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# taz.de -- Karneval der Kulturen: Samba und Gürkchen
> Zum 17. Mal zog am Sonntag der Karneval der Kulturen durch Berlin - und
> brachte wieder die Parallelgesellschaften zum Tanzen. Einige
> Beobachtungen vom Rande des Umzugs.
Bild: Böse gucken und wild trommeln: Die taiwanesischen Kinder der preisgekrö…
## Die Profis
13 Uhr: Ein Stammplatz, ein Handtuch zum Sitzen, genug Verpflegung: Kati
und ihre Freundinnen sind Karneval-Profis, sie lassen keinen Umzug aus. Die
ersten 30 Gruppen schaffen sie stehend: Ritter, die Prinzessinnen bewachen,
ziehen vorbei, ein venezianischer Wagen des Mehrgenerationenhauses am
Wassertorplatz, Kinder, die die Zuschauer wortwörtlich abstempeln, um auf
Schubladendenken hinzuweisen - gegen 16 Uhr ist erst ein Drittel des Zuges
vorbei. Kati, die Grüne, lässt sich mit TänzerInnen jeglicher Herkunft
ablichten - solange sie grün sind.
Die Sonne knallt. 16.30 Uhr: Bei den Profis gibt es Gürkchen und Möhren,
während die Schreberjugend mit einem riesigen Trekker vorbeizieht: das
einzige Mal, dass der brasilianische Superhit "Nossa, nossa" zu hören ist.
Als gegen fünf Uhr die argentinische Gruppe in Dirndln und Bayernhütchen
vorbeizieht, steigen Kati und die anderen auf Eierlikörpralinen um. Ab halb
sechs genießen auch die Profis die Pausen zwischen den Umzugsgruppen. Das
Handtuch zum Sitzen wird jetzt öfter genutzt. 18.30 Uhr, die Manga-Fans mit
pastellfarbenen Haaren und ihrem niedlichen Tanzstil (Hände auf Ohrhöhe wie
Entenschnäbel auf- und zumachen) wirken nach fünfeinhalb Stunden wie ein
Drogentrip. Für die Profis der richtige Moment, nach Hause zu gehen.
## Ein ziemlich müder Drache
Sie wirken fast traurig, diese Chinesen. Am Anfang der Formation: ein paar
wunderschöne, hochglänzende Rikschas. Danach: eine Handvoll Damen mittleren
Alters vom Frauenverein, die eher schüchtern versuchen, Rhythmus in die
Formation zu bringen. Und schließlich: ein recht kleiner, bescheidener
Drache, der nur hin und wieder geschwenkt wird von ein paar müden jungen
Herren, die wirken, als tankten sie lieber im Schatten einer Pappel ein
kühles Tsingtao. Gegen die feurigen Flamencotänzerinnen vor ihnen
jedenfalls kommt die Gruppe "Dancing Dragon" kaum an.
Dabei kann er so schön sein, der chinesische Drachentanz. Gerade in diesem
Jahr, dem Jahr des Drachens, wird das Fabeltier als intelligenter
Glücksbringer verehrt. Beim Tanz schleudern es drahtige Kung-Fu-Schüler
meist so wild und dynamisch herum, dass man meint, es mache sich gleich
selbstständig.
Der Karnevalsdrache ist da ein eher müder Vetter. Bezahlt wurde das Ganze
übrigens unter anderem vom staatlichen chinesischen Kulturinstitut. Wie
schön, dass es da noch den kleinen, blauen Konkurrenten aus Taiwan gab, der
ganz zu Recht ausgezeichnet wurde.
## Zu Gast bei der Bevölkerung
Die Hitze ist einfach zu arg, man muss irgendwo ausruhen, und sei es bei
Noi Quattro am Südstern, wo das geröstete Zanderfilet mit Radicchiorisotto,
Pulpo, Salicorne und Orangen-Hummer-Bisque 30 Euro kostet. Wir wählen einen
Platz auf der eigens installierten Bierbank, bestellen eine Cola und hören
zwei Damen aus Charlottenburg zu, die jenseits der sechzig sind. Sie kehren
hier offenbar öfter ein und werden sofort mit einem Prosecco und Handkuss
begrüßt. "Man muss sich ja auch mal die normale Bevölkerung ansehen", sagt
die mit der Chanel-Brille und dem grasgrünen Kleid und schaut dabei
Richtung Umzug, der allerdings von hier aus nur noch zu hören ist.
Nach rund 20 Minuten und dem zweiten Glas Weißwein ist der Umzug bei den
Damen längst vergessen. Die eine setzt gerade an, der anderen "die
Geschichte meines grünen Kleides" zu erzählen, da kommen zwei hübsche,
junge Polizistinnen in schwerer Montur vorbei. Jede hat ein Eis in der
Hand, es muss, wie sich durch anschließende Internetrecherche ermitteln
lässt, ein "X-Pop" sein. Es sieht sehr phallisch aus. Die beiden
Charlottenburgerinnen fallen fast von der Bierbank vor Lachen.
## Alles anders
Es fehlte was: Nach 15 Jahren gab es das weiß-gelb-goldene Gewoge der
Gruppe Afoxe Loni an der Zugspitze nicht mehr. Da lief jetzt die
wunderschön kostümierte Sambaschule "Sapucaiu no Samba" - und musste gegen
die Beschallung eines Moscheefestes ankämpfen, das zeitgleich auf dem
Hermannplatz stattfand. Der Zug der Leichtbekleideten bescherte den
islamisch verschleierten Handarbeitsverkäuferinnen Extra-Umsatz.
Anders war auch der Umzug selbst: weniger große, professionelle Gruppen mit
riesigen Wagen, stattdessen viele, denen man die Eigeninitiative ansah. Im
Abnehmen ist auch die Zahl der ethnisch homogenen Gruppen: Kaum eine, der
nicht längst Menschen aller möglichen Herkunft angehören.
Der Karneval sei "das größte antirassistische Spektakel, das wir in dieser
Stadt haben", sagt die Juryvorsitzende Shermin Langhoff. Der Senat verpasse
"eine Riesenchance, indem er das künstlerische Potenzial in den Gruppen
nicht fördert".
Die 270.000 Euro, die der Senat jährlich für das Fest ausgibt, fließen zum
Großteil in die Beseitigung der Hinterlassenschaften. Wolken von Konfetti
und Glitter treiben am Ende über den Hermannplatz. Melancholisch und
unendlich einsam klingt darüber der religiöse Gesang des Moscheefestes, der
nun wieder zu hören ist.
28 May 2012
## AUTOREN
Susanne Messmer
Alke Wierth
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