# taz.de -- Nachruf Susanne Lothar: Die eisig Sanfte | |
> Die Schauspielerin Susanne Lothar konnte sehr subtil agieren. Das zeigte | |
> sie unter anderem in „Das weiße Band“. Am Mittwoch verstarb sie im Alter | |
> von 51 Jahren. | |
Bild: Susanne Lothar mit ihrem 2007 verstorbenen Mann Ulrich Mühe. | |
Michael Hanekes Film „Das weiße Band“ aus dem Jahr 2009 ist reich an | |
beklemmenden Szenen. Die beklemmendste davon gehört Susanne Lothar. Sie | |
spielt eine Hebamme in einem streng protestantischen Dorf irgendwo im | |
Norden Deutschlands. | |
Der Erste Weltkrieg steht bevor, im Dorf häufen sich rätselhafte Unfälle, | |
die vielleicht Zufälle, vielleicht aber auch Verbrechen sind. Die Hebamme | |
hat ein heimliches Verhältnis mit dem verwitweten Dorfarzt, dem sie | |
zugleich als Sprechstundenhilfe und Zugehfrau dient. | |
In einer Szene ist die Kamera nah dran an seinem weißbekittelten Rücken, am | |
rechten Bildrand sieht man das Gesicht der Frau, es bewegt sich rhythmisch | |
vor und zurück. Rüde unterbricht der Mann plötzlich den Oralverkehr: „Ich | |
kann einfach nicht mehr bei dir", hebt er zu einer Suada an: „Du bist | |
hässlich, du bist ungepflegt, deine Haut ist schlaff und du riechst aus dem | |
Mund." | |
Sie nimmt die Beleidigungen hin, die Lider gesenkt, das Gesicht fast | |
reglos. „Ich weiß, dass ich kein schöner Anblick bin", sagt sie ohne | |
Anstalten, ihre defensive Haltung aufzugeben: als hätte sie überhaupt keine | |
Vorstellung davon, dass es so etwas wie Selbstbewusstsein und Gegenwehr | |
geben könnte. | |
## Blick von unten | |
Die Kamera blickt dabei leicht von oben auf sie herab. Wenn sie die Lider | |
hebt, wird klar: Sie blickt von unten zu dem von ihr abgewandt stehenden | |
Mann auf. „Hast du keine Angst, dass ich mir etwas antue?", fragt sie | |
irgendwann, und er herrscht sie an: „Damit würdest du mich wenigstens | |
überraschen." Vorsichtige Widerworte schiebt er schließlich mit einer | |
Ohrfeige beiseite. | |
Der Filmemacher Michael Haneke hat eine Vorliebe für Szenen, in der die | |
Figuren einander demütigen. Damit diese Szenen nicht in unfreiwillige Komik | |
kippen, benötigt er Schauspieler, die subtil agieren. Susanne Lothar war | |
eine solche Schauspielerin. Die tief in ihr Gesicht eingesunkene Trauer in | |
„Das weiße Band" ist nur ein Beispiel dafür. Mit Haneke hat die gebürtige | |
Hamburgerin insgesamt vier Filme gedreht, außerdem „Funny Games" (1997), | |
die Kafka-Adaption „Das Schloss" (1997) und die Jelinek-Adaption „Die | |
Klavierspielerin" (2001). | |
In „Funny Games" und „Das Schloss" spielte sie an der Seite ihres Mannes | |
Ulrich Mühe, der auch in „Das weiße Band" eine Rolle übernehmen sollte, was | |
sein früher Tod am 22. Juli 2007, vor fast genau fünf Jahren, verhinderte. | |
Darüber hinaus arbeitete Lothar unter anderem mit Ulrich Seidl („Import | |
Export", 2007), Maria Speth („Madonnen", 2007) und Andres Veiel („Wer, wenn | |
nicht wir", 2011) zusammen, mit Regisseuren also, die für ein | |
herausforderndes Kino stehen. Im Fernsehen kannte man sie vor allem aus | |
Krimis, zuletzt war sie im „Polizeiruf 110"-Film „Die Gurkenkönigin" zu | |
sehen. | |
Die Karriere dieser Ausnahmeschauspielerin hat einst auf dem Theater | |
begonnen. Doch dort war sie in den letzten Jahren nur noch sporadisch zu | |
sehen - 2006 etwa in Thomas Ostermeiers Eugene-ONeill-Variation „Trauer | |
muss Elektra tragen“, wo sie die Klytaimnestra-Figur spielte, die an der | |
