Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- FDP-Politiker Patrick Döring: Dickhäuter, empfindsam
> So tickt die kommende Politikergeneration: Der FDP-Generalsekretär
> Patrick Döring ist leidenschaftlicher Verkäufer. Aber wie verkauft man
> seine vertrackten Gefühle?
Bild: „Also ich war in meinem ganzen Leben noch nicht neidisch auf jemand and…
Elefanten attestiert man eine dicke Haut, ein unglaubliches Gedächtnis für
Kränkungen und eine, an ihrer Körpermasse gemessen, erstaunliche
Beweglichkeit. Fachleute pflegen die letztgenannten Eigenschaften zu
bestätigen, winken bei der dicken Haut indes ab: sie sei in Wirklichkeit
überaus empfindlich.
Wahrscheinlich bin ich nicht der Erste, dem bei der Begegnung mit Patrick
Döring der Vergleich mit einem freundlichen Dickhäuter durch den Kopf geht.
Der körperlich wuchtige Generalsekretär der FDP, der mir in seinem Büro
höflich und lebhaft parlierend den Mantel abnimmt, reagiert auf solche
Kategorisierungen mit Humor: Man habe ihn sogar schon als das „liebe
Raubtier“ bezeichnet. Aber auch Übernamen wie „der Heizer“ oder „der
Verkäufer“ empfindet er nicht als kränkend, selbst wenn sie ihn in das
berühmt-berüchtigte Rollenfach „Mann fürs Grobe“ drängen.
Döring kann das akzeptieren, es zählt zu seinem Selbstverständnis als
Cheforganisator einer kriselnden Partei, die er bei der Bundestagswahl über
die Fünfprozenthürde hieven will. Es hat etwas sympathisch Jungenhaftes,
wie er im Büro herumwuselt: im Wortsinn beweglich, körperlich und geistig;
durchaus virtuos seine Fähigkeit, sich schnell auf Situationen
einzustellen.
Flexibilität ist freilich auch von mir gefragt. Denn zu meiner Überraschung
findet das Gespräch im FDP-Hauptquartier zu dritt statt. Nach seinem
Amtsantritt im Dezember 2011 ereigneten sich Interviews mit erheblichen
kommunikativen Schnitzern. Ein paar Journalisten hätten sich nicht fair
verhalten, sagt Döring. Seither achtet er darauf, einen Zeugen
dabeizuhaben. Der Dritte am Tisch ist sein Büroleiter. Was wird das
verändern?, frage ich mich.
## Suche nach Gemeinschaft
Die leicht paranoisch gefärbte Konstellation erscheint auf den zweiten
Blick in anderer Hinsicht symptomatisch: Zu dritt fängt so etwas wie
Gruppe, „Gemeinschaft“ an. Die Suche nach Gemeinschaft spielt für Patrick
Dörings politische Karriere eine überraschend wichtige Rolle. Schon der
Parteieintritt hatte damit zu tun, dass der 18-Jährige bei der FDP im
niedersächsischen Stade nicht nur mehr Freiheitssinn, sondern auch mehr
Gemeinschaftsgeist spürte als bei der möglichen Alternative CDU.
Auch die Wahl des Betätigungsfeldes nach dem Ökonomiestudium war davon
bestimmt: eine Entscheidung gegen Großfirmen, für überschaubare Einheiten.
Döring möchte sein professionelles Umfeld immer ein bisschen als Familie
erleben können. So hart er arbeiten und so viel er Mitarbeitern abverlangen
mag – ein Touch Gemeinschaftsidylle gehört für ihn dazu. Nur dann fühlt er
sich wohl.
Der passionierte Hobbykoch, der gerne den Grill im Garten anschmeißt
(„offenes Feuer: eine archaische Situation“) und bei Wein und Zigarren
Freundschaften pflegt, schätzt Verlässlichkeit und Überschaubarkeit. Sein
Handeln ist erkennbar auf die Perspektive des mittelständischen
Unternehmertums zugeschnitten: in ihm kommt, so sieht er es selbst, die
Prägung durch sein Elternhaus zum Tragen. Vater und Mutter waren kleine
Selbstständige, Einzelhändler.
## Leidenschaftlicher Verkäufer
Die Lust am Verkaufen ist genuin: In allen Karrierestationen habe er
„leidenschaftlich Vertrieb gemacht“. Seine Weltsicht und sein
Kategoriensystem entstammen der Erfahrung in der Versicherungswirtschaft.
Wenn er, als Berufspolitiker, für Bürgernähe plädiert, fasst er das in die
Worte: „Wir sind der Außendienst der Demokratie.“
Als Außendienstler hat er denn auch, so sagt er, im Training von Selbst-
und Fremdwahrnehmung wesentliche Einsichten über sich gewonnen. Die
Erkenntnisse, die er hier zur Optimierung des Verkaufserfolgs erworben hat,
sind sein Handwerkszeug im politischen Geschäft geblieben: eine handfeste,
auf strategisches Handeln ausgerichtete Psychologie.
Emotionen sind dabei eher ein Störfaktor, etwas Unberechenbares. Aber doch
gerade auch das, was letztlich entscheidend für Selbstbild und Selbstgefühl
ist, insbesondere wenn man Wert auf Gemeinschaft legt: Wer sie will, will
immer auch die Anerkennung der anderen, einen unumstrittenen Platz – und,
wenn man ehrgeizig ist, möglichst den besten.
## Und was ist mit Lindner?
Mit Blick auf die NRW-Wahl frage ich Döring nach seinem Verhältnis zu
seinem Amtsvorgänger Christian Lindner. Kaum ist es ausgesprochen,
verändert sich schlagartig die Situation: Plötzlich sind wir zu viert am
Tisch. Der hochgelobte innerparteiliche Konkurrent ist, als steinerner
Gast, unter uns: Die Dreierkonstellation hat die Tür für andere geöffnet.
