# taz.de -- Der Vatikan in der Krise: Chaos, Überforderung, Hass | |
> Früher reichte man Gift, wenn ein Papst am Ende war. Heute darf man sich | |
> an immer neuen gegen Papst Benedikt gerichteten Indiskretionen aus dem | |
> Kirchenstaat freuen. | |
Bild: Der Herbst des Patriarchen auf dem Stuhl Petri ist angebrochen. Er hat se… | |
Es gibt Journalistinnen und Journalisten in Rom, clevere Leute, alte Hasen, | |
denen kommen fast die Tränen, wenn man mit ihnen über den Vatikan spricht: | |
Nichts ist aus dem Laden rauszukriegen! Das Medium, für das man arbeitet, | |
ist kritisch – kein Kurienkardinal öffnet den Mund. Die Fragen kommen von | |
einer Frau? Niente! Und die ist auch noch evangelisch und erst seit 15 | |
Jahren vor Ort? Kein Wort, nicht mal „unter dreien“. | |
Natürlich kann man unüberprüfbare Gerüchte kolportieren. Die gibt es | |
reichlich. Aber News? Es ist kein Zufall, dass das Berichtsgebiet der | |
Reporter mit dem Schwerpunkt Papst und Kirchenstaat oft „Vatikanologie“ | |
genannt wird, in Anspielung an „Astrologie“ und „Kremlologie“. Der | |
Männerbund Vatikan lässt sich fast nie von außen knacken. | |
Umso spektakulärer ist, was derzeit zu beobachten ist: Fast täglich sickern | |
Neuigkeiten über Machtkämpfe und Pannen im Vatikanstaat an die vor allem | |
italienische Öffentlichkeit. Das an die Omertà erinnernde Schweigegelübde | |
über Vatikan-Interna scheint gebrochen. Manche Geistliche in der Führung | |
der Weltkirche haben ganz offensichtlich schon eine Standleitung zu | |
Journalisten, die sie für ihre Machtspielchen nutzen. | |
Das Schauspiel hat durchaus einen hohen Unterhaltungswert und dürfte noch | |
lange nicht zu Ende sein. Denn im Kern zeigen die Enthüllungen vor allem | |
eines – und vielleicht sollen sie das sogar, wenn es nach dem Willen der | |
Durchstecher im Vatikan geht: Papst Benedikt XVI. ist heillos überfordert, | |
und sein Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone, der „Regierungschef“ des | |
Vatikans, ebenso. | |
## Große Zeit für Zyniker | |
Der Herbst des Patriarchen auf dem Stuhl Petri ist angebrochen. Er hat | |
seinen Laden nicht mehr im Griff. In früheren Jahrhunderten verkürzte man | |
eine solche Phase der Agonie durch Gift. Die Welt des 21. Jahrhunderts wird | |
dagegen mindestens noch Monate, wenn nicht Jahre Zeuge des Niedergangs | |
dieses Pontifikats werden. Es ist eine große Zeit für Zyniker. | |
Natürlich geht es bei „Vatileaks“ auch um das Menschlich-Allzumenschliche | |
eines Kammerdieners des Pontifex Maximus, der den großen Verräter gespielt | |
hat und doch nur ein kleines Rädchen in einem viel größeren Machtspiel ist. | |
Denn darum geht es vor allem bei dieser Krise im Vatikanstaat: um Rache – | |
und eine günstige Ausgangsposition für die Wahl zum nächsten Papst, wie | |
etwa der kluge Vatikanexperte Hanspeter Oschwald kühl analysiert hat. Wer | |
nach der Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst 2005 bei Posten in der Kurie | |
übergangen wurde, übt jetzt Rache. Wer als papabile gilt, soll | |
diskreditiert werden, Bertone vor allem, aber auch unbekanntere Namen im | |
Inner Circle. | |
Ein großer Vorteil von Joseph Ratzinger bei seiner Wahl 2005 zum Papst war | |
sein hohes Alter von 78 Jahren, weshalb kein langes Pontifikat zu erwarten | |
war – und die Tatsache, dass er es sich mit den einflussreichen | |
konservativen Bewegungen im Vatikan, allen voran dem Opus Dei, nicht | |
verscherzt hatte. Er galt als frommer Mann und sehr guter Theologe, was ihm | |
im Konklave half. | |
## Die Kirche braucht Machertypen | |
Nun aber schlägt sein Alter, seine theologische Leidenschaft und das | |
Sich-Arrangieren mit den konservativen Gruppen im Vatikan zurück: Der | |
deutsche Professor auf dem Papstthron hat eben intern nie aufgeräumt, | |
stattdessen lieber theologische Fachliteratur verfasst und die weltweite | |
intellektuelle Debatte gesucht. Auch in seiner Entourage, allen voran | |
Bertone, findet sich niemand mit Managerfähigkeiten, der den Laden | |
zusammenhalten könnte. Die Kirche mit ihren 1,2 Milliarden Gläubigen | |
braucht aber solche Machertypen in der zweiten Reihe, wenn der Papst | |
schwach ist. Sonst geht es drunter und drüber. Wie jetzt. | |
## Geschwächtes Papsttum | |
Die Vatikankrise ist am Ende auch das Menetekel einer Institution, die im | |
21. Jahrhundert immer noch nach den Prinzipien des höfischen Absolutismus | |
regiert wird. Wenn nicht die besten Männer an die Spitze der Kirche kommen, | |
sondern nur die, die besonders konservativ, möglichst marienfromm und am | |
besten noch höfisch-duckmäuserisch sind, dann endet ein Pontifikat eben so, | |
wie es derzeit endet: mit Chaos, Überforderung, Intrige und Hass. | |
Die Kirche wird deswegen nicht untergehen. Nur das Papsttum wird | |
geschwächt, das Prinzip, dass Rom alles lenken muss. Das muss kein Nachteil | |
sein. | |
4 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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