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# taz.de -- Kolumne Blicke: Wenn der Vater mit den Söhnen
> Was soll man tun, wenn ein Abschied bevorsteht? Fußball schauen oder gar
> spielen? Die Wohnung aufräumen? Etwas neues starten auf jeden Fall.
Bild: Vater. Allein.
Nach dem Theater war der große Sohn mit den Freunden gegangen. Bei ihnen
würde er auch übernachten. Der kleine Sohn und der Vater fuhren mit der
U-Bahn nach Hause, und der Erwachsene tat, was ihm nur einfiel, den wieder
mal Zurückgelassenen zu trösten.
Seit einiger Zeit schon hatten sie darüber gesprochen, dass etwas Neues
bevorstünde: Der Bruder würde nun unweigerlich zum Pubertisten werden, zu
einem zu Hause gern gesehenen Gast, dessen eigentliches Leben aber sich
draußen, in der großen Stadt abspielte.
Der kleine Bruder hatte das tapfer verstanden. Er verstand auch, dass er
sich peu à peu mehr seinen wenig geliebten Gleichaltrigen würde zuwenden
müssen. Dass er nun Freunde brauchte, weil er in der Familie – die so ganz
intakt ohnehin nicht mehr war – nun ganz allein zurückblieb, ein Kind
zwischen zwei Erwachsenen.
## Wo waren die immer?
Der Vater war auch ein jüngstes Geschwister gewesen und erinnerte sich mit
Schrecken an die plötzliche Stille in der elterlichen Wohnung, als beide
Brüder zu Hause nur noch kurz rasteten. Wo waren die immer, verdammt?
Hand in Hand gingen Vater und Sohn von der U-Bahn nach Hause. Auf allen
Fernsehern lief ein Halbfinale, es regnete seit Tagen. Die Wende war nicht
nur einschneidend für das Söhnchen. Auch der Vater würde nun zurückmüssen.
Er mit den zwei Kindern – sie waren eine autonome Einheit gewesen: Nichts
dagegen, jemanden zu treffen, aber nach übermäßig intensiven
Betreuungsfreundschaften war ihm der Sinn nicht gestanden. Nun hieß es
Netzwerken. Schon das Wort klang nach Arbeit.
Es war schon recht spät, als sie ankamen. Der Vater ließ den Sohn dennoch
Fifa 12 spielen. Er selbst hörte den TV-Kommentar der sogenannten realen
Partie, während er die Wohnung in Ordnung brachte. Medienkonsum und Arbeit
waren schon immer Mittel gewesen, um sich von den Verlusten im wirklichen
Leben abzulenken. Trost boten sie nie: Am nächsten Morgen war halt die
Wohnung ein wenig sauber, man hatte im Computerspiel die Champions League
gewonnen und irgendwer konnte Europameister werden; aber der Abschied war
immer noch da, war immer noch genauso schlimm. Und man konnte nichts
dagegen tun, außer halt etwas anderes zu tun.
Etwas Neues beginnen. Oder in Trauer und Melancholie versinken, sich
betrinken – ein Kind konnte nicht mal das. Wie lange wollte man diesmal
besinnungslos an dem Bruch stehen bleiben, der sich vor einem aufgetan
hatte, und in den Abgrund starren? Wie lang brauchte man diesmal zum
Richtungswechsel, zum Losreißen vom Blick auf das, was man schlicht
hinnehmen musste? Bei Abschieden fiel fast immer das kindliche Wort
„ungerecht“.
Der Vater dachte, als der Sohn dann schlief, dass man damit, mit diesem vor
sich hingemurmelten Wort, einen ganzen Lebensabschnitt zubringen konnte. In
Deutschland gab es Bevölkerungsgruppen, die seit zwanzig Jahren nichts
anderes taten. Wie hatte es gestern in der Volksbühne geheißen: Murmel
Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel Murmel
Murmel …
5 Jul 2012
## AUTOREN
Ambros Waibel
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