# taz.de -- BMX-Star Bruno Hoffmann: Kleine Räder, dicke Reifen | |
> Bruno Hoffmann ist 19 und der Star der deutschen BMX-Szene. Gerade hat er | |
> sein Abitur gemacht, diese Woche wird er bei den BMX-Meisterschaften in | |
> Los Angeles starten. | |
Bild: Der 19-jährige Bruno Hoffmann aus Siegen ist einer der jüngsten profess… | |
Der 19-jährige Bruno Hoffmann aus Siegen ist einer der jüngsten | |
professionellen BMX-Fahrer. Trotz der internationalen Erfolge ist BMX für | |
ihn noch mehr Lebensstil als Sport, ein tägliches Manöver zwischen | |
Marketingstrategien, der eigenen Glaubwürdigkeit und den normalen, | |
jugendlichen Irrungen und Wirrungen. | |
Dunkelblonde, zerzauste Locken, Augen auf Halbmast. Als Bruno Hoffmann | |
gegen 16 Uhr aus seinem Zimmer im elterlichen Haus schlurft, sieht er | |
ziemlich verpennt aus. Dabei ist der 19-Jährige schon seit einigen Stunden | |
auf den Beinen. Zugegeben, die ständige Reiserei der letzten Zeit macht ihm | |
ein wenig zu schaffen. Bruno ist professioneller BMX-Fahrer. Allerdings | |
kein Racer, der in voller Montur einen Wettlauf gegen die Zeit über | |
schlammige Hügel ausführt, sondern Freestyler, der seinen Helm nur trägt, | |
„wenn es unbedingt sein muss“. Sein Terrain: Skateparks und die Straße. | |
Dass ihm heute der Jetlag noch in den Knochen steckt, ist kein Wunder: Ende | |
April bestritt Bruno die X Games in Schanghai – eine der weltweit größten | |
Extremsportveranstaltungen. Mit der Bronzemedaille im Gepäck flog er zurück | |
nach Deutschland, um noch schnell die Abiturprüfung dazwischenzuschieben. | |
Im Anschluss ging es direkt weiter nach Südkalifornien: Filmaufnahmen im | |
Auftrag eines seiner Sponsoren. | |
Kaum zurück im heimatlichen Nordrhein-Westfalen klingelte das Telefon, er | |
solle schnell nach Mailand zu einem Treffen mit europäischen und | |
südafrikanischen Fahrern kommen – also nichts wie hin. Seit knapp 24 | |
Stunden ist Bruno nun wieder in Siegen, wo er im Keller des Elternhauses | |
lebt. | |
Das viele Reisen ist er nun fast schon gewohnt: „Es kommt selten vor, dass | |
ich mal länger als zwei Wochen am Stück zu Hause bin“, sagt er. Der | |
Teenager genießt es, so oft er kann, der Monotonie der ehemaligen | |
Bergarbeiterstadt zu entfliehen. Vater Martin, der sich gerade mit Kaffee | |
dazugesellt, erzählt stolz: „Mit 14 war er schon zum ersten Mal allein in | |
Amerika.“ Mittlerweile fliegt Sohn Bruno mehrmals jährlich in die Staaten, | |
vor allem nach Kalifornien, dem Geburtsort von BMX. | |
## Sieben Milchzähne für ein BMX-Rad | |
Dort gibt es die größte Dichte von Skateparks und die besten Street Spots, | |
auf denen sich die bereits vierte BMX-Fahrergeneration tummelt. Ende der | |
1960er profilierte sich das kleine Rad mit den dicken Reifen als eigene | |
Sportdisziplin – inspiriert vom damals in den USA besonders populären | |
Motocross: Die motorisierte Version konnten sich nur die Wenigsten leisten. | |
Und so fingen Jugendliche an, ihre Räder umzubauen und über Brachflächen | |
mit selbst gestalteten Erhebungen, Buckeln und Steilkurven zu brettern. Aus | |