Berliner Schaubühne "Christine" hieß: eine tief verletzte, fast unmerklich | |
vertrocknete Kindfrau, die von ihrem Mann teilnahmslos bestiegen und | |
gedemütigt wird, und deren Entsetzen über das Leben das einzig | |
Unverbrauchte an ihr zu sein schien. | |
Die ge- und missbrauchten Frauen, die Susanne Lothar auf dem Theater oft | |
gespielt hat, behielten immer einen Unschuldspanzer aus diesem Entsetzen | |
über die Bestie Mensch. Egal was ihnen zustieß oder was sie selbst | |
anrichteten. | |
## Durchbruch als Lulu | |
In der Ambivalenz, mit der sie so ihre Figuren auszustatten verstand, lag | |
eine Grundfaszination dieser Schauspielerin - angefangen bei ihrer | |
legendären Lulu in Peter Zadeks berühmter Hamburger Inszenierung von 1988, | |
die für die damals 27-Jährige der Durchbruch war. Sie spielte die berühmte | |
Kindfrau damals fast nackt und doch war sie eine souveräne, selbstbewusste | |
und lebenspralle Lulu, wie man dieses bis dahin so klischeebeladene | |
Abziehbild aller Männerbegierde noch nie gesehen hatte. Eine junge Frau, | |
die die Lust wirklich gegen den Mann zu wenden, ihre Ohnmacht in Macht zu | |
übersetzen verstand (wie Madonna später noch viel aggressiver in ihren | |
Bühnenshows). | |
Später wich das Physische ihrer frühen Bühnenfiguren einer subtil | |
gebrochenen Bodenständigkeit, mit der Susanne Lothar Stücke und Stoffe zu | |
erden verstand, die sonst an ihrer Konstruiertheit erstickt wären, Sarah | |
Kanes "Gesäubert" zum Beispiel in Zadeks Hamburger Inszenierung, zehn Jahre | |
nach „Lulu". Manchmal bestanden ihre Figuren nur noch aus Blicken, einer | |
eisigen Sanftheit, die nur noch selten von kurzen Eruptionen eines | |
erstickten Lebenshungers aufgebrochen wurde. | |
Susanne Lothars Figuren verloren nie die Durchlässigkeit zum wirklichen | |
Leben mit seinen manchmal abgründigen Banalitäten, in denen so oft die | |
eigentlichen Tragödien wurzeln. Das machte sie immer wieder auch zur | |
Idealbesetzung für Stücke mit Absturzgefahr ins Boulevard, wie 2000 in Luc | |
Bondys berühmt gewordener Wiener Inszenierung von Yasmina Rezas explosivem | |
Kammerspiel „Drei Mal Leben" - auch hier an der Seite von Ulrich Mühe. | |
Der frühe Tod ihres Mannes war nicht der erste Schicksalsschlag für Susanne | |
Lothar: 1960 in eine Schauspielerfamilie hineingeboren, starb ihr Vater | |
Hanns Lothar, als sie neun Jahre alt war. Ein Halbbruder aus dessen | |
früherer Ehe, der Schauspieler Marcel Werner, wurde nur 34 Jahre alt. Am | |
Mittwoch ist Susanne Lothar überraschend gestorben, die Todesursache blieb | |
zunächst unbekannt. Sie hinterlässt zwei Kinder, die noch nicht erwachsen | |
sind. Wen die Götter lieben, stirbt jung, heißt es ja. Wir können daran | |
nicht glauben. | |
Am Ende von „Funny Games" sieht man Susanne Lothars Figur auf einem | |
Segelboot sitzen, gefesselt und geknebelt. Zwei junge Männer haben sie und | |
ihren Ehemann (Ulrich Mühe) aufs Wasser verschleppt. 100 Minuten lang haben | |
sie die beiden gequält, ihre Kinder umgebracht, und nun stoßen sie den | |
ebenfalls gefesselten Mann ins Wasser. Die Kamera schaut in Susanne Lothars | |
starres Gesicht. Haneke setzt das mit kaum auszuhaltender Gleichgültigkeit | |
in Szene. Als sie in den See gestoßen wird, bleibt nicht viel mehr als das | |
Geräusch eines Körpers, der aufs Wasser klatscht. | |
26 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Cristina Nord | |
Esther Slevogt | |
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