# taz.de -- Festspiele Salzburg: Prinzenland ist abgebrannt | |
> Andrea Breth rüstet mit Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“, August | |
> Diehl und einem brillanten Ensemble zu einer ätzend komischen | |
> Preußendämmerung. | |
Bild: Kurfürst und Putschist taxieren sich: Peter Simonischek (li.) und August… | |
SALZBURG taz | Von den schönen Kiefern im märkischen Sand sind nur noch die | |
verkohlten Baumstümpfe übrig. Die Nacht ist dunkel, und ob der neue Tag | |
wirklich einen Horizont preisgibt, nicht sicher. | |
Es ist, als habe Martin Zehetgruber hier auf der Bühne des Salzburger | |
Landestheaters eine dieser dunklen, devastierten „World of | |
Warcraft“-Landschaften hingeworfen, in denen Millionen junger Spieler sich | |
virtuell die Nächte um die Ohren hauen, mit Zaubertränken und verwunschenen | |
Schwertern die Monstren ihrer Einbildungskraft bekriegen. | |
Hier flicht der Prinz von Homburg (August Diehl) den Lorbeer auf seinen | |
schlafwandelnden Irrgängen, träumt von einer zarten Frauenhand und einer | |
ganzen Menge Angelegenheiten, bei denen er wohl keine Frauenhand dabeihaben | |
möchte: Ruhm, Ehre, Sieg, Preußens und seine eigene Größe. | |
## Merkwürdige Preußendämmerung | |
Aus den Gestalten, die sich ihm bald mit batteriegetriebenen Fackeln | |
nähern, ist jede Farbe gewichen. Kein stolzes Preußischblau im ganzen | |
kurfürstlichen Hofstaat, nur noch tristes Freikorpsschwarz skizziert die | |
schönen Silhouetten des frühen 19. Jahrhunderts (Kostüme Moidele Bickel). | |
Sie werden leibhaftig aus der Schattenlosigkeit ans Licht gezerrt und noch | |
einmal aufgestellt wie Spielfiguren. | |
Andrea Breth macht das Theater zu seiner eigenen Rollenspielvorlage, in der | |
noch einmal all das möglich wird, was die Zeit scheinbar genommen hat. Das | |
bewusste Selbstzitat schafft alle Freiheiten, zapft den ganzen Formenvorrat | |
des Theaters an, bis zum hintersten Anachronismus. Der wird gebraucht, um | |
Kleist beizukommen in dieser merkwürdigen Preußendämmerung. | |
Die drei Grazien vom kurfürstlichen Hof (Andrea Clausen, Pauline Knof und | |
Elisabeth Orth) stehen wie deklamierende Marmorbilder und trotzdem bebt in | |
ihrem Atem Angst, Lust und die Lust an der Angst fast wie in einer | |
Telenovela. So verloren in ihren Körperpanzern dagegen war selten eine | |
preußische Soldateska. Als sein Prinz geopfert werden soll, spricht der | |
steinalte Obrist Kottwitz wohl das erste Mal – stammelnd und knatternd – | |
überhaupt von Gefühlen. Das ist so anrührend wie komisch und Hans-Michael | |
Rehberg braucht als Obrist nur diese eine szenische Skizze, um ermessen zu | |
lassen, wie viel Gewalt vonnöten ist, um aus einem Exemplar der Gattung | |
Mensch einen Preußen zu machen. | |
Wunderbar unterspannt und mit fast dorfrichterlicher Lust zeigt Peter | |
Simonischek den märkischen Provinzler, dem seine Schlägertruppe plötzlich | |
Weltgeltung verschafft. Eher Kuhfürst als Kurfürst. Trotzdem hat er seinen | |
Machiavell’ in der Tasche, wenn Friedrich Wilhelm denselbigen unter ein | |
Todesurteil setzt. | |
## Das Happy End verweigert | |
Es bleibt das verwunderte Lachen, auch wenn manchem Festspielbesucher zu | |
Salzburg dabei nicht geheuer ist. Breths Lesart legt an diesem Schauspiel | |
mit all seinen Irrungen und Wirren eine strukturelle Ähnlichkeit zur | |
Komödie frei und verweigert erst recht das falsche Happy End. | |
Preußen wird in Salzburg vom Untergang her gedacht. Dann das Übliche. Die | |
Hofgesellschaft foppt den wunderlichen Prinzen, auf dass sich ihm Traum und | |
schlechte Wirklichkeit mischen. Bei Tag so somnambul wie bei Nacht wird er | |
die Order zur Schlacht verpassen, wird im Ungehorsam dem Kurfürsten einen | |
Sieg erringen und in der Todesangst das alles im Lichte seiner | |
bewusstseinserweiternden Träumerei als den höheren, eigentlichen Willen des | |
Fürsten wahrnehmen. | |
Es ist die permanente Mobilmachung, von der Kleist unter dem Eindruck der | |
napoleonischen Eroberungen seinen Prinzen träumen lässt, der Rausch der | |
Zuspätkommenden im Konzert der Mächte, die können nur expandieren bis zur | |
Implosion. Der Volkswille äußert sich in der Soldateska, die, so wird der | |
alte Kottwitz dem Fürsten beibiegen, ihm nicht wie sein Schwert tot am | |
Gürtel hängen soll. Revolution oder permanenter Staatsstreich sind nicht zu | |
unterscheiden. Ob dieser Rappelkopf von Autor nun links von uns oder rechts | |
von uns steht, konnten selbst im vergangenen Jubeljahr die Kleistbiografen | |
nicht klären. | |
Andrea Breth und ihr Hauptdarsteller suchen andere Antworten. August Diehl | |
gelingt es, Kleists Strategien der Selbsthybridisierung für das Theater | |
selbst nutzbar zu machen. Der Bericht von Homburgs Coup kommt selbst als | |
Coup daher. Er sprengt dabei die Illusion eines homogenen Subjekts, | |
entfacht die Kleist’sche Wunschmaschine auf vollen Touren und spielt mit | |
einem Wahn, der um sich selbst weiß, bis ein fragiles Gebäude unzähliger | |
Reflexionsebenen daraus entsteht, das am Ende nur in sich zusammenbrechen | |
kann. Das markiert einen Raum für die Arbeit des Schauspielers, der | |
jenseits der gedachten Einheit einer „Figur“ liegt. | |
1 Aug 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Mattheiss | |
## TAGS | |
Burgtheater Wien | |
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