der Szene koppelten sich bald die sogenannten Freestyler ab, die sich statt | |
auf die Stoppuhr lieber nur noch auf die teils akrobatischen, teils | |
choreografischen Tricks konzentrieren wollten. | |
Mit sieben bekam Bruno sein erstes BMX-Rad. Bei einem Stunt in der Grube | |
hinterm Elternhaus prallte er mit voller Wucht gegen sein Lenkrad und | |
verlor dabei sieben Zähne. „Milchzähne“, beschwichtigt Bruno. „Ich war … | |
zu klein, das Fahrrad zu schwer, und die Bremse hat einfach viel zu gut | |
funktioniert.“ Er lacht. Die Ernüchterung hielt immerhin drei Jahre an. | |
Dann aber wurde es ernst: Mit zehn Jahren entdeckte er in einem Magazin die | |
Anzeige eines BMX-Ladens in Köln – und damit eine ungeahnte Szene, die sich | |
regelmäßig in einer Skatehalle traf. | |
Schnell wurde man auf den kleinen Bruno aufmerksam. „Damals gab es nicht so | |
viele BMXer, und in meinem Alter sowieso gar keine.“ „Bruno war immer der | |
Jüngste“, fügt Vater Martin hinzu. Das ist auch heute noch so – zumindest | |
unter den international bekannten Fahrern. Auch wenn mittlerweile selbst | |
das 100.000-Seelen-Dorf Siegen eine beachtliche BMX-Community von grob | |
geschätzt 50 Fahrern aufweist, noch vor zehn Jahren stand Bruno in Siegen | |
mit drei bis vier Gleichgesinnten ziemlich allein da. | |
„Ich wurde damals als der Junge mit dem Mädchenfahrrad ausgelacht“, | |
erinnert sich Bruno, doch die Sprüche konnten seine Passion nicht bremsen. | |
Und sowieso: „Ich hatte einfach keine Lust im Fußballverein auf Anpfiff | |
hinter einem Ball herzurennen.“ Heute sei das anders: Sobald sie die Kraft | |
dafür haben, fahren selbst Kleinkinder begeistert BMX. Der örtliche Hype | |
kam „durch den lokalen Skatepark, dessen Bau wir vor acht Jahren | |
durchsetzen konnten“, sagt Martin. „Ja, und durch das Internet“, ergänzt | |
Bruno. | |
## Filme aus den Philippinen, Ecuador, Georgien, Ghana | |
Vor wenigen Jahren erreichte kaum eine BMX-Videokassette oder -DVD den | |
deutschen Markt, heute klicken sich tagtäglich Millionen durch die | |
unzähligen BMX-Filmchen im Internet. Kaum gesehen, probieren die Kids die | |
Tricks gleich vor der Haustür aus – und laden die Videos von eigenen Stunts | |
hoch. Die Filme kommen aus den Philippinen, Ecuador, Georgien, Ghana, „aus | |
allen möglichen Ländern, von den man eigentlich meint, die hätten andere | |
Probleme als Fahrradfahren.“ | |
Besonders beeindruckt zeigt sich Bruno von einem Video aus Moskau, in dem | |
um die 150 BMXer und Skater auf 50 Neonazis treffen. „Du siehst nur eine | |
riesige Menge, die sich zusammenkloppt.“ Der ehemalige Ostblock sei ein | |
hartes Pflaster, die Skateparks in miserablem Zustand, der dortige Fahrstil | |
dementsprechend waghalsiger und gefährlicher – weswegen einige „mit dem | |
Gebiss ihrer Großväter besser aussehen würden“. Aber auch in England und | |
den USA geht es härter zu als in Deutschland. Bruno erzählt, wie Gangs und | |
Drogen den Alltag mancher Szene bestimmten. BMX entpuppte sich für viele | |
als einziger Ausweg aus dem Großstadtsumpf. | |
In Siegen jedenfalls sieht man keine Straßengangs, und auch die | |
