Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinokomödie „Fast verheiratet“: Tröstliches Erschlaffen
> Ein Koch folgt seiner Verlobten nach Michigan. Die Social-Comedy-Filme
> des Produzenten Judd Apatow verhandeln die Krise der Männlichkeit, ohne
> restaurativ zu sein.
Bild: Die Partnerschaft als kleinste Solidargemeinschaft: Jason Segel und Emily…
Es ist eine drängende Frage, die sich vielen jungen Paaren mit akademischem
Background stellt: Was tun, wenn ein lukrativer Job winkt, der nicht nur
einen Umzug, sondern auch einen empfindlichen Karrierekompromiss des
Partners nötig macht? Oft sind es die Frauen, die nachgeben.
In diesem Fall aber ist es Tom (Jason Segel), der als Koch von Gottes
Gnaden eine attraktive Position in einem Gourmetrestaurant aufgibt, um mit
seiner Verlobten Violet (Emily Blunt) vom sonnig-paradiesischen San
Francisco ins höllisch verschneite Michigan zu ziehen, wo sie eine
prestigereiche Stelle an der Universität erwartet. Treues Bekenntnis des
lieben Mannes: „Ist ja nur für zwei Jahre, kochen kann ich überall, und
dann heiraten wir eben, wenn wir wieder hier sind.“
Von wegen. Violet startet akademisch durch, Tom landet beim Fast Food,
freundet sich mit obskuren Jägern an, lässt sich einen grotesken
Hinterwäldler-Hufeisenbart wachsen, lernt stricken: Die zwei Jahre wachsen
sich aus, die stets verschobene Eheschließung gerinnt zum running gag
zwischen Beziehungskrisen, Seitensprung-Avancen und Winterdepressionen mit
Grobwollpullis, bizarren Jagdtrophäen und männlicherseits vorgetäuschten
Orgasmen.
Im Grunde verbergen sich in den meisten Komödien des Produzenten Judd
Apatow hinter dem albern-brachialen Humor Moralstücke, die gottlob nicht
restaurativ argumentieren und die Krise der Männlichkeit zum Anlass nehmen.
Wenn die Screwball Comedy den Eiertanz zwischen den Geschlechtern
sprachlich codiert, übersetzt Apatows Social Comedy die Diskrepanz zwischen
individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Anforderungen ins
Körperliche.
## Der effeminierte Mann
Jason Segel, der derzeit interessanteste, definitiv sympathischste
Darsteller aus dem Apatow-Ensemble, spielt diesen Tom nun, wenn man so
will, als effeminierten Mann. Und das mit großem Reiz, ganz ohne den
schweren Ballast des Thesenfilms: Die genderverdrehte Situation
sensibilisiert, aller Hauruck-Kreatürlichkeit zum Trotz (im Laufe des Films
geht ein Zeh verloren, dann und wann fließt Blut), wohl auch diejenigen
Zuschauer für die Situation des partnerschaftlichen Karrierekompromisses,
die dafür ansonsten keinen Blick hätten.
Umgekehrt wird vielleicht auch manche weibliche Marotte in der grotesken
Spiegelung über Segels speckig-großen Körper, aus dem es unvergleichlich
treu und melancholisch blickt, ebenso erhellend ins Kenntliche verzerrt.
Toms aus dem steten Zurückstecken resultierende Depressionen brechen sich
freilich in einer selbst für Apatow-Verhältnisse bizarren Weise Bahn, die
den Film zuweilen in die Nähe von David Lynch County rückt: Lange Zeit
läuft Segel im runtergeranzten Hasenkostüm herum, verschlingt dabei alte
Donuts, trägt den schlimmsten Bart der jüngeren Filmgeschichte zur Schau,
schießt gemeinsam mit verqueren Hinterwäldlern Rehe, die sehr eindeutig
mechanischer Natur sind, und verbringt Nächte nackt im Schnee.
## Kapitulation im Lifestyle-Stress
Spätestens wenn er während einer vorübergehenden Trennung bei einer jungen
Blonden mit gesteigerten Lifestyle-Ambitionen landet, die ihm athletische
Dauerbespringung abverlangt, kommt der geschundene Apatow-Männerkörper, der
hier – immerhin doch mit Würde – erduldet, was kaum ein solcher bislang
erdulden musste, zum Erliegen: Kapitulation im Lifestyle-Stress!
Spannend zu beobachten, wie bei all diesem großartigen Irrsinn um eine
verhinderte Eheschließung die sozialen Mechanismen und Gängelungen nie aus
dem Blick verloren werden. Nicht zuletzt liegt im Erschlaffen, im
Nicht-mehr-Mitmachen eines jeck gewordenen und korrumpierenden
Lebenslauf-Buildings und eines auf Selbstoptimierung abgestellten
Hedonismus eine tröstliche Dimension.
Die Ehe, die hier im parodistisch schönen Happy End dann doch geschlossen
wird, ist nicht unbedingt als Zementierung tradierter Lebensentwürfe zu
verstehen, was schrecklich fade wäre. Vielmehr ist sie die kleinste
Solidargemeinschaft: Diese zwei stützen einander, in guten, noch mehr in
schlechten Zeiten.
„Fast verheiratet“. Regie: Nicholas Stoller. Mit Emily Blunt, Jason Segel,
USA 2012, 120 Min.
12 Jul 2012
## AUTOREN
Thomas Groh
## TAGS
Komödie
## ARTIKEL ZUM THEMA
Filmstart „Das ist das Ende“: Nerds, Neurosen, Nahtoderfahrung
Die Komödie von Seth Rogen und Evan Goldberg feiert Hauseinweihung und
Weltuntergang. Die Backstreet Boys sind auch dabei.
Filmkomödie "Crazy, Stupid, Love": Vollendet höfliches Draufgängertum
Cal will Emily, und die will die Scheidung - was dazu führt, dass in
"Crazy, Stupid, Love" ein Mann im Mittelpunkt steht. Er heißt Jacob und ist
die Rettung der weiblichen Zuschauer.
Überraschungserfolg "Brautalarm": Die Braut, die auf die Straße scheißt
In "Brautalarm" widerlegen sechs talentierte Komödiantinnen - vor allem
Kristen Wiig - die gängige Lehrmeinung, dass Frauen schön sind, aber nicht
komisch.
US-Komödie "Hangover 2": Ein Exzess mit Deadline
Der zweite Teil der Erfolgskomödie "Hangover" hat kaum neue Einfälle. Mit
dabei: Ein Gesichtstattoo, ein abgeschnittener Finger.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.