| # taz.de -- Euro 2012: Die schöne Frau Mahlmann | |
| > Die Hamburgerin Oceana singt den offiziellen EM-Song. Musikalisch ist der | |
| > Titel "Endless Summer" zwar weit unter dem Niveau der Soul-Sängerin, | |
| > ihrer Karriere aber sehr zuträglich. | |
| Bild: Sommer ohne Ende: Oceana stellt ihr Lied in Polen vor. | |
| HAMBURG taz | Was offiziell nach Fußball klingt, hat mit Fußball oft wenig | |
| zu tun. In „Buenos Dias Argentina“ sang Udo Jürgens 1978 noch vom schweren | |
| Weg zur WM. Nelly Fortados „Força“ hatte wenigstens Ansätze von Spiel, | |
| Schweiß, Trikotfarben im Text zur EM 2004, während „Waka Waka“ zur WM in | |
| Südafrika bloß den Austragungsort feierte. Der „Offizielle Song zur Uefa | |
| Euro 2012“ dagegen kommt ganz ohne Fußball aus. Dafür gibt es viel Party, | |
| Sun und Fun Fun Fun. | |
| Ein Kunstprodukt also, sportlich wie ein Fernsehabend. Ist denn wenigstens | |
| der Name seiner Interpretin echt – Oceana? „Nee“, sagt sie vor einem Café | |
| in Alsternähe und nippt am Ingwertee. „In echt heiß’ ich Sabine.“ Pause, | |
| Lachen, ein Ganzkörperlachen: „Blödsinn, Oceana stimmt.“ Mit weichem C, | |
| danach ein hartes Mahlmann. Da überrascht es wenig, dass sie auch die EM | |
| unterm Vornamen vertont. Trotzdem – „stolz bin ich auf beides“. | |
| Denn Oceana Mahlmann ist die karibisch-holsteinische Melange eines Vaters | |
| aus der Südsee und einer Mutter aus Wedel. Tochter eines DJs und einer | |
| Modemacherin, Enkelin eines bekannten Malerpaars, „powered by Martinique, | |
| born in Germany, made in New York and Paris“ – so nennt es der Spross einer | |
| gut situierten Künstlersippe. | |
| Und ausgerechnet der vertont nun die Europameisterschaft? Ausgerechnet er | |
| trällert das Bindeglied zwischen Polen, der Ukraine und dem Kontinent? | |
| Ausgerechnet mit „Endless Summer“, Ballermannpop voller Party, Sun und Fun, | |
| Fun, Fun – aber Null Fußball? | |
| Zur Antwort tut Oceana, was sie zwanghaft tut, seit sie mit 16 ihr | |
| Elternhaus verließ: singen. „Wohohohoho Yeaheaheaheaheah“. Dem | |
| Wollmützenträger am Nebentisch steht der Mund kurz offen. Oceana sieht | |
| nicht nur umwerfend aus mit ihrem Lockenturm und den Riesenaugen, sie zeigt | |
| auch ihr mächtiges Organ, purer Soul, leicht kratzig, sehr präzise. Soweit | |
| zur Klangfarbe. Der Rest klingt, wie offizielle Songs zu Events dieser Art | |
| so klingen. | |
| Dabei ist Wohoyeaheah ursprünglich das Ende eines anderen Lieds, das Oceana | |
| wie üblich selbst komponiert hat. Ein kleines, feines Reggae-Stück. Doch | |
| weil ihre Plattenfirma den Markt kennt, schickt sie nur die | |
| Mitgrölschnipsel nach Genf, wo die Uefa eine skandiertaugliche Hymne sucht. | |
| Was für jeden Geschmack. Also ohne Geschmack. | |
| Etliche Fußballversionen später ist die schöne Frau Mahlmann mit der tollen | |
| Haut, genannt Oceana, das akustische Aushängeschild der | |
| Europameisterschaft. „Wahnsinn“, jubelt sie. Aber auch kein Wunder. Denn | |
| anders als daheim ist Oceana weiter östlich ein Star. Ihr Soulpop „Cry Cry“ | |
| führt dort 2008 die Hitparaden an und macht das Solodebüt zum Durchbruch. | |
| Sie tanzt im Video von Fettes Brot und in der polnischen Version von „Let’s | |
| Dance“. Sie singt vor Annie Lennox und im Kinofilm „Jerry Cotton“. | |
| Wikipedia lässt sie (Ritterschlag der Relevanz) zu Unrecht in einer | |
| Seifenoper auftreten, Arte lässt sie (Ritterschlag der Seriosität) | |
| tatsächlich eine Show moderieren. | |
| Vieles ist neu, so sehr, „dass ich mich noch daran gewöhnen muss“, wie sie | |
