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# taz.de -- Wurst und Wahrheit: Die Mühle der Glaubwürdigkeit
> Rügenwalder verdient an Wurst und einem Werbelogo, das die Firma
> unermüdlich präsentiert: einer Fleischmühle. Nie hat es die wirklich
> gegeben. Bis jetzt.
Bild: Nicht sehr romantisch, aber so isses nunmal: Teewurstproduktion bei Rüge…
Alwine war’s, die mit dem strengen Blick und den zum Mittelscheitel
gezwängten Haaren. Eines Tages, Anfang des 20. Jahrhunderts im pommerschen
Rügenwalde, kritzelte sie eine Windmühle auf ein Blatt Papier. Und weil ihr
danach war, gestaltete sie die Windmühlenflügel als Würste. Stramme, rote
Würste, wie sie in Carl Wilhelm Gottfrieds Fleischerei hingen. Ihr Mann
führte das 1834 gegründete Geschäft in der dritten Generation.
So kam das Rügenwalder-Logo in die Welt, an dem heute kaum vorbeikommt, wer
seine Wurstwaren im Supermarkt-Kühlregal sucht. Die mit der Mühle. Teewurst
aus Bad Zwischenahn in Niedersachsen, wohin es die Müllers nach dem Zweiten
Weltkrieg verschlug.
Klein gemahlenes Schweinefleisch, zu Wurst gequetscht und ein paar Tage
hängen gelassen, bis die Milchsäuregärung einsetzt. Carl Wilhelm Gottfried
aß sie angeblich am liebsten zum Nachmittagstee. Daher der Name.
Eine Windmühle mit Wurstflügeln. Was für eine bescheuerte Idee. Bei der
Rügenwalder Mühle Carl Müller GmbH und Co. KG fanden sie das
identitätsstiftend, also bekannten sie sich, wie es in der Sprache der
Werber heißt, offensiv dazu und brachten die wurstige Mühle groß raus. Sie
ziert jede Verpackung. Seit Jahren gilt Rügenwalder als umsatzstärkste
Wurstfabrik Deutschlands. 2012 waren es 172 Millionen Euro, ein Plus von
3,3 Prozent. Dabei stagniert der Markt.
Werbespots sind in Erinnerung geblieben, auf denen sich die Wurstflügel
sogar drehen. Angetrieben vom Wind der norddeutschen Tiefebene. Oder der
pommerschen, wo die Wurzeln der Firma liegen? Egal, die Mühle hat’s eh nie
gegeben. Nur auf Alwines Blatt Papier.
## Die Mühle muss gebaut werden
Inzwischen aber ist die Windmühle den Kunden so eingebimst worden – wir,
die mit der Mühle! –, dass das Unternehmen sie jetzt baut, bauen muss. Man
wolle die Kunden nicht enttäuschen, die fragten gehäuft, wo denn die Mühle
aus dem Fernsehen und von der Verpackung stehe. Also kriegen sie ihre
Mühle. Firmenchef Christian Rauffus, Müller-Nachfahre in sechster
Generation, spricht gern von der Glaubwürdigkeit, die wichtig sei, gerade
in der Wurstherstellung.
Die lokale Nordwest-Zeitung, zu deren Lieblingsunternehmen Rügenwalder
gehört, spricht vom „Wirklichkeit werdenden Firmenlogo“, das da am Ortsrand
von Zwischenahn auf fünfzehn Metern Höhe emporwächst. Im
Landschaftsschutzgebiet.
Sie bauen an der perfekten Rügenwalder-Wurst-Welt. Tradition, Liebe zum
Tier und grüne Wiesen sind darin die wichtigsten Elemente. Muss ja nicht
sofort auffallen, dass das Unternehmen in der Industriestraße 5 in 26160
Bad Zwischenahn doch nur ein riesiger fleischverarbeitender Betrieb ist,
Fleisch aus Massentierhaltung inklusive.