Drogenprobleme scheinen überschaubar. Aber dafür gibt es Hardcore-Christen. | |
Direkt neben dem Skatepark hat sich die Calvary Chapel angesiedelt, eine | |
evangelikale Sekte aus den USA. „So komische Mädels in bis zu den Knöcheln | |
reichenden Kleidern stellen sich vor unseren Park“, erzählt Bruno und äfft | |
mit Fistelstimme nach: „Hallo, ich möchte euch zu unserem Gottesdienst | |
einladen.“ Weiter in normaler Tonlage: „Wir: ’Nein, verpisst euch!‘ “… | |
heben sie die Arme gen Himmel und fangen an, zu singen. Wir grölen zurück, | |
aber die stehen immer noch da und fahren komplett ihren Film ab.“ | |
Vor drei Jahren baute die Calvary Chapel eine eigene Skatehalle, die jedem | |
umsonst offen steht. Dass sich die Missionierungswut ausgerechnet auf die | |
BMXer stürzt, wundert Vater Martin wenig: „Das ist eine selbst organisierte | |
Szene, oft ohne spezifische elterliche Betreuung. Die Kinder sind noch | |
jung, und wie sonst überall auch auf der Suche.“ Eine ideale Klientel. Auch | |
Bruno hat sich dort einmal umgesehen: „Da läuft nur christlicher Reggae, | |
christlicher HipHop, christlicher Rock, christlicher Metal.“ Seitdem sind | |
Bruno und seine Kumpels den Jesusfans aus dem Weg geradelt. | |
Aber auch die Marketingbranche war bei Bruno auf Bekehrungskurs. Fast | |
täglich klingelten Hersteller von Spielzeuguhren, Designerkopfhörern, | |
Lebensmitteln und etliche Telefonanbieter an der Tür. Minderjährige sind | |
eine hart umkämpfte Zielgruppe. Selbst ein Joghurt lässt sich besser | |
verkaufen, wenn auf seiner Verpackung das Foto eines Skaters, Snowboarders | |
oder BMXers klebt. Bruno will sich allerdings mit Milchprodukten nicht so | |
recht identifizieren und lässt alle abblitzen. Die Sportwarenfirma Nike | |
schaffte es immerhin mal bis an den Siegener Küchentisch. Martin erinnert | |
sich: „Bruno war gerade mal 15, und es ging um einen 10.000 Euro Vertrag.“ | |
Der Junge lehnte ab. | |
## Vom Himmel schweben | |
Viel lieber fährt er für die Marken Vans, Dub BMX oder Federal Bikes. Deren | |
Bosse seien selbst ehemalige Fahrer, und so genießen sie eine gewisse | |
„Street Credibility“, die in der Szene weit wichtiger ist, als die | |
Produkte, die sie verkaufen. Brunos Sponsor Dub BMX zum Beispiel habe | |
eigentlich gar kein Geld. Aber darum geht es nicht. „Ich kann meine Flüge | |
nach England auch selbst bezahlen“, lächelt Bruno, während sich hinter ihm | |
hunderte von frischen Red-Bull-Dosen stapeln. | |
Der österreichische Energiegetränkehersteller ist auch einer von Brunos | |
Sponsoren. Aber mit dem Paradoxon kann er leben und holt aus dem | |
Bücherschrank einen alten Sixpack-Karton, auf dem er vor himmelblauem | |
Hintergrund auf seinem Fahrrad schwebt. Ein Kumpel, der zurzeit bei der | |
Werbeaktion im örtlichen Supermarkt arbeitete, stellte die Packs gleich | |
voller Stolz ins Schaufenster des Ladens. | |
„Heute sprechen mich die Gleichen, die mich früher ausgelacht haben und | |
sich im örtlichen Fussballklub immer noch für den nächsten Podolski halten, | |
darauf an, wie bei mir die Karriere so läuft.“ In Brunos Mailbox landet | |
