| # taz.de -- London in Neukölln: Ein fast olympischer Spagat | |
| > Seit 1996 haben Mitglieder der Schwimmgemeinschaft Neukölln sechs | |
| > olympische Medaillen geholt, allen voran Britta Steffen. Dennoch sagt der | |
| > Club: Unsere Basis ist der Breitensport. | |
| Bild: Britta Steffen am Beckenrand bei Olympia | |
| Sie haben sich trefflich in Schale geworfen in der Schwimmgemeinschaft (SG) | |
| Neukölln. „Sportbad Yard – London 2012: Auf der Suche nach Britta, Robin, | |
| Tim & Benjamin“ steht auf Jochen Hanz’ T-Shirt. Dazu trägt der | |
| Geschäftsführer des Schwimmvereins mit Sitz in Britz einen Detektivhut auf | |
| den dunklen Locken und eine Sonnenbrille auf der sonnengebräunten Nase. Er | |
| sagt: „Natürlich ist London großes Kino für uns. Wir stecken hier viel | |
| Herzblut rein.“ | |
| Der Heimatverein der deutschen Medaillen-Hoffnungen Britta Steffen und | |
| Benjamin Starke fiebert mit seinen vier Abgesandten in London mit; sein | |
| gesamtes Gelände ist auf die Olympischen Spiele abgestimmt. Der Vater eines | |
| Vereinsmitglieds ist Tischler und hat Hand angelegt: Der Wachturm ist so zu | |
| Big Ben geworden, die elektronische Anzeigetafel zur Tower-Bridge inklusive | |
| der olympischen Ringe, auch die Themse darf nicht fehlen, zu der neuerdings | |
| auch die Wasserflächen des Sportbads Britz zählen. | |
| Dieser Samstag ist ein besonderer Tag: Es ist Bergfest, die Kinder der SG | |
| Neukölln haben die Hälfte ihres jährlichen zweiwöchigen Trainingslagers | |
| geschafft, und alle kommen zusammen zum Feiern. Höhepunkt des Abends sollte | |
| das Public Viewing der Finale über 400 Meter Freistil der Herren und die | |
| 400-Meter-Staffel der Damen werden – schließlich wurden den Deutschen Paul | |
| Biedermann und der Staffel um Britta Steffen im Vorfeld gute Chancen auf | |
| eine Medaille eingeräumt. Doch spätestens seit 13.15 Uhr mitteleuropäischer | |
| Zeit ist klar: Kein Deutscher hat die Vorläufe überstanden. Tiefe | |
| Enttäuschung. | |
| Also lassen sie sich im Sportbad Britz am Abend etwas mehr Zeit mit dem | |
| Aufbau der Public-Viewing-Arena. Während der US-Amerikaner Ryan Lochte die | |
| 400 Meter Freistil holt und sein Landsmann Michael Phelps auf Platz vier | |
| entzaubert wird, installiert Hanz noch Beamer und Übertragungskabel. „Wenn | |
| Britta in den Medien richtig zitiert wurde, ist sie mit angezogener | |
| Handbremse geschwommen, auf taktische Weisung der Trainer hin“, sagt der | |
| 35-Jährige. „Diese taktischen Spielchen, die waren vielleicht 2006 | |
| angebracht, als die Deutschen noch Weltrekorde am laufenden Band | |
| lieferten.“ | |
| Bis 2004 ist Hanz in einer Trainingsgruppe mit Steffen geschwommen, er | |
| weiß, dass „Britta vor dem Wettkampf immer mehr Angst als Vorfreude hatte“. | |
| Er hat ihre Entwicklung vom Talent, das sein Potenzial nicht abrufen | |
| konnte, zur „Gold-Britta“ hautnah mitbekommen, die seiner Ansicht nach erst | |
| mit ihrem Wechsel zur SG-Neukölln 2002 begann. Heute liegt Steffens | |
| Lebensmittelpunkt wie auch der ihres DSV-Kader-Kollegen Benjamin Starke am | |
| Olympia-Stützpunkt Hohenschönhausen. Sie kommen nur noch vier- bis fünfmal | |
| im Jahr bei ihrem Heimverein vorbei zur Autogrammstunde oder dem jährlichen | |
| internationalen Pfingstturnier. | |
| Stellt man den Kindern im Trainingslager die Frage, wer ihr Idol ist, kommt | |
| dennoch zuerst: „Britta Steffen!“ Viktoria Plonies erklärt, warum: „Wenn | |
| sie kommt, schwimmen wir zusammen und machen Fotos, und sie erzählt uns, | |
| wie es ist, Rekorde aufzustellen und berühmt zu sein.“ Doch, ja, sagt die | |
| Zehnjährige, Steffen erzähle auch, dass Berühmtsein hart sein kann. | |
| Während die zweifache Olympiasiegerin und Freistil-Weltrekordlerin Steffen | |
