Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Alternativer Finanzexperte zu Griechenland: „Das Land braucht ein…
> Eine neue Währung soll den Euro ergänzen, fordert der alternative
> Finanzexperte Bernard Lietaer. Er glaubt, dass so eine soziale
> Parallelwirtschaft entstehen kann, in der Steuern gezahlt werden.
Bild: Geht es nach Finanzexperte Bernard Litaer bezahlt dieser griechische Land…
taz: Herr Lietaer, was denken Sie über die Eurokrise, kommt sie für Sie
überraschend?
Bernard Lietaer: Ich fürchte, sie war absehbar. Denn der Euro wurde zwar
technisch gut vorbereitet, doch man hat sich nie wirklich Gedanken über die
Gouvernance, also eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik, gemacht.
Das hat man 30 Jahre schleifen lassen. Das lässt sich nicht mal eben mitten
in einer Krise improvisieren.
Das Hauptproblem ist derzeit Griechenland. Müssen die Griechen raus aus dem
Euro?
Aber nein, warum denn? Es wäre sogar eine große Dummheit, den Euro
ausgerechnet jetzt zu verlassen! Schließlich ist Griechenland schon seit
einiger Zeit zahlungsunfähig. Der Ernstfall hat längst stattgefunden,
spätestens mit dem Schuldenschnitt im Frühjahr, trotzdem hat Griechenland
immer noch den Euro. Außerdem wollen ihn 80 Prozent der Griechen behalten.
Nein, was das Land jetzt braucht, ist eine zweite Währung!
Denken Sie an den „Geuro“, den der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas
Mayer, vorgeschlagen hat? Also eine Art Parallelwährung?
Ja, genau. Mayers Ansatz ist richtig, denn er hat als erster Bankier
erkannt, dass es nicht mehr ausreicht, an den Symptomen herumzukurieren.
Wir brauchen einen neuen systemischen Ansatz.
Wie könnte der aussehen?
So ähnlich wie Mayers Geuro, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Mit
der Parallelwährung müssen auch Steuern eingetrieben und bezahlt werden.
Denn nur die Steuern verleihen einer Währung ihren Wert.
Wie kann man sich das praktisch vorstellen?
Nun, nennen wir die neue Währung Civic, das klingt besser als Geuro und
deutet an, worum es mir geht – nämlich um Bürgerengagement. Die
griechischen Städte und Gemeinden könnten das Recht erhalten, eine nur in
Civic bezahlbare Abgabe einzuziehen, also eine Art kommunale Steuer. Um
diese neue Währung zu erhalten, müssten die Bürger sich überlegen, was sie
an sinnvollen Arbeiten für die Gemeinde tun können. Neue Bäume pflanzen,
arbeitslosen Jugendlichen helfen, Fahrräder reparieren – alles ist möglich.
Vereine und andere Nichtregierungsorganisationen könnten nützliche Jobs
vorschlagen und die Leute dafür in Civic bezahlen. So würde eine soziale
Parallelwirtschaft in Gang kommen, die nachfrageorientiert und demokratisch
strukturiert wäre.
Klingt gut, aber was wird dann aus dem Euro?
Der Euro bleibt weiter die Währung für die Zentralregierung und die
kommerzielle Wirtschaft. Das griechische Budget würde jedoch um all jene
Dinge entlastet, die mit dem Civic erledigt werden. Warum sollte man die
Hilfe für alte Menschen auf Rhodos für ein Problem der Zentralregierung in
Athen opfern? Das ist die entscheidende Frage, der Civic würde sie lösen.
Und was passiert mit den Schulden, die in Euro angehäuft wurden? Kann
Griechenland sie jemals zurückzahlen, oder wird man gezwungen sein, Konkurs
anzumelden?
Mit einer Zweiwährungsstrategie wäre Griechenland in einer wesentlich
besseren Position, um die Euro-Schulden zurückzuzahlen. Das Land könnte
sogar die drohende Zahlungsunfähigkeit vermeiden. Der Grund dafür ist, dass
die Zentralregierung weiter Steuern in Euro eintreiben würde. Jene
Unternehmen, die im internationalen Handel tätig sind, würden weiter
Steuern auf ihre Gewinne in Euro zahlen. Andererseits müsste die
Zentralregierung einen Großteil des Budgets nicht mehr in Euro finanzieren.
Aber nicht den gesamten Etat?
Es handelt sich um jenen Teil, der derzeit Probleme bereitet: Bildung,
öffentliche Verwaltung und alle sozialen Hilfsleistungen. Die harten
Kürzungen in diesen Bereichen führen dazu, dass das von Brüssel verordnete
Sparprogramm zurückgewiesen wird. Mit dem Civic können die Städte und
Regionen diese Programme in Eigenregie übernehmen, statt sie einzustellen,
wie es derzeit geschieht. Außerdem könnten sie stärker an die wahrhaft
demokratischen Wünsche der Bürger angepasst werden. Außerdem würde der
Civic eine keynesianisches Konjunkturprogramm darstellen: Er schafft neue
Nachfrage an der Basis – und das ganz ohne Schulden für die
Zentralregierung oder die Gemeinden.
Derweil geht die Krise immer weiter, nun hat auch Spanien Probleme …
Ja, denn Griechenland ist letztlich nur Indikator für ein weit größeres,
systemisches Problem. Das gesamte auf Schulden basierte Währungssystem ist
auf Dauer zum Scheitern verurteilt. Und das gilt nicht nur für den Euro.
Wir haben in den letzten 40 Jahren auf der Welt laut Statistik des
Internationalen Währungsfonds schon 425 Wirtschaftskrisen gehabt, darunter
72 Schuldenkrisen. Diesmal trifft es Europa, doch auch die USA sind nicht
immun. Wie lange wird der Dollar noch bestehen? Ich stelle mir schon lange
diese Frage. Wir müssen endlich die System-Probleme angehen, oder wir
werden uns eine blutige Nase holen.
Wie könnte denn eine systemische Lösung aussehen?
Wir brauchen ein neues monetäres Ökosystem, mit kleinen und großen
Währungen. Wir brauchen lokale, nationale, europäische und weltweite
Zahlungsmittel. Bisher haben wir eine Monokultur. Sobald ein kleines
Problem auftaucht, geht alles kaputt, wie wir derzeit am Euro sehen. Es
wird daher höchste Zeit, dass die Verantwortlichen über eine systemische
Lösung nachdenken.
4 Jun 2012
## AUTOREN
Eric Bonse
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.