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# taz.de -- Bauteilbörse: Graue Energie in großen Mengen
> Die Bauteilbörse hat ihre 10.000 Artikelnummer - und noch immer viel zu
> wenig Nachahmer. Dabei ist die Idee genial, günstig und
> geschichtsbewusst.
Bild: Für alle Bedürfnisse was dabei: Sanitäres im 60er-Schick.
Artikelnummer 10.000 ist kein herrliches Holzfenster mit original Bremer
Strange. Kein Roland in Bleiglas, keine gusseiserne Wanne auf Löwenfüßen.
Sondern ein popeliges Waschbecken. Anders ausgedrückt: „Ein feines,
platzsparendes Waschbecken des Markenherstellers Villeroy & Bosch, mit
Kaltwasser-Armatur, ideal fürs enge Bad.“ Am PR-Geschick der Bremer
Bauteilbörse kann es nicht liegen, dass das vor neun Jahren gegründete
Modellprojekt nicht täglich von den Nutzerscharen überrannt wird, die es
verdient.
Auch nicht am Geschäftsmodell. Denn das ist so nahe liegend, wie es
genialen Dingen oft zu eigen ist – und trotzdem gibt es in Deutschland erst
acht Börsen. Als zwei Bremer Architektinnen vor neun Jahren begannen,
systematisch verwertbare Teile aus Umbau- oder Abrisshäusern auszubauen,
waren sie damit bundesweit die einzigen. Mittlerweile hat das Ökoinstitut
Freiburg akribisch evaluiert, welche CO2-Mengen beziehungsweise die in
Bauteilen steckende „graue Energie“ die Wiederverwertung eingespart. Das
Jubiläums-Waschbecken bringt es auf fünf Kilo CO2, ein Holzfenster, je nach
Gewicht, auf etwa 80, das Recycling einer Badewanne kann 130 Kilo des
klimaschädigenden Gases vermeiden. Die Nachnutzung von Türen und Fenstern,
wie sie kürzlich beim Umbau eines Grambker Privathauses anfielen,
entsprechen der durchschnittlichen Emission von 13.770 PKW-Kilometern. Oder
dem jährlichen Stromverbrauch von sechs Single-Haushalten.
„90 Prozent der Dinge, die wir verwerten, würden sonst auf dem Müll
landen“, sagt die Architektin Andrea Weiß, eine der BörsianerInnen. Die
Arbeitskette zwischen Gebäude-Akquise, Teile ausbauen, säubern und zum
Verkauf einstellen erledigen sechs Menschen in Teilzeit. Seit 2003 sind
geschätzt 15.000 Bauteile durch ihre Hände gegangen – hinter den
Artikelnummern stehen oft mehrere Objekte. Durchschnittlich ein Jahr
vergeht bis zum Verkauf. „Das bleibt ein ganz schweres Geschäft“, sagt
Börsen-Gründerin Karin Strohmeier. Sowohl ökonomisch als auch physisch: Bei
einem Durchschnittsgewicht der Bauteile von 15 Kilo macht das 225.000 Kilo,
die das Team bereits bewegt hat.
Die Bauteilbörse ist dabei nicht nur ein ökologisch-ökonomisches Korrektiv
in Bezug auf Gebrauchtteile, sie verwertet auch die Fehlmaße ehrbarer
Tischlermeister – die offenbar gar nicht mal so selten vorkommen.
Jedenfalls findet sich durchaus auch Neuware in der Gröpelinger Lagerhalle.
„Anfangs hieß es: Was ihr verkaufen wollt, taugt allenfalls für die
Parzelle“, sagt Strohmeier. Heute kommen Edelaltbau-Besitzer, um
ausgesuchte Stilelemente zu finden, ebenso wie Oslebshauser auf der Suche
nach günstigen Kunststoff-Fenstern – das Kundenprofil changiert zwischen
günstig und geschichtsbewusst.
Doch obwohl der Zeitgeist, nach der Retro-Welle schon beim Schäbi-Schick
angekommenen, für die Börse arbeitet, ist deren Situation laut Strohmeier
„nicht stabil“. Senatoren in Journalistenbegleitung besuchen die Börse zwar
gern. Konkrete Unterstützung sei seltener: „Über ,Immobilien Bremen‘
kriegen wir nur wenige Hinweise auf verwertbare Altbestände“, sagt Weiß. In
den Niederlanden, wo jede Stadt eine Börse hat, gibt es hingegen eine
gesetzliche Anzeigepflicht bei Abrissen – samt Listung der ausbaubaren
Teile.
Zwei Jahre gab es eine Anschubfinanzierung durch die Wirtschaftsförderung,
seither muss sich die Börse selbst tragen. Was hat sich noch verändert? Der
Preis für Zimmertüren ist doppelt so hoch wie zu Anfang, großformatige,
liegende Fenster hingegen baut die Börse gar nicht mehr aus. „Wir wissen
jetzt besser, was gefragt ist“, sagt Weiß. Farbige Sanitärartikel
beispielsweise, sagt Strohmeier: „Wenn jetzt die jungen Kreativen kommen,
die lindgrüne Waschbecken toll finden, merkt man sein eigenes Alter.“
Das Internet-Geschäft spielt eine wesentlich kleinere Rolle als
ursprünglich erwartet. Sowohl in Bezug auf die dort generierten
Werbeeinnahmen als auch die Möglichkeit, die Site als allgemeinen
Marktplatz zu nutzen, in den auch Außenstehenden ihre Angebote einspeisen.
Nichtsdestoweniger ist die hervorragend ausgebaute Web-Präsenz mit
virtuellem Lagerrundgang und Vorher/Nachher-Rubrik ein wichtiger Baustein
des Börsen-Konzepts: Sämtliche Artikel sind mit Fotos und Detailinfos
eingestellt.
„Es soll keine bösen Überraschungen geben“, erklärt Weiß. Und man erfä…
den individuellen Background seines künftigen Waschbeckens. Nummer 10.000
zum Beispiel wurde von einer Stammkundin persönlich vorbeigebracht, die ihr
Häuschen in der Neustadt renoviert. Der zugehörige Spiegel wurde trotz
allem als „zu hässlich“ deklariert.
27 Jul 2012
## AUTOREN
Henning Bleyl
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