# taz.de -- Kommentar zur Senioren-Besetzung: Pankow muss rechnen | |
> Die Schließung des Seniorentreffs in Pankow ist kurzsichtig. Denn es | |
> handelt sich um eine funktionierende Gruppe von Menschen, die sich | |
> gegenseitig helfen. | |
Bild: Die Besetzung des Freizeittreffs für Seniorinnen und Senioren in der Sti… | |
Fast will man die ganze Geschichte mit einem freundlichen Lächeln | |
quittieren. Rebellische Rentner recken schüchtern die Faust in die Luft, | |
ein wenig lachen müssen sie dabei selbst. Wie ernst sie ihre Besetzung | |
meinen, wissen sie noch nicht genau – ein Spaß ist das Ganze für die Alten | |
jedoch nicht. | |
Im Gegenteil: Ihre Botschaft ist existenziell. Nur deshalb haben die | |
SeniorInnen ein Mittel gewählt, das für Menschen um die 70 schon | |
gesundheitlich eine große Belastung ist. Nach Jahrzehnten soll die | |
Gemeinschaft von 300 PankowerInnen auseinandergerissen werden, weil sich | |
der Bezirk Unterhalt und Sanierung der Villa in der Nähe des vornehmen | |
Majakowskirings nicht mehr leisten kann. | |
Die Rechnung, die der Bezirk dabei aufmacht, funktioniert jedoch nicht. In | |
der Stillen Straße geht es um SeniorInnen im Alter von 65 bis 96, die | |
meisten sind alleinstehende Frauen, die Männer sind ihnen längst | |
weggestorben. Vordergründig kommen die alten Damen einmal wöchentlich zur | |
Bridge-Gruppe, die, so der Bezirk, auch Platz in der Kita finden könnte. | |
## Großer Zusammenhalt | |
Tatsächlich jedoch geht es um viel mehr als ums Kartenspielen: In der | |
Stillen Straße sind genau die sozialen Strukturen gewachsen, die ein Leben | |
im Alter lebenswert machen. Die SeniorInnen verbringen ihre Zeit gemeinsam, | |
ob im Garten oder beim Kaffee. Sie feiern Feste im Klub, wie sie ihn | |
nennen, und helfen einander auch mal beim Einkauf oder der Pflege. | |
Üblicherweise sind für so etwas Verbände wie der Paritätische | |
Wohlfahrtsverband oder die Caritas da, die sich um Alte und Kranke kümmern. | |
Gegen Bezahlung, versteht sich, und sei es vonseiten des Staats. Die Stille | |
Straße jedoch ist ein Projekt, das vollständig ehrenamtlich organisiert | |
wird. Hier ist die Hilfe des Staats nicht nötig – weil etwas gewachsen ist, | |
was heute, zumal in der Großstadt, in den seltensten Fällen aus eigener | |
Kraft entsteht. | |
Und was macht der Bezirk? Er zerschlägt die Strukturen, die er selbst nur | |
mühsam oder gar nicht mehr bereitstellen kann. Anstatt sich entlastet zu | |
wissen, blendet er sogar die Konsequenzen seiner Handlung aus: Indem 300 | |
SeniorInnen die Gemeinschaft genommen wird, werden sie in die Isolation | |
gedrängt und letztlich, so ihre Befürchtung, krank. Bezahlen dafür wird – | |
via Gesundheitssystem und Verbänden – der Staat. | |
Wie hoch die sozialen Kosten solcher Absurditäten sind, wird nicht | |
überlegt. Pankow und viele andere Bezirke hangeln sich von einem zum | |
nächsten Haushalt und beschließen in kurzsichtigem Klein-Klein, eine | |
Kürzung nach der anderen umzusetzen. Nun jedoch ist der Zeitpunkt gekommen, | |
zu rechnen: Wenn schwarz auf weiß klar wird, wie hoch die Folgekosten sind, | |
die durch die Schließung der Stillen Straße entstehen, dann wird auch | |
schnell klar, dass es keine Alternative dazu gibt, den Seniorentreff zu | |
erhalten. | |
12 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Occupy-Bewegung | |
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