# taz.de -- Islamistische Anschläge in Kenia: Gemeinsam gegen den Hass | |
> In Kenia haben islamistische Shabaab-Milizionäre 16 Christen und zwei | |
> Polizisten umgebracht. Nun kämpfen Imame und Pastoren gemeinsam für den | |
> Frieden. | |
Bild: Angst vor weiteren Anschlägen: Eine Frau schaut beim Gottesdienst aus de… | |
GARISSA taz | Pastor Joseph Mutunga geht vorsichtig in die Mitte der | |
Kirche. So, als würde er immer noch Unheil erwarten. Vielleicht sind seine | |
Schritte aber auch nicht ängstlich, sondern vorsichtig, und der Pastor | |
erweist den Opfern des letzten Anschlags auf diese Weise Respekt. In der | |
Mitte bleibt Mutunga stehen. „Die Attentäter kamen durch das Hauptportal, | |
die Türen standen offen“, sagt er. | |
Die Kirche, die der Pastor durchschreitet, gehört zur Africa Inland Church | |
und steht in Garissa, einer kenianischen Stadt etwa 120 Kilometer von der | |
somalischen Grenze entfernt. Jetzt ist die schlichte Halle leer, aber am | |
ersten Sonntag im Juli war hier jeder Platz besetzt. Beim Gang durch die | |
Kirche schildert Mutunga, wie er, während er predigte, zwei dumpfe | |
Aufschläge auf dem Wellblechdach hörte. Die Gemeindemitglieder wurden | |
unruhig, und Mutunga schickte zwei Männer nach draußen, um nachzusehen, was | |
los sei. | |
„Da hörten wir auch schon Schüsse, und ich sah, wie sich die Ersten auf den | |
Boden warfen, um Deckung zu suchen. Also habe ich mich auch | |
hingeschmissen.“ Fast im selben Moment stürmten zwei Attentäter in die voll | |
besetzte Kirche, feuerten mit ihren Kalaschnikows in die Menge, zündeten | |
eine weitere Granate. | |
Ein Dritter war draußen geblieben und tötete die beiden Polizisten, die | |
unweit der Kirche unter einem Baum saßen und den Gottesdienst bewachen | |
sollten. In der Kirche lagen inzwischen ebenfalls etliche Leichen, alles | |
war voller Blut. In das Geschrei und die Panik hinein kamen die ersten | |
Helfer. Die Attentäter waren da längst verschwunden. Sie sind bis heute | |
nicht gefasst. | |
## Christen sind in der Minderheit | |
Auch nach dem Anschlag wirkt Garissa wie eine friedliche Stadt. In den | |
belebten Straßen tragen die meisten Männer die langen Gewänder der Muslime | |
oder wickeln sich Tücher um die Hüften, und viele bedecken ihren Kopf. Auch | |
die Frauen tragen Kopftücher und weite Gewänder, die meisten in bunten, | |
afrikanischen Farben. Die schwarzen Stoffe arabischer Frauen sind die | |
Ausnahme, und kaum jemand verschleiert sein Gesicht. | |
Christen sind hier in der Minderheit, zumeist Zugezogene aus anderen | |
Gegenden Kenias. Die ursprünglichen Bewohner der Region sind ethnische | |
Somali und Muslime, genauso wie die Menschen jenseits der somalischen | |
Grenze. Ob jemand Somalier oder Kenianer ist, lässt sich auf den ersten | |
Blick nicht unterscheiden. | |
Fast zeitgleich zur Africa Inland Church wurde die Katholische Kirche | |
angegriffen, ohne dass dort jemand tödlich verletzt wurde. Von den | |
Mitgliedern der Africa Inland Church starben jedoch mittlerweile 16, | |
außerdem die beiden Polizisten, und etwa 60 Menschen wurden verletzt. Zum | |
Attentat bekannte sich eine Woche später die islamistische Shabaab-Miliz, | |
die in Somalia kämpft und zum Netz von al-Qaida gehört. | |
Die Miliz verübte in den vergangenen Jahren auch in Kenia immer wieder | |
Anschläge. Um gegen die islamistischen Kämpfer vorzugehen, marschierte die | |
kenianische Armee im vergangenen Oktober in Somalia ein. Daraufhin drohten | |
die Islamisten mit Vergeltung, und die Zahl der Anschläge in Kenia nahm | |
deutlich zu. Es traf die Städte entlang der Grenze, die Touristenhochburgen | |
