| # taz.de -- Ivanisevic über Wimbeldon: „Heute traut sich keiner mehr ans Net… | |
| > Goran Ivanisevic, Wimbledon-Sieger von 2001, über frühere Macken, das | |
| > Spiel von heute und das prestigeträchtigste Tennisturnier der Welt. | |
| Bild: Ivanisevic 2004 nach seinem Erstrundensieg in Wimbeldon. | |
| taz: Herr Ivanisevic, Sie sind seit acht Jahren kein Tennisprofi mehr. Aber | |
| wie oft denken Sie noch an Wimbledon, an das Jahr 2001 und Ihren | |
| denkwürdigen Sieg? | |
| Goran Ivanisevic: Jeden Tag. Wirklich. Es ist die größte Geschichte meines | |
| Lebens. Ich habe fünfzehn Jahre auf diesen Sieg gewartet. | |
| Sie haben in diesem Jahr wieder einmal Wimbledon besucht. Welche Gefühle | |
| bewegen Sie, wenn Sie durch die geschmiedeten Eisentore des Haupteingangs | |
| gehen? | |
| Es ist, als ob ich das Paradies beträte. Den schönsten Ort, den du dir als | |
| Tennisspieler vorstellen kannst. Da ist ein großer innerer Frieden in mir, | |
| die Gewissheit, meine Dämonen hier besiegt zu haben. | |
| 2001 kamen Sie mit einer Wild Card ins Turnier, hatten aber auch schon drei | |
| Finalniederlagen im Gepäck. | |
| Wahrscheinlich hätte ich mich umgebracht, wenn ich gegen Patrick Rafter | |
| auch noch verloren hätte (lacht). Der Druck war schon immens. Aber ich | |
| wusste damals schon seit der zweiten Runde, dass ich gewinne. | |
| Woher hatten Sie diese Gewissheit? | |
| Es war der Sound, der von meinem Schläger kam. Ich hatte fast zwei Jahre | |
| keinen Ball mehr vernünftig getroffen, aber in Wimbledon war plötzlich der | |
| satte Klang wieder da. Das war wie Musik in meinen Ohren, denn so hatte | |
| sich das auch angehört, als ich erfolgreich war in Wimbledon. | |
| Sie waren damals auch hoffnungslos abergläubisch – bis zur Spleenigkeit. | |
| Meine Freunde haben echt an meiner Zurechnungsfähigkeit gezweifelt, wollten | |
| mich im Spaß schon zum Psychiater schicken. Ich schaute jeden Morgen in | |
| diesen zwei Wimbledon-Wochen die Teletubbies, aß abends immer im selben | |
| Restaurant dasselbe Menü, ging im All England Club unter dieselbe Dusche. | |
| Mal ganz zu schweigen von den Ritualen auf dem Platz. Ich habe die | |
| Balljungen ja immer genervt, mir nach gewonnenen Punkten wieder denselben | |
| Ball zu geben. | |
| Sampras, der stoische Amerikaner, stahl Ihnen selbst in Glanzzeiten die | |
| Pokale. Haben Sie ihn gehasst? | |
| Er war der große Spielverderber meiner Karriere. Ganz sicher. Aber Hass | |
| kannte ich nicht auf dem Centre Court. | |
| Vor zwanzig Jahren verloren Sie ihr erstes Wimbledon-Finale gegen Agassi. | |
| Der nervte damals als Paradiesvogel mit Hollywood-Anhang den Rest der Welt | |
| gewaltig. | |
| Das war ganz großes Kino. Nur ohne Happy End für mich. Ich mochte Andre | |
| eigentlich gern. Er war einfach so anders als die anderen. Ein Typ, ein | |
| Charakter. Einer, der nicht so glattgebügelt war, mit Zweifeln und Ängsten. | |
| Und großen Gefühlen. | |
| Auch Sie ragten aus der grauen Masse der Spieler heraus, nicht nur als Herr | |
| der Asse, sondern auch als Spaßvogel, Schiedsrichterbeschimpfer oder | |
| Schelm. | |
| Tja, es war halt so, dass es den guten Goran gab. Den bösen Goran. Und den | |
| Goran, der zwischen den beiden vermittelte. Das habe ich in meinem ganzen | |
| Leben als Profi ausgelebt. Langweilig war das nie, aber sehr anstrengend. | |
| Ich habe meine ganzen Gefühle restlos da draußen auf dem Platz gelassen, da | |
| war nichts gespielt, inszeniert. Das war ich. Pur. | |
| Das Tennis der Gegenwart wirkt dagegen sehr ernst, sehr verbissen, sehr | |
| seriös. | |
| Ach Gott, ich bin kein Nostalgiker, der sagt: Früher war alles besser, | |
| schöner, aufregender. Es gibt auch heute Typen, die die Fans mitreißen, den | |
| Fighter Nadal, den Künstler Federer, den dramatischen Djokovic. Was man | |
| sich wünschte, wäre ein Spieler, der diesen drei Jungs da vorne mal so | |
| richtig dauerhaft einheizt und Angst einjagt. Aber ich sehe keinen. Nadals | |
| Niederlage, das war ein Einmal-Erlebnis. Aber immerhin hat sie gezeigt: Mit | |
| Mut zum Risiko und enormer Power kannst du hier immer noch große Dinge | |
| schaffen. | |
| Sie haben kürzlich beklagt, dass im Grunde alle Spieler ähnlich spielen, | |
| dass es kaum noch Angriffstennis gibt. | |
| Heute traut sich wirklich keiner mehr nach vorne. Es gibt Spiele in | |
| Wimbledon, da gibt es keine einzige Netzattacke mehr. Der Wahnsinn. Wenn | |
| alle überall nur noch ein und dasselbe Tennis spielen, haben wir ein | |
| Problem. Ich möchte eben auch Spieler sehen, die sich bedingungslos nach | |
| vorne stürzen. | |
| Das Problem ist: Nach den Aufschlagorgien früherer Wimbledon-Jahre sind die | |
| Plätze nicht nur hier, sondern rund um die Welt langsamer geworden. | |
| Aber das macht den Spielern vielleicht auch keinen Spaß mehr. Und es sorgt | |
| für mehr Verletzungen, weil die körperlichen Strapazen immer größer werden. | |
| Und die Matches immer länger. Selbst Drei-Satz-Spiele dauern manchmal schon | |
| drei Stunden und mehr. | |
| Da würde ich wohl tot umfallen, wenn ich das durchhalten müsste. Sechs | |
| Stunden Finale bei den Australian Open, das ist nicht mehr von dieser Welt. | |
| 8 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Jörg Almeroth | |
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