| sagt. Bekannt zu sein etwa, erkannt zu werden. Dabei ist Oceana das | |
| Rampenlicht gewöhnt. „Mit vier hab’ ich in der Fabrik mit James Brown | |
| gesungen“, erinnert sie sich 26 Jahre später an ihre Bühnenpremiere. Maceo | |
| Parker, Saxofonist der Soullegende, wurde bald ihr Förderer. Dank ihm und | |
| dem Verständnis ihrer Eltern war nach der Mittleren Reife Schluss, um auf | |
| der Stage School eine Musikkarriere zu starten, die sich im Schulchor | |
| angedeutet hatte. | |
| Ob als Mitsängerin im Musical oder Hintergrundstimme von Seeed: Oceana ist | |
| Publikum gewöhnt, auch großes. Dennoch ist es was anderes, heute 50.000 | |
| moldawische Festivalbesucher zu rocken, ganz zu schweigen von ein paar | |
| Hundert Millionen Fernsehzuschauern. Mit einem Song, den sie, nun ja, eher | |
| duldet als mag. „Er ist das Poppigste, was ich je gemacht hab’“, räumt s… | |
| ein. Aber es stecke ja ihre Stimme drin. Und reichlich Spaß, den sie auch | |
| ohne Drogen und Alkohol jederzeit abrufen kann. Da könnte man diesen | |
| Zwischensprint vom Background an die Bühnenkante opportun nennen. | |
| Doch dafür steckt hinterm Aufstiegswillen ein viel zu starker Charakter. Er | |
| nennt sich in einem Atemzug mit Beyoncé, die es mit ähnlicher Optik und | |
| starker Stimme von der Zuträgerin zur Solokarriere gebracht hat. Und er | |
| entlarvt die Frage, wie viel Oceana mit der deutschen Kollegin Joy Denalane | |
| gemein hat, als rassistisch. Denalane ist auch so eine farbige | |
| Soul-Schönheit, die es mit viel Nonchalance von hinten nach vorn gebracht | |
| hat. „Wir Dunkelhäutigen sehen alle gleich aus, was?“ Oceana guckt dabei | |
| nicht böse, sie lächelt nett und meint das ernst. | |
| Diese selbstsichere Arglosigkeit kennzeichnet auch ihren Zugang zum | |
| Fußball. Was sie damit so am Hut habe? „Als Hamburgerin verfolge ich St. | |
| Pauli, HSV.“ Keine Frage. Weit mehr als das Spiel aber fasziniere sie die | |
| Disziplin, „diese Leidenschaft, alles zu geben“. Darin sieht sich die | |
| Mutter eines Sohns, der schon mit eineinhalb fast nur Bälle im Kopf hat, | |
| ein wenig selbst: als diszipliniert Leidenschaftsgetriebene mit karibischem | |
| Feuer. Sie sagt das selber so. Oceana mag ihre alten Soul-Idole, diese | |
| Arbeitstiere, ja auch mehr als all die Künstlertypen an ihrem Zweitwohnsitz | |
| Berlin, bei denen es immer heißt: „vielleicht morgen“. Bei Oceana heißt es | |
| immer: jetzt gleich. | |
| Am Demokratiedefizit in der Ukraine interessiert sie folglich vor allem | |
| „die Energie, mit der die Leute dagegen auf die Straße gehen“. Dem | |
| Emanzipationsgefälle setzt sie Respekt vor den „ungeheuer femininen Frauen“ | |
| entgegen, „die beruflich unabhängig sind, aber ihrem Mann daheim die Hemden | |
| bügeln“. | |
| Das entspricht Oceanas Lebenswelt: Eine Frau auf eigenen Beinen, die sie | |
| gern auf hohe Hacken stellt und in enge Kleider presst. Sexy eben, aber | |
| bewusst, diese Heidi-Klum-Sexiness – ein verstörendes Frauenbild, aus Sicht | |
| des Feminismus. „Schon dieses Wort“, stöhnt Oceana. | |
| Und so wird sie vorm Finale im Mittelkreis stehen und sexy sein, stark | |
| sein, leidenschaftlich sein, diszipliniert sein, aufgeregt sein, Spaß | |
| haben. Sie wird ihren Ballermann-Pop liefern und hoffen, dass ihr keiner | |
| den Ausflug übelnimmt. Danach wird sie wieder machen, was sie besser kann: | |
| Soulpop ohne Kanten. | |
| 18 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Freitag | |
| ## TAGS | |
| Soul | |
| Schwerpunkt Fußball-EM 2024 | |
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