an der Küste, die Hauptstadt Nairobi. Ziele waren kenianische Polizisten, | |
Touristenbars oder möglichst belebte öffentliche Plätze. | |
## Angst vor dem Gottesdienst | |
In einer der quirligen Marktgassen von Garissa sitzt Deca Kuso und füllt | |
eine Soja-Mais-Mehlmischung in kleine Tütchen. Auf dem Sack, aus dem sie | |
das Mehl schöpft, steht groß „Gift of Germany“. Sie habe Mehl vom | |
Welternährungsprogramm bekommen, sagt Kuso, „weil ich unterernährt bin. | |
Aber ich versuche, es zu verkaufen, weil ich das Geld brauche“. Unter ihrem | |
weiten Gewand ist tatsächlich ein ausgesprochen hagerer Körper zu ahnen. | |
Deca Kuso, die offensichtlich Muslimin ist, schaut beim Umfüllen des Mehls | |
immer wieder auf. „Hier kann jederzeit wieder etwas passieren“, erklärt | |
sie. Die belebte Marktgasse sei aus Sicht der Shabaab-Miliz ein ebenso | |
attraktives Ziel wie eine voll besetzte Kirche. Für die Händlerin ist | |
besonders problematisch, dass viele ihrer Kundinnen die belebten Straßen | |
offenbar meiden. „Viele bleiben seitdem weg“, erklärt sie. „Und ich | |
verdiene viel weniger Geld.“ | |
Über wirtschaftliche Einbußen klagen auch die Fahrer der Mopedtaxen, der | |
sogenannten Boda Bodas, die gegenüber einer Tankstelle im Stadtzentrum auf | |
Kunden warten. Zakayo Kilonzo, der Mitglied der Africa Inland Church ist, | |
war an jenem 1. Juli nur durch einen glücklichen Zufall nicht beim | |
Gottesdienst. „Seitdem gehe ich nicht mehr in die Kirche, ich habe Angst.“ | |
Weil sie sich in Garissa nicht mehr sicher fühlen, fahren die | |
Boda-Boda-Fahrer jetzt jeden Abend um sechs oder spätestens um acht Uhr | |
nach Hause, statt wie früher bis in die Nacht hinein zu arbeiten. Sein | |
Einkommen sei deshalb um die Hälfte zurückgegangen, sagt Zakayo Kilonzo, | |
der statt eines Helms nur eine umgedrehte Baseballkappe trägt. Auch | |
empfindet er jetzt eine gewisse Scheu gegenüber Muslimen, obwohl „wir mit | |
ihnen immer friedlich zusammen gelebt haben. Zu den Anschlägen kommt es | |
erst seit dem Einmarsch der kenianischen Armee in Somalia“. | |
Das eigentliche Problem sei also nicht der Islam, sondern die vor allem | |
innerhalb der Polizei weit verbreitete Korruption. „Wer einen Sprengsatz | |
dabei hat, braucht einem Polizisten nur 500 Shilling zu geben, und schon | |
lässt der ihn ziehen. Auch wenn der schließlich selbst durch diesen | |
Sprengsatz getötet wird.“ 500 Shilling sind umgerechnet rund 5 Euro. So | |
könne man gegen den Terror nicht kämpfen, meint Zakayo Kilonzo. | |
Über den Doppelanschlag von Garissa wurde auch international viel | |
berichtet, und in einigen Medien tauchte der Vergleich mit Nigeria auf. | |
Christen würden in Garissa und ganz Kenia gezielt verfolgt, hieß es in | |
manchen Berichten. Nicht nur Pastor Mutunga hat sich über diese Berichte | |
geärgert, sondern auch Abdullahi Salat. Er ist der Vorsitzende des Obersten | |
Rats der Muslime von Garissa und sitzt jetzt an seinem Schreibtisch in | |
einem unscheinbaren Büro an einer der Ausfallstraßen der Stadt. Durch die | |
weit geöffnete Tür kommen der Lärm der Lkw und Mopeds, das Geschrei der | |
Ziegen – und vor allem Staub. „Es gibt kein religiöses Problem hier in | |
Garissa“, versichert Salat. | |
## „Somalia ist ein Feuer“ | |
Unter seiner Leitung tut der Rat der Muslime in Garissa dasselbe, was | |
muslimische Geistliche in Kenia überall tun: Die Sheikhs und Imame treffen | |
sich mit den Pastoren und Priestern, tauschen sich aus und werben um | |
Frieden. Die religiösen Führer beider Gemeinschaften wollen die | |
