| # taz.de -- Gepäckchaos vs. Urlaubsglück: Die haben noch meinen Koffer in Ber… | |
| > Wenn das Gepäck nicht mit in den Urlaub geflogen ist, wird es | |
| > nachgeliefert. Seit Tegel aus allen Nähten platzt, kann das schon mal | |
| > eine Woche dauern. Ein Leidensbericht. | |
| Bild: Da war er noch ein treuer Begleiter, der Koffer. | |
| Im Terminal D des Flughafens Tegel wird es eng. Immer mehr Fluggäste der | |
| nächsten Verbindungen strömen in den Flachbau neben dem Hauptgebäude, und | |
| in der Schlange stehen noch verhinderte Reisende, deren Flieger längst | |
| hätte starten sollen. | |
| „Noch Passagiere nach Paris?“, ruft eine Air-France-Mitarbeiterin in die | |
| Menge. Vor fünf Minuten sind auf dieselbe Frage hundert Hände in die Luft | |
| geschossen – seitdem wurden drei Passagiere abgefertigt. Wir schreiben | |
| Montag, den 16. Juli, und bei Air France sind die Computer ausgefallen. | |
| Alle Passagiere müssen manuell abgearbeitet werden. | |
| In der Schlange herrscht Unruhe. Die meisten Reisenden haben einen | |
| Anschlussflug in Paris, für einige von ihnen wird es langsam eng. Eine | |
| ältere Dame reist nach Montréal, zielstrebig und mit einiger List drängelt | |
| sie sich Stück vor Stück nach vorn. Offenbar glaubt sie, der Flieger | |
| starte, wenn sie erst mal drin sitzt. Eine weitere Air-France-Mitarbeiterin | |
| geht durch die Reihen und bittet darum, die Bordkarten an einem Automaten | |
| zu ziehen. Ihre Kolleginnen an der Gepäckaufgabe rufen sich über die Reihen | |
| hinweg Nummern zu, irgendetwas ist abhandengekommen und muss abgeglichen | |
| werden. | |
| Am Schalter wird das Chaos offenkundig: Die Gepäcknummern werden | |
| handschriftlich notiert – nicht etwa auf ordentlichen Listen, sondern auf | |
| blanken DIN-A4-Bögen, die überall verstreut liegen. Zahlen nebeneinander, | |
| untereinander, durcheinander. | |
| Diese Zettel seien intern als Gedächtnisstütze gedacht gewesen, sagt später | |
| Julia Lange, Sprecherin von Air France Deutschland. Der zuständige | |
| Stationsleiter habe betont, es stecke ein System dahinter. Praktikabel ist | |
| dieses System ganz offensichtlich nicht: In Paris fehlt das gesamte Gepäck | |
| aller Passagiere. Air France, so stellt sich heraus, hat es wegen der | |
| bereits erteilten Starterlaubnis und der Verspätung von anderteinhalb | |
| Stunden einfach nicht mitgenommen. Das Gepäck auf Anschlussflüge | |
| durchzuchecken war wegen des Systemausfalls nicht möglich. | |
| In Paris müssen Formulare ausgefüllt werden. Wieder Schlange stehen. Auf | |
| dem Tresen liegt ein laminiertes Tableau, auf dem verschiedene | |
| Gepäckvarianten aufgeführt sind, anhand deren das verlorene Gepäckstück | |
| besser identifiziert werden soll – auch Tierboxen. Beruhigend, dass sich im | |
| eigenen, nunmehr vermissten Gepäck nichts Lebendiges befindet. | |
| Der freundliche Mann am Air-France-Schalter fragt, wie lange der Aufenthalt | |
| denn insgesamt dauern werde. Die Antwort, man hätte sein Gepäck schon ganz | |
| gern früher, irritiert ihn kurz. Dann versichert er, es werde am darauf | |
| folgenden Tag nachgeschickt, ganz bestimmt. Zum Abschied gibt’s eine | |
| Zahnbürste, derweil der Anschlussflug in Paris-Orly bereits in die Lüfte | |
| geht. Der nächste geht in drei Stunden. | |
| ## Wachsende Frustration | |
| Was anfangs noch mit Achselzucken und ein paar Witzchen abgehandelt wird, | |
| summiert sich von Tag zu Tag mehr zur Frustration: Enttäuschung folgt auf | |
| Hoffnung, der Tagesablauf wird plötzlich fremdbestimmt. Können wir jetzt | |
| wegfahren, wenn doch gleich der Bote vor der Tür steht? Gehe ich jetzt eine | |
| neue Hose kaufen? Ach nein, den einen Tag halte ich schon noch aus. | |
| „Da wir sehr gut nachvollziehen können, mit welchen Unannehmlichkeiten die | |
| verspätete Auslieferung eines Gepäckstücks verbunden sein kann, setzen wir | |
| alles daran, das Gepäckstück so schnell wie möglich unserem Fluggast zur | |
| Verfügung zu stellen“, sagt Air-France-Sprecherin Lange. In der Praxis | |
| sieht das anders aus. | |
| Online soll sich der Status der Gepäcksuche nachverfolgen lassen, aber das | |
| ist nur ein theoretisches Instrument, woran sich in den kommenden Tagen | |
| nichts ändert. Telefonisch ist dafür mehr Abwechslung geboten, als einem | |
| Urlauber lieb sein kann. Dienstag: „Keine Ahnung, wo Ihr Gepäck ist, es | |
| geht auch nicht schneller, wenn Sie hier anrufen.“ Mittwoch: „Ihr Gepäck | |
| ist jetzt in Paris, es fehlt nur noch die Bestätigung.“ Donnerstag: „Ihr | |
| Gepäck war zuerst Dienstag, dann für Mittwoch auf Flüge nach Paris | |
| gebucht.“ Es ist aber noch in Berlin. Freitag: „Das Gepäck ist in Paris, es | |
| wird Ihnen jetzt vom Kurier zugestellt, spätestens morgen.“ Samstag: | |
| „Sorry, Sir, Ihr Gepäck ist gestern mit der Post verschickt worden, es | |
| müsste Dienstag bei Ihnen sein.“ Man steht wie der Ochs vorm Berg und fühlt | |
| sich zunehmend verarscht. | |
| Immerhin, es gibt auch heitere Momente. Etwa, wenn eine | |
| Hotline-Mitarbeiterin auf die Frage, wann mit dem Eintreffen des Gepäcks am | |
| Urlaubsort an der Atlantikküste gerechnet werden könne, zurückfragt, wie | |
| weit das von Paris sei. Eine andere bemerkt beiläufig, es gebe in Tegel | |
| Probleme, mit dem Ansturm fertig zu werden. Die Kollegen dort reagierten | |
| seit Tagen nicht auf Anrufe. Eine Häufung von verlorenem Gepäck von und | |
| nach Berlin sei nicht festzustellen, sagt dagegen Air-France-Sprecherin | |
| Lange. Und lässt den Schwarzen Peter damit fairerweise in den eigenen | |
| Reihen. | |
| 22 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Torsten Landsberg | |
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