# taz.de -- Abfall im Meer: Der Tod trägt Plastik | |
> Forschungen zeigen, die Nordsee und ihre Strände sind mit Plastik und | |
> Mikroplastik verseucht. Im Weltnaturerbe Wattenmeer polstern Löffler ihre | |
> Nester mit Müll, Vogelmägen sind voll davon. | |
Bild: Stranguliert von einer der zahlreichen, im Meer schwimmenden Luftballonsc… | |
99 Luftballons sollen laut Schlagersängerin Nena zum Horizont geflogen | |
sein. Doch hinterm Horizont geht’s weiter. Irgendwann kommt ein Meer und | |
darin landen die Ballons und werden zu Todesfallen für Fische und Seevögel. | |
„Auf Mellum finden Sie am Strand alle zehn Meter mindestens eine | |
Luftballonschnur. Die Fäden strangulieren Seevögel und Schweinswale“, sagt | |
Thomas Clemens. Der Biologe forscht ehrenamtlich im Mellumrat über Müll im | |
Meer. Der Mellumrat ist ein regionaler Umweltverein, der auf ehrenamtlicher | |
Basis zum Beispiel Wangerooge, die unbewohnte Vogelinsel Mellum und das | |
Eiland Minsener Oog, alle im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer, | |
umweltfachlich betreut. | |
Weltnaturerbe hin oder her, die Nordsee und das Wattenmeer sind eine | |
Müllkippe. Die jüngste Müllzählung des Mellumrates ist niederschmetternd. | |
„Bei zehn Zählungen am Mellumer Strand haben wir auf 100 Metern über 700 | |
Teile gefunden“, sagt Clemens. „Wir haben 60 Brutnester von Löfflern auf | |
Mellum. Diese Nester sind nicht mit Flaum, Federn oder Gras gepolstert, | |
sondern mit Plastiktüten.“ | |
## Müllsammeln am Morgen | |
Touristen merken davon nichts. Mellum darf man nicht betreten und in den | |
Feriengebieten werden Millionenbeträge aufgeboten, um die Strände im | |
Morgengrauen müllfrei zu bekommen. Welche Mengen Müll in den Meeren | |
schwimmen, das könne man seriös nicht angeben, sagt Clemens. Die | |
Konsequenzen würden die zukünftigen Generationen zu spüren bekommen. | |
Das Tragische ist, laut internationaler Meeresabkommen dürfte kein | |
Fitzelchen ins Meer geworfen werden. Schiffe müssen Mülltagebücher führen, | |
die von den Hafenbehörden überprüft werden. Woher kommt dann der ganze | |
Dreck? Clemens sagt: „Der Hauptteil des bei uns landenden Mülls ist | |
trotzdem von der Seeschifffahrt und der Fischerei verursacht. Das sind grob | |
geschätzt 90 Prozent Netzreste, Schiffsfarben, Fischkisten und so weiter.“ | |
Sonnencremedosen und Spielzeuge würden auf Touristen deuten und aus den | |
Flüssen werde vom Fernseher über die Waschmaschine und Plastiktüten alles | |
angeschwemmt, was zum Haushalt gehört. „Etwa 80 Prozent des Mülls ist | |
Plastik“, sagt Clemens. | |
## Plastik macht satt | |
Gerd Liebezeit vom Institut für Chemie und Biologie des Meeres an der Uni | |
Oldenburg hat Abschnitte der ostfriesischen Küste und die Ferieninseln nach | |
Plastikrückständen im Meeressediment abgesucht. Sein Ergebnis: In jeder | |
Probe fand sich Mikroplastik. Das sind Abriebe von zersetztem Plastik. Auf | |
Minsener Oog, einer geschützten Vogelinsel im Nationalpark, entdeckte er | |
bis zu 256 Teilchen dieser Partikel auf zehn Gramm Sedimentprobe. | |
Verschlucken Fische oder Vögel die Teilchen, täuscht ihnen der Magen | |
Sättigung vor. Die Tiere verhungern. Schlimmer ist aber: Diese Teilchen | |
haben Zusätze. „Eine hormonelle Wirkung von Mikroplastik ist | |
Unfruchtbarkeit. Über die Nahrungskette gelangt Mikroplastik auch in den | |
Menschen“, sagt Clemens. | |
In seiner Mülluntersuchung schreibt Liebezeit: „Die globale | |
Plastikproduktion ist seit 1950 von 1,7 auf 265 Millionen Tonnen | |
angestiegen (2010).“ Irgendwann landet das alles im Meer. | |
6 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Schumacher | |
## TAGS | |
Plastik | |
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