| den Rest des Jahres bei internationalen Wettbewerben versucht, ihre Furcht | |
| gegen Freude einzutauschen, sorgt Hanz heute vor allem dafür, dass in der | |
| SG-Neukölln jeder sein ganzes Potenzial in die Waagschale wirft. Was nicht | |
| unbedingt nur auf sportliche Leistung bezogen ist. Zwar schickt der 4.700 | |
| Mitglieder umfassende Verein in der Regel zehn Kinder pro Jahrgang auf | |
| Sportschulen, wo sie mit 15 bis 18 Trainingseinheiten pro Woche an | |
| sportliche Topleistungen herangeführt werden. „Aber wir gehen auch schon | |
| mal dazwischen und holen Kinder von den Schulen zurück, wenn wir merken, | |
| dass es von den Eltern ausgeht und sie überfordert sind“, sagt Jugendwart | |
| Markus Wyrwal, der bei der SG ausdrücklich für „alles außer Sport“ | |
| zuständig ist. | |
| Der 50-Jährige schlürft sein wohlverdientes Bier und beschreibt, worin er | |
| den Kern des Vereins sieht: „Unser Fundament ist der Breitensport. Bei uns | |
| sollen Kinder und Erwachsene Spaß haben, und wenn jemand sich für etwas | |
| anderes mehr interessiert, hört er halt zwischendurch mal auf.“ Es ist ein | |
| schwieriger Spagat zwischen Spitzensport und familiärer Vereinsatmosphäre, | |
| doch die SG-Neukölln meistert ihn bisher erfolgreich. | |
| Selina Klamt und Eileen Medau haben jetzt schon entschieden, dass sie | |
| zwischendurch mal aufhören werden, auch wenn Schwimmen für die elf und zehn | |
| Jahre alten Freundinnen momentan alles ist. „In Rio 2016 dabei sein, das | |
| ist unser Ziel“, sagt Selina selbstbewusst. Sie weiß, dass sie das mithilfe | |
| ihres Vereins schaffen kann, seit 1996 haben Vertreter der SG-Neukölln | |
| sechs olympische Medaillen geholt. Doch einmal das olympische Fieber | |
| erleben, das würde Selina schon genügen: „Ich werde sicher nicht | |
| Profisportlerin. Ich werde Meeresbiologie studieren und so mein ganzes | |
| Leben mit Wasser zu tun haben“, sagt die Elfjährige. | |
| Obwohl sie sich sonst nicht so für die Übertragung der Wettkämpfe bei | |
| Olympia interessieren, sitzen Selina und Eileen pünktlich zum Finale der | |
| 400-Meter-Staffel der Frauen vor der Leinwand. Während die Erwachsenen im | |
| Hintergrund ob des zweiten Platzes der Niederlande förmlich ausrasten – | |
| „Schau dir diese Holländerinnen an, das sind nicht die Chinesen, das sind | |
| die Oranjes, hinter den Australiern!“ –, sagt Selina ziemlich optimistisch: | |
| „Das ist nicht so schlimm, dass Britta Steffen es heute nicht geschafft | |
| hat. Sie wird bei den anderen Wettkämpfen noch aufdrehen.“ | |
| 29 Jul 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Karen Grass | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bewerbung frühestens 2024: Auch Berlin kann Olympia! | |
| Berlins Innensenator Frank Henkel sieht die Hauptstadt gut gerüstet für ein | |
| olympisches Großspektakel. Wenn er sich da mal nicht täuscht. | |
| Public Viewing in Tempelhof: Die Sportspiel-Spaßfläche | |
| Sport gemacht wird auf dem Tempelhofer Feld sowieso - für die Olympischen | |
| Spiele hat der Hockey Club nun weitere Möglichkeiten zum Sporttreiben und | |
| -schauen geschaffen. | |
| Olympia-Reporter Sigi Heinrich: „Die Spiele sind nicht mehr frei“ | |
| Der Eurosport-Kommentator Sigi Heinrich spricht über | |
| Feigenblattjournalismus, komische Kleidervorschriften und Kommerz bei den | |
| Olympischen Spielen. | |
| Ortstermin London: Sex Pistols und Statisten | |
| Nachts wippen die Zuschauer, am Morgen schimpfen die Straßenhändler: Nach | |
| der Euphorie in der Eröffnungsnacht kehrt schnell wieder Alltag in | |
| Ostlondon ein. | |
| Olympia auf dem Tempelhofer Feld: "Zum Sporttreiben anregen" | |
| "Die Spiele in Berlin" bietet Public Viewing zum Mitmachen, sagt | |
| Organisator Christian Schenk. |