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# taz.de -- Schlechte Zeiten für Kioske: Letzte Flasche in der Trinkhalle
> Für den schnellen Einkauf bieten Kioske fast alles. Vor über 150 Jahren
> entstanden viele zum Verkauf von Mineralwasser. Doch die Buden sterben
> langsam aus.
Bild: Steht zum Verkauf: Der denkmalgeschützte Kiosk Alp Aslans in Dortmund.
Dortmund dpa | Ibrahim Turkut ist heute nicht gut drauf. Er murmelt etwas
in seinen Dreitagebart und prüft das Sortiment seines Kiosks. Auf einen
Zettel malt er kleine Striche, während er Zigarettenstangen, Saftflaschen
und Chipstüten abzählt. „Früher war besser“, sagt Turkut in gebrochenem
Deutsch.
Seit 14 Jahren betreibt er die Trinkhalle im Dortmunder Norden, und wie
viele andere leidet seine Bude unter dem Sog großer Supermärkte. „Überall
ist bis 24 Uhr auf“, klagt Turkut – nur wenige Blocks weiter bitten Edeka
und Aldi zum Großeinkauf. Wer ihn fragt, welche Überlebenschancen ein
kleiner Kiosk heute noch hat, winkt er ab: „Wir haben keine Antworten
hier.“
Trinkhalle, Kiosk, Büdchen, Spätkauf – wie auch immer man die kleinen
Händler für den schnellen Einkauf nennt, es werden weniger. 200 Stück
verschwinden im Schnitt jedes Jahr von der Landkarte, im Juni dieses Jahres
zählten die Marktforscher der Nielsen Company noch 24 730 Buden.
„Die kleinen Kioske haben es zunehmend schwer“, sagt Olaf Roik,
Handelsexperte beim Handelsverband HDE. Weil die Bundesländer ihre
Ladenschlusszeiten seit 2006 selbst festlegen und in den meisten Ländern
bis Mitternacht eingekauft werden darf, geraten Kioskbetreiber unter Druck.
## Batterien und Tiefkühlpizza
„Das ganze Sortiment hat sich verlagert“, sagt Roik. Spätestens seit sich
Bahnhöfe und Tankstellen in kleine Supermärkte verwandelt haben, bieten
Kioske Flüssigseife, 9-Volt-Batterien und Tiefkühlpizza an. Stamatia Popis,
die eine der erfolgreichsten Trinkhallen in Dortmund betreibt, verkauft
inzwischen auch heiße Würstchen und Hähnchenschnitzel. Auch sie klagt über
schlechteren Umsatz wegen der langen Öffnungszeiten. „Da muss sich ein
Kioskbetreiber überlegen, wo er seine Nische noch findet“, sagt Roik.
Nicht um Umsätze, sondern um ein gesellschaftliches Gut sorgt sich der
Dortmunder Kioskclub. „Die soziale Funktion ist ganz anders als bei einer
Tankstelle“, sagt der Vorsitzende des Vereins, Jörg Wagner. Am Kiosk
plaudert man über dies und jenes, der Betreiber wird wie ein Wirt oder
Barkeeper zum Bindeglied im Kiez.
Von Vorübergehenden gern als Auffangbecken für Alkoholiker abgetan,
schaffen Trinkhallen seit dem frühen 19. Jahrhundert ein Netzwerk für die
eigene Nachbarschaft. Die Trauer um den bekannten Kult-Kiosk des Esseners
Willy Göken, der jetzt einer neuen Wohnbausiedlung weichen musste, war
deshalb groß.
## Design von Martin Gropius
Die Geschichte der Buden beginnt vor gut 150 Jahren im Ruhrgebiet in der
Hochphase der Industrialisierung. Trunksucht greift bei vielen Arbeitern um
sich, einige Zechenbesitzer zahlen sogar Teile des Lohns in Alkohol aus.
Im Kampf gegen Alkoholismus unterstützen viele Bürger und Stadtväter
deshalb die neuen „Seltersbuden“, in denen zunächst nur Mineralwasser
verkauft wird. Immer mehr der vier- und achteckigen Pavillons entstehen
nach dem Entwurf des Architekten Martin Gropius. Auch in Paris, Frankfurt
und Hamburg gibt es bald „Wasserhäuschen“, die nur alkoholfreie Getränke
verkaufen.
„Häufig einziger Kontakt zur Umwelt, Klön-Ecke und Info-Börse,
Zeitvertreib, Treffpunkt und schier unerschütterlicher Felsen in unruhigen
Zeiten“ – so beschreibt Volkskundler Berthold Heizmann die Funktion der
Buden. Alp Aslans denkmalgeschützter Kiosk in der Trinkhallenmetropole
Dortmund erfüllt diese Funktion längst nicht mehr. „Kiosk zu verkaufen“,
steht an seinem Pavillon. Von 8 bis 22 Uhr sitzt er da, an vielen Tagen
nimmt er kaum 100 Euro ein. „Ich bin nur am Insekten jagen“, sagt der
38-Jährige. Es regnet in Strömen.
Zu Ibrahim Turkuts Ladenfenster schlufft derweil ein älterer Kunde im
Trainingsanzug und greift nach einer Zeitung. Früher konnte Turkut um 18.30
Uhr schließen und die Geschäfte liefen besser. Fragen will er nicht mehr
beantworten. Nur eines will er noch loswerden, bevor er in seinen
Kleinwagen steigt: „Ich hab' die Schnauze voll von Kiosk.“.
24 Jul 2012
## AUTOREN
Johannes Schmitt-Tegge
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mehr ihre Küche, sondern die Kaufhalle das zentrale Lebensmittellager.
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