Fanpost, auf seinem Regal türmen sich die Pokale: Vizemeister bei den | |
German Open 2008, zweiter Platz beim Red Bull Trick or Treat in New York | |
oder der erste Platz in der Sektion „Creative Award“ beim Rebeljam in | |
Portugal 2010. Im letzten März schaffte er es auf das Cover des | |
renommierten BMX-Magazins DIG. Darauf kramt er aus einer Ecke einen | |
Fahrradrahmen seines Sponsors Federal Bikes hervor, der ab Werk von seiner | |
Signatur geschmückt wird. Das Teil hat er schließlich mitkonzipiert. | |
Wird Bruno von Nacheiferern um Rat gebeten, gibt er sich bescheiden: | |
„Spektakuläre Technik steht nicht im Vordergrund. Es geht auch um den | |
richtigen Flow, die Einstellung. Tricks allein kommen teilweise schlechter | |
an als nur wenige Tricks, dafür mit Style.“ Der Bewunderung tut das keinen | |
Abbruch. Martin erzählt, der Rummel um Bruno sei auch anstrengend: Ein | |
Kamerateam von Stern TV stand unangekündigt vor der Haustür und ließ nicht | |
locker, bis Bruno samt Rad in Günther Jauchs Show auftrat, um auf der | |
Studiobühne ein paar Tricks vorzuführen. | |
## Der Jugendlichkeit geschuldete Sehnsüchte | |
Daraufhin beschwerten sich viele Eltern bei der Fernsehleitung, Bruno sei | |
kein Vorbild für ihre Kinder. Weil der Sport gefährlich ist? „Nein, weil | |
die BMXer immer gleich mit Sachbeschädigung in Verbindung gebracht werden.“ | |
Martin musste auch schon ein paar 1.000 Euro Wiedergutmachung wegen der | |
Jungs hinlegen: Ein frisch errichtetes Parkhaus hatten sie heimlich mit | |
ihren Bremsspuren eingeweiht. Da gab es ernste Worte. Aber als früherer | |
Hausbesetzer versteht der 50-jährige Martin auch den Reiz, verbotenes | |
Gelände zu betreten. Und er hat Respekt vor dem Drahtseilakt seines Sohns, | |
zwischen gierigen Profithändlern, erbosten Ordnungsämtern und nicht zuletzt | |
den normalen, der Jugendlichkeit geschuldeten Sehnsüchten und | |
Leidenschaften zu bestehen. | |
Am nächsten Tag sammeln sich Bruno, Bruder Carlo, die Freunde Eddie, Mario, | |
Robbie und Dima im familiären VW-Bus. Martin sitzt am Steuer: Der Ausflug | |
geht Richtung Köln, wo die Eröffnung eines BMX-Filmstudios stattfinden | |
soll: Ein Torbogen unter der S-Bahn, in dem zukünftig BMX Teams und | |
einzelne Fahrer für diverse Filmprojekte eingeladen werden sollen. | |
Während der Fahrt kann man die Buscrew dabei beobachten, wie sie unentwegt | |
die vorüberziehenden Straßen nach ausgefallenen Fahrstrecken absucht. Hier | |
eine steile Treppe, dort ein kurviger Brunnen. Doch aus einem spontanen | |
Straßenparcours in Köln wird in absehbarer Zukunft erst mal nichts, und | |
auch seinen eigenen Abi-Ball wird Bruno verpassen. | |
Schon zum Erscheinen dieser Geschichte saß er wieder im Flieger. Er muss zu | |
den US X-Games nach Los Angeles, bei denen er als erster Deutscher seit 12 | |
Jahren antreten wird. Den Wettbewerb kann man ab 28. Juni im Internet als | |
Livestream verfolgen, und auch Vater Martin wird sich das Spektakel am | |
heimischen Rechner nicht entgehen lassen. | |
25 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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