat sich Apfelkuchen und eine Melange bestellt. Ein schöner | |
Nachmittag. Er gehört zu den wenigen in der Politik, die gut erzählen | |
können, ohne zu viel zu riskieren. Die meisten Politiker wollen nach | |
Gesprächen Zitate zugemailt bekommen, um sie auf Verfängliches zu | |
untersuchen und dann zu sterilisieren. Es ist, als plapperten diese Leute | |
von sich entzückt in eine Plastiktüte, die sie dann aber zusammenknüllen, | |
so dass die Luft entweicht und in der Tüte nur noch etwas Spucke bleibt. | |
Ratzmann nicht. | |
Und das ist dann auch wieder schwierig, weil er mir sympathisch wird. | |
Klingt hässlich, oder? So ein Satz von einem Journalisten über einen | |
Politiker. | |
## Verpuppung | |
Wir machen es also kurz. Ratzmann war 2011 wie eine Raupe, die sich | |
verpuppt, um sich schon bald in der Regierung zu entfalten wie ein | |
Schmetterling. Künast-Wahlkampf, Verpuppung. Koalitionsverhandlung. | |
Verpuppung. Rot-Grün scheitert, wieder Opposition. Verpuppung. Linke Grüne | |
mucken auf, er wird unbeliebt, ist ja aber schon verpuppt. | |
Er tritt zurück. | |
„Befreiend war das“, sagt Volker Ratzmann. | |
Und dann meldet sich Winfried Kretschmann, der große Schmetterling aus | |
Baden-Württemberg. Er sucht einen Statthalter in Berlin, in der | |
Landesvertretung, Referatsleiter. Und das macht Ratzmann jetzt. Regierung, | |
nicht Papierkorb. Er erzählt bewundernd von einem Kollegen, einem Beamten, | |
der den sogenannten „kleinen Bundesrat“ leitet. Seit dreißig Jahren | |
verhandelt der mit anderen Beamten jene neunzig Prozent der Gesetze, die | |
nie zu den Ministerpräsidenten und Ministern kommen. Niemand kennt ihn, | |
denn er ist ein Nachtfalte. | |
27 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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