Hintergründe der Attentate verstehen und Hass oder Misstrauen möglichst | |
schon im Keim ersticken. | |
Ihn hätten die Ereignisse nicht weiter überrascht, sagt Salat. „Wir haben | |
den Vertretern der Regierung von Anfang an gesagt, dass wir gegen den | |
Einmarsch der kenianischen Armee in Somalia sind. Somalia ist ein Feuer, an | |
dem wir uns nur verbrennen können.“ Abdullahi Salat ist sich sicher, dass | |
die Attentäter die beiden Religionsgemeinschaften nun gegeneinander | |
aufzuhetzen versuchen, „um den Krieg nach Kenia zu tragen“. | |
Das wollen die Muslime der Region auf jeden Fall verhindern. Die | |
Organisation der jungen Muslime erklärte sofort nach den Anschlägen, sie | |
würden die Kirchen künftig bewachen. Die Christen lehnten das ab, sie | |
wollten den kenianischen Staat nicht aus seiner Verantwortung für die | |
Sicherheit der Bürger entlassen. | |
Hassan Salat, Leiter der muslimischen Jugendorganisation, ist immer noch zu | |
allem bereit. Abdullahi Salat hat ihn angerufen und gebeten zu kommen, | |
damit er seinerseits erklären kann, was die jüngeren Muslime bewegt. | |
Niemand aus ihrer Organisation sei bewaffnet, erklärt der große, fast | |
ausgemergelte Mann. „Aber wenn sie die Christen angreifen, dann wollen wir | |
noch vor den Christen sterben.“ | |
Sein intensiver Blick über den eingefallenen Wangen vermittelt, dass er | |
seine Worte ernst meint – im Zweifelsfall tödlich ernst. Auch aus seiner | |
Sicht haben die Angriffe nur das Ziel, Hass und Zwietracht zwischen den | |
Glaubensgemeinschaften zu säen. „Wir leben schon lange in Frieden | |
zusammen“, betont der 34-Jährige, „und wir wollen nicht zulassen, dass | |
dieses Miteinander durch solche Anschläge zerstört wird.“ | |
## „Keine richtigen Muslime“ | |
Pastor Mutunga geht seit dem Attentat mehrmals täglich ins Krankenhaus. Um | |
die verletzten Mitglieder seiner Gemeinde zu trösten, und um ihren | |
möglichen Hass im Keim zu ersticken. „Sie dürfen Muslime jetzt nicht als | |
Feinde betrachten“, erklärt er. „Und sie sollen auch nicht alle Somalier | |
mit Misstrauen sehen.“ Denn auch, wenn die Attentäter von der Shabaab-Miliz | |
den Terror im Namen des Islam ausüben, „sind das vermutlich keine richtigen | |
Muslime. Der Islam verbietet das Töten.“ | |
Der Geräuschpegel in dem Krankensaal erschlägt im ersten Augenblick jeden | |
Gedanken. Mindestens 30 Betten stehen im dem großen Raum, alle Patientinnen | |
haben Besuch. Der Pastor steht jetzt vor einem der Betten. „Das ist Helen. | |
Helen?“ Die Frau liegt reglos auf der Seite und scheint zu schlafen, | |
jedenfalls rührt sie sich nicht. | |
Vor ihr auf dem Bett steht ein Topf mit Essen, das sie nicht angerührt hat. | |
„Sie ist an der Hüfte verletzt“, erklärt Mutunga. „Aber sie wird wieder | |
ganz normal gehen können.“ Helen Mwendkia, die offenbar zugehört hat, dreht | |
sich jetzt um. „Ich verstehe das alles immer noch nicht richtig“, sagt die | |
24-Jährige. „Bei jedem lauten Knall einer Tür schrecke ich auf.“ | |
Vor allem in den ersten Tagen nach dem Attentat sei sie sich sicher | |
gewesen, dass sie als Christen von Muslimen angegriffen worden seien. „Um | |
ehrlich zu sein, ich habe Angst vor Muslimen. Wenn ich ihre langen Gewänder | |
sehe, denke ich immer, sie hätten darunter vielleicht eine Granate. Und | |
manchmal hasse ich sie.“ Aber sie habe viel nachgedacht und oft mit dem | |
Pastor geredet. „Inzwischen glaube ich, dass sie nicht speziell Christen | |
treffen wollten. Sie wollten einfach Blut vergießen.“ | |
30 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Bettina Rühl | |
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