## Rüpelsheimer Ferkelmatsche
Fernsehzuschauer erinnern sich vielleicht noch an einen Robin-Hood-Typen
mit blondem Wallehaar, der einer verdutzten und sehr blauäugigen
Fleischereifachverkäuferin sämtliche Würste abluchst, um sie unter seinen
hungrigen Männern zu verteilen, die sich zum Chor formieren und schmettern:
„Würzig grob und herzhaft fein, wir hau’n rein!“ Der Satiriker Oliver
Kalkofe hat den TV-Spot verballhornt und sprach von „Rüpelsheimer
Ferkelmatsche“. So konnte es nicht weitergehen. Auch Wurst will ernst
genommen werden.
Vor drei Jahren wurde der TV-Multi Jörg Pilawa das Gesicht der Wurstfirma.
Die Haare keck mit Gel getrimmt, Typ netter Schwiegersohn, schmiert er
seither in TV-Spots Leberwurstbrote, im Hintergrund tollen die Kinder.
Rügenwalder hatte einen Marketingleiter eingestellt, es war die Zeit der
Lebensmittelskandale, Fleisch aus industrieller Großproduktion geriet in
Verruf.
Dem setzte die Firma einen cleveren Claim entgegen: „Viermal ohne“ – ohne
Geschmacksverstärker, Farbstoffe, Gluten und Lactose. Klang gut, fast wie
Natur pur. Das Greenpeace-Magazin lieferte die nächste Verballhornung und
machte daraus ein „viermal mit“: Fleisch aus Massentierhaltung, Pökelsalz
Natriumnitrit, Zucker und Gensoja im Tierfutter.
## Bootsmann auf überdüngter Wiese
In der Zwischenzeit beorderte Firmenchef Christian Rauffus ein paar
Mitarbeiter auf eine sattgrüne Wiese, um die hauseigene Internetseite
anzupassen. Nun stehen da vor einem Wasserlauf Rauffus, Marketingleiter
Godo Röben, dessen Etat von anfangs 50.000 Euro auf jetzt 19 Millionen
stieg, eine Industriekauffrau namens Julia Bergmann, ein paar
Weißbekleidete, die aussehen wie Laborchemiker, und Chefs Hund Bootsmann.
Dahinter drehen sich Flügel einer Backsteinmühle, im Himmel prangt der
Slogan, der all das atmosphärisch abbindet: „Wir stehen zu unserer
Verantwortung.“ Wurst als Vertrauenssache, auch wenn die Wiese vielleicht
nicht echt und ganz sicher überdüngt ist.
Selbstdarstellung beherrschen sie bei Rügenwalder, und so zu tun, als
würden sie den Kundenwunsch nach Transparenz befriedigen, auch. Auf der
Homepage gibt es die Rubrik „Rückverfolgbarkeit“. Da erscheint eine
Deutschlandkarte, auf der rote Fähnchen die Orte markieren, in denen
Schweinemäster ansässig sind, die an Rügenwalder liefern. Es sind viele
Fahnen, Rügenwalder macht ja auch viel Wurst. Allein den Becher mit „Feiner
Teewurst“ verkaufen sie 346.000-mal in der Woche.
Man kann die Fähnchen einzeln anklicken, worauf Fenster aufspringen, in
denen man die Namen der Bauernhöfe vermuten würde. Aber gezeigt werden nur
die Ortsnamen mit ihren Postleitzahlen. Ein Transparenzversprechen, das ins
Leere führt – aber doch etwas verrät. Greenpeace-Recherchen haben ergeben,
dass es in einigen der Orte nur einen Mastbetrieb gibt – und das sind oft
die Großen der Branche. Mit bis zu 20.000 Ferkeln und 15.000 Mastschweinen.
Bald wird die Rügenwalder Welt perfekt, noch diesen Herbst wird es die
Mühle geben, die es nie gab. Neulich wurde mit einem Schwertransport die
Haube geliefert. Am Giebel steht „Rügenwalder Mühle“, dazu die Jahreszahl…
1834 und 2012. Das ist der Brückenschlag in die Vorzeit, als die Wurst wohl
wirklich von korrekt behandelten Tieren kam. Sie wollen Salz in der Mühle
malen, Nitritpökelsalz für die Wurst. Irgendwas müssen sie mit dem Ding ja
machen.
7 Jul 2012
## AUTOREN
Felix Zimmermann
Felix Zimmermann
## TAGS
Fleisch
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