Ausgerechnet für Lindner, den von der Partei so enthusiastisch Gefeierten –
und von Döring, dem treuen Rösler-Gefolgsmann, skeptisch Beäugten.
Natürlich reagiert er auf meine Frage professionell, bekundet Anerkennung
für dessen „brillanten Wahlkampf“. Ich hake nach: Ob er bei den hymnischen
Lobgesängen auf seinen Vorgänger nicht Neid empfinde?
Das ganze Gespräch hatte bis zu dem Zeitpunkt ein hohes Tempo. Aber dieses
überlebensgroße NEIN kommt so reflexhaft wie der Colt aus dem Holster beim
Showdown: „Überhaupt nicht!“, sagt Döring. Er sagt es dreimal. Und dann
etwas, das mir den Atem verschlägt: „Also ich war in meinem ganzen Leben
noch nicht neidisch auf jemand anderen. Weder um materielle noch
immaterielle Dinge. Es ist mir richtig fremd. Ich bin meinem Herrgott und
meinen Eltern dankbar dafür: in mir gibt es dieses Gefühl nicht.“
Die vertrackten Gefühle! Mit dem ungebetenen Vierten öffnet sich ein
Türchen zu den unbekannten Gefilden des Patrick Döring. Müsste nicht der
berühmte gesunde Menschenverstand reichen, um ihm den Widersinn dieser
Aussage klarzumachen? Es gibt keine neidfreien Menschen. Obendrein hatte er
sich noch versprochen, aber ich hatte zugesagt, dass er die Zitate
gegenlesen dürfe: Nicht „Herrgott“ hatte es zunächst geheißen, sondern d…
er seinem „Herrscher“ dankbar sei.
## Zu großes Ego
Während ich darüber nachdenke, warum er das Gefühl so abwehren muss,
versucht sich Döring an einer Erklärung: „Vielleicht ist es mein zu großes
Ego, dass ich sage, ich hab mich nie über andere definiert.“ Die
Gesprächspause, die sich für einen Moment auftut, erscheint mir nach dem
schnellen kommunikativen Ping-Pong so breit wie der Grand Canyon.
Aber Döring findet rasch in die Spur zurück: Vergleiche mit anderen seien
ihm fremd, Zweifel kenne er nicht, Ängste auch nicht, jedenfalls keine
„Urängste“ oder „Urzweifel“. In meinen Ohren klingt es, als jage eine
Verleugnung die nächste.
In Gedanken bin ich immer noch bei der Fehlleistung – welcher „Herrscher“
verbietet ihm das Neidgefühl? – während Döring mir „ganz rational“ den…
seiner Verhaltensstrategie erklärt: Würde man Neid empfinden, kränkbar und
ängstlich sein, man würde zum Eigenbrötler und die Lust am Leben verlieren.
Es geht also um die gute alte Strategie des Es kann nicht sein, was nicht
sein darf. Gern würde ich ihm ein Wort dazu sagen, warum sie alles andere
als gut ist, schaue zum Dritten am Tisch – und verbiete es mir.
Das Gespräch ist eine Stunde alt – gerade haben wir über literarische
Vorlieben gesprochen (Truman Capote, Donna Leon) –, als Döring noch einmal
auf seine Außenwahrnehmung zu sprechen kommt. Er redet jetzt langsamer,
nachdenklich: „Ich glaube, dass ich sensibler und feinsinniger bin, als
vielleicht viele Leute glauben.“ Es werde von ihm gerne ein sehr schlichtes
Bild gezeichnet. „Aber“, sagt er dann schnell, „ das ist okay, ich komme
nervlich damit klar.“ Er lacht. Die Formulierung soll sagen: Dies ist ein
Joke. Ein Joke? „Vielleicht ist es auch eine Schutzbehauptung“, fügt er
sachlich hinzu.
## Mangel an Empathie
Ist Döring am Ende ein psychischer Wegmoderierer? Einer, der die
Widersprüche, die Widerstände und Kanten, die ihm begegnen, einfach
verleugnet und im Zweifel weghobelt? Bei sich und bei anderen? Früher habe
es ihm im Umgang mit Mitarbeitern manchmal an Empathie gemangelt, gesteht
er. In meinen Ohren klingt das besser als die Verleugnungsstrategie
Mir-kann-nichts-etwas-anhaben. Wer so denkt, das weiß ich aus meiner
Praxis, tappt zwangsläufig in die Falle der Illusionen. Verleugnen heißt:
die Realität nicht so wahrnehmen wollen, wie sie ist.
Ich verlasse ihn mit unklaren, mit gemischten Gefühlen: Der freundlich
zupackende junge Mann mit Ehrgeiz und Intelligenz, die kommunikative
Gewandtheit – und die grandiose Verleugnung. Mir geht der Spruch von der
dünnen Haut der Dickhäuter durch den Kopf. Patrick Döring wird sie in den
nächsten Jahren empfindlich zu spüren bekommen. Und seine Kontrahenten, da
bin ich mir sicher, sein Elefantengedächtnis für erlittene Kränkungen.
30 Jun 2012
## ARTIKEL ZUM THEMA
FDP stichelt vor dem Koalitionsgipfel: „Nessie“ bei der CSU
FDP kritisiert Koalitionspartner CSU: Zu viel Eigensinn unterstellt
Generalsekretär Döring den Bayern vor dem Spitzentreffen der
Regierungsparteien.
FDP nach der Landtagswahl im Glück: Kronprinz Christian
Der Wiedereinzug der tot geglaubten FDP in den Landtag NRW macht
Spitzenkandidaten Christian Lindner zum starken Mann der Partei. Alle
Blicke werden sich nun auf